Schi­zo­phre­nie: Gene­tik und Stressoren

25.11.2020 | Medizin


Die Psy­cho­edu­ka­tion nimmt – neben der medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie – einen zen­tra­len Stel­len­wert bei der Behand­lung der Schi­zo­phre­nie ein. Bei der Ent­ste­hung der Erkran­kung geht man von einem Vul­nerabi­li­täts-Stress-Modell aus.
Laura Scher­ber

Gene­ti­sche Ver­letz­lich­keit und akute und chro­ni­sche Stres­so­ren: Wie in vie­len Berei­chen der Psych­ia­trie geht man auch bei der Schi­zo­phre­nie vom Vul­nerabi­li­täts-Stress-Modell aus. „Es gibt wahr­schein­lich bestimmte Ver­än­de­run­gen im gene­ti­schen Mate­rial, die ent­we­der her­edi­tär sind oder die sich als Spon­tan­mu­ta­tion ent­wi­ckeln und in einer gewis­sen Ver­letz­lich­keit für die Schi­zo­phre­nie resul­tie­ren“, erklärt Priv. Doz. Eva Maria Rei­ning­haus von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Medi­zin in Graz. Hinzu kom­men unter­schied­li­che Stres­so­ren wie Geburts­trau­mata, früh­kind­li­che Erleb­nisse, Ver­nach­läs­si­gung oder Can­na­bis-Kon­sum, wel­che die Erkran­kung dann aus­lö­sen. Die genauen Ursa­chen sind aber bis­her nicht belegt. „Eine Theo­rie besagt, dass es bei psy­chi­schen Erkran­kun­gen all­ge­mein eine Art chro­ni­sche Ent­zün­dung im Kör­per gibt, die immer wie­der akti­viert wird und ent­spre­chende Krank­heits­pha­sen aus­löst“, berich­tet die Exper­tin. Die Sym­pto­ma­tik beginnt meis­tens nach der Puber­tät, wobei es bei den Erst­erkran­kun­gen der Frauen einen zwei­ten Alters­gip­fel um das 40. Lebens­jahr gibt. Gene­rell geht man von einer ein- bis zwei­pro­zen­ti­gen Prä­va­lenz aus, wobei Män­ner etwas häu­fi­ger betrof­fen sind.

Die Sym­ptome teilt man in die Posi­tiv-Sym­pto­ma­tik und in die Nega­tiv-Sym­pto­ma­tik. Die Posi­tiv-Sym­pto­ma­tik umfasst Hal­lu­zi­na­tio­nen, Wahn­vor­stel­lun­gen oder das Abrei­ßen von Gedan­ken und ist in der Regel nicht die erste Mani­fes­ta­tion der Erkran­kung. In die­ser Akut­phase suchen Pati­en­ten ten­den­ti­ell häu­fi­ger ärzt­li­che Hilfe. „Die Nega­tiv- oder Minus-Sym­pto­ma­tik geht mit Ener­gie­lo­sig­keit, Antriebs­lo­sig­keit, Affekt­ver­fla­chung und Inter­es­sens­ver­lust ein­her und kann leicht mit einer Depres­sion ver­wech­selt wer­den“, erklärt Univ. Prof. Dr. Johan­nes Wan­cata von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie in Wien. Auf Anti­de­pres­siva spre­chen diese Pati­en­ten übli­cher­weise nicht an. Rei­ning­haus zufolge ist der Beginn der Erkran­kung rela­tiv unspe­zi­fisch, sodass nicht immer ein­deu­tig ist, ob Ände­run­gen im Ver­hal­ten auf eine Erkran­kung oder die Puber­tät zurück­zu­füh­ren sind. „Das kann über ein, zwei Jahre sein, dass Betrof­fene nicht mehr so gerne ihren Hob­bys nach­ge­hen oder Freunde tref­fen wie sonst, in der Schule einen Leis­tungs­knick haben oder eher unspe­zi­fi­sche Inter­es­sen ent­wi­ckeln“, weiß die Exper­tin. Spe­zi­fi­sche pro­dro­male Sym­ptome sind neben Wahn­vor­stel­lun­gen und Hal­lu­zi­na­tio­nen der soziale Rück­zug, starke Ängste und dass man Dinge sieht oder hört, die nicht da sind – klas­si­scher­weise Stim­men. Häu­fig han­delt es sich um kom­men­tie­rende, abwer­tende oder impe­ra­tive, Befehle gebende Stim­men. Auch wenn es eben­falls ein klas­si­sches Sym­ptom ist, reicht Ver­fol­gungs­wahn allein noch nicht für die Dia­gnose einer Schi­zo­phre­nie aus, son­dern erfor­dert kom­ple­xere Vor­stel­lun­gen. „Bizar­rer Wahn wäre zum Bei­spiel, wenn ich das Gefühl hätte, in mei­nem Ute­rus ist eine Bombe ein­ge­baut, die jemand ande­rer da ver­steckt hat und zün­den will, wenn ich mich nicht auf bestimmte Art und Weise ver­halte“, erläu­tert Reininghaus.

