Psychiatrische Erkrankungen im Alter: Angst, Demenz & Schizophrenie

15.12.2020 | Medizin


Bei über 65-Jährigen sind Demenzerkrankungen die häufigsten Krankheiten, gefolgt von generalisierten Angststörungen. Bei der Schizophrenie findet eine Verschiebung hin zur Defektsymptomatik statt – hin zu mangelnder Empathie, Rückzug und weniger Kontakten. Die Tatsache, dass der ältere Patient bei der Psychotherapie häufig einem Jüngeren gegenübersitzt, erweist sich oft als schwierig.
Sophie Fessl

Der häufigsten psychiatrischen Erkrankung über 65 Jahren – der Demenz – kann entgegengewirkt werden: Eine leichte Abnahme des individuellen Demenzrisikos durch die Bekämpfung von Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Übergewicht und Hypertonie wird durch die Zunahme der Lebenserwartung wettgemacht, erklärt Univ. Prof. Peter Fischer von der Abteilung für Psychiatrie der Klinik Donaustadt in Wien. „Die Anzahl der Demenzkranken nimmt stetig zu. Im Jahr 2050 werden wir mit 150.000 bis 190.000 Patienten mit Demenz den Höhepunkt erreichen.“

Abseits der Demenzerkrankungen sind die häufigsten psychiatrischen Erkrankungen im Alter Depressionen, Angststörungen sowie Alkoholerkrankungen. Letztere betreffen häufig Menschen, die bereits öfter Probleme mit Alkohol hatten und bei denen es zu einem Rückfall kommt. „Schizophrenie als große Diagnosegruppe wird im Alter dagegen seltener, da die Lebenserwartung von schizophrenen Patienten in den letzten Jahren stetig weiter gesunken ist“, erläutert Fischer.

Schizophrenie verkürzt Lebenserwartung

Menschen, die an Schizophrenie leiden, haben eine um 15 bis 20 Jahre verkürzte Lebenserwartung. Schizophrenie ist damit eine der wenigen Erkrankungen, bei denen sich die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten verschlechtert hat. „Bei schizophrenen Patienten im Alter handelt es sich um Menschen, die schon lange daran erkrankt sind. Ein Erstauftritt im Alter ist ungewöhnlich“, berichtet Univ. Prof. Johannes Wancata von der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie am AKH Wien. Geht die Schizophrenie mit Wahnvorstellungen einher, unterscheiden sich die Wahninhalte bei älteren Patienten von denen bei jungen Patienten. Typische Wahninhalte bei älteren Patienten sind etwa die Angst, zu verarmen oder die Angst, an einer unerkannten Erkrankung zu leiden.

Ein Teil der älteren Patienten mit Schizophrenie hat eine gute Prognose, da es sich bei über 65-Jährigen meist um einen chronischen Verlauf mit wenig Rückfällen handelt. Allerdings kann die Schizophrenie bereits früh zu Einschränkungen im Alltag und dem Verlust der Selbstständigkeit führen. „Diese Patienten brauchen häufig bereits früh Unterstützung. Hier wären spezielle Einrichtungen mit Erfahrung in der Versorgung sinnvoll.“ Für die medikamentöse Behandlung von älteren Patienten stehen atypische Antipsychotika zur Verfügung; typische Antipsychotika werden wegen der möglichen Nebenwirkungen vor allem im extrapyramidalen System nur selten eingesetzt. Nach dem 50. Lebensjahr nimmt außerdem die Wahrscheinlichkeit von Schüben ab; die hochpsychotischen halluzinatorischen Phasen werden bei den meisten Patienten seltener. Es findet eine Verschiebung hin zu Defektsymptomatik statt: Mangelnde Empathie, Rückzug und geringere Kontakte stehen im Vordergrund. „Es ist umstritten, ob Schizophrenie ein Risikofaktor für Demenz ist. Hier ist die Datenlage nicht klar“, berichtet Fischer.

Depressionen können bei Patienten auftreten, die schon früher depressive Episoden aufwiesen; aber auch das erstmalige Auftreten im Alter ist möglich. Die unter der Leitung von Peter Fischer durchgeführte Vienna Transdanube Ageing (VITA)-Studie des Ludwig Boltzmann Instituts für Altersforschung, die zwischen 1999 und 2012 durchgeführt wurde, ergab einen Anstieg von depressiven