„Wich­tig ist, nicht ein­fach die Dia­gnose zu sagen, denn damit fan­gen die meis­ten Pati­en­ten nichts an, goo­geln dann im Inter­net und kom­men auf irgend­wel­che obsku­ren Sei­ten, die völ­lig fal­sche Infor­ma­tio­nen geben“, weiß Wan­cata. Außer­dem müs­sen im Vor­feld orga­ni­sche Ursa­chen wie Leber- oder Nie­ren­er­kran­kun­gen, immu­no­lo­gi­sche Pro­zesse, Enze­pha­li­tis, Durch­blu­tungs­stö­run­gen oder eine Raum­for­de­rung im Gehirn aus­ge­schlos­sen wer­den. Daher sind Labor­un­ter­su­chung und Com­pu­ter­to­mo­gra­phie im Rah­men der Dia­gnos­tik unbe­dingt indi­ziert. „Lei­der holen sich die Betrof­fe­nen oft erst dann medi­zi­ni­sche Hilfe, wenn das Krank­heits­bild bereits voll ent­wi­ckelt und aus­ge­bro­chen ist“, resü­miert der Experte. Dabei inter­pre­tie­ren die Pati­en­ten die Ver­än­de­run­gen ganz unter schied­lich: Wäh­rend man­che glau­ben, es könnte eine psy­chi­sche oder kör­per­li­che Erkran­kung ursäch­lich sein, füh­ren andere es dar­auf zurück, etwas Schlech­tes geges­sen, getrun­ken oder auch Dro­gen kon­su­miert zu haben. Gerade der Can­na­bis-Kon­sum scheint in der Früh­phase der Erkran­kung tat­säch­lich eine Schlüs­sel­rolle zu spie­len. „Wenn die Sym­ptome noch nicht so ein­deu­tig sind und die Pati­en­ten etwas hören, was andere nicht hören, macht ihnen das Angst“, betont Wan­cata. Um sich zu beru­hi­gen, ‚behan­deln‘ sich man­che dann mit Can­na­bis, was jedoch die Pro­gnose ver­schlech­tert, zu mehr Rück­fäl­len sowie einer deut­lich mas­si­ve­ren Sym­pto­ma­tik führt.

Anti­psy­cho­tika sind Erstlinientherapie

Zen­tral ist die medi­ka­men­töse The­ra­pie, wobei hier in den letz­ten Jah­ren vor­wie­gend aty­pi­sche Anti­psy­cho­tika ein­ge­setzt wer­den. „Sie sind ein­deu­tig zu bevor­zu­gen, weil sie deut­lich weni­ger Neben­wir­kun­gen haben und neben der posi­ti­ven Sym­pto­ma­tik wie Wahn, Hal­lu­zi­na­tio­nen und Denk­stö­run­gen auch die Nega­tiv­sym­pto­ma­tik ver­bes­sern“, führt Wan­cata aus. Obwohl die kogni­tive Ver­hal­tens­the­ra­pie den Behand­lungs­er­folg unter­stütze, könne Psy­cho­the­ra­pie allein Anti­psy­cho­tika nicht erset­zen. Um gezielt bei der Nega­tiv-Sym­pto­ma­tik anzu­set­zen, greife man hin­ge­gen auf sozio­the­ra­peu­ti­sche Ver­fah­ren zurück, bei denen es um Akti­vie­rung und den Auf­bau von Sozi­al­kon­tak­ten gehe. Wenn sich jemand mit einer ers­ten psy­cho­ti­schen Epi­sode vor­stellt, wer­den laut dem Exper­ten Anti­psy­cho­tika ver­schrie­ben, die nach Abklin­gen der Sym­pto­ma­tik noch rund ein Jahr lang wei­ter genom­men wer­den sol­len. Hat der Betrof­fene bereits zwei oder mehr akute Pha­sen erlebt, soll­ten die Anti­psy­cho­tika erst fünf Jahre nach Abklin­gen der Sym­pto­ma­tik abge­setzt wer­den. „Auch wenn es nicht gelingt, Rück­fälle völ­lig zu ver­mei­den, ist die Wahr­schein­lich­keit für einen Rück­fall unter Anti­psy­cho­tika rund ein Vier­tel so groß wie ohne“, weiß Wan­cata. Bei Neu­ro­lep­tika sind Depot-Prä­pa­rate eine gute Lösung. Beson­ders für Junge ist es ange­neh­mer, wenn sie nur ein­mal monat­lich eine Injek­tion erhal­ten und damit für einen Monat abge­deckt sind. „Das kann natür­lich bei den Betrof­fe­nen auch das Gefühl her­vor­ru­fen, dass sie eigent­lich gar nicht krank sind, weil sie sich nicht jeden Tag mit dem Thema der Medi­ka­men­ten-Ein­nahme aus­ein­an­der­set­zen müs­sen“, wirft Rei­ning­haus ein. Das sei aber ein ver­gleichs­weise klei­ner Nach­teil. Wich­tig ist, auf die Medi­ka­men­ten-Com­pli­ance posi­tiv ein­zu­wir­ken, da beson­ders für junge Men­schen die Vor­stel­lung nicht leicht ist, ein Leben lang Medi­ka­mente zu neh­men. Auch wenn Neben­wir­kun­gen wie Müdig­keit, sexu­elle Dys­funk­tion oder steife Bewe­gun­gen auf­tre­ten, ist es wich­tig, die Medi­ka­tion bei­zu­be­hal­ten und je nach Wir­kung unter Umstän­den zu redu­zie­ren. Psy­cho­edu­ka­tion ist dabei essen­ti­ell: „Die Auf­klä­rung über die Erkran­kung ist in mei­nen Augen einer der wesent­li­chen Punkte, dass Betrof­fene wis­sen, was sie haben, was sie tun kön­nen, und wie sie mer­ken, dass sie wie­der krank wer­den“, resü­miert die Expertin.

„Wir haben immer wie­der das Bild, dass Schi­zo­phre­nie eine chro­ni­sche Erkran­kung ist. Das stimmt bei einem Teil der Betrof­fen, aber das sind etwa 25 Pro­zent der Pati­en­ten“, berich­tet Wan­cata. Wei­tere 20 bis 25 Pro­zent erle­ben eine akute Krank­heits­phase und danach nie wie­der. Die übri­gen Pati­en­ten haben immer wie­der einen Rück­fall, sind dazwi­schen aber sehr sta­bil. Natür­lich merke man sich nur die­je­ni­gen, die immer wie­der kom­men. „Wenn man im Kopf das Bild hat, dass es sich um eine chro­ni­sche Erkran­kung han­delt, ent­mu­tigt das auch den Pati­en­ten“, betont der Experte.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 22 /​25.11.2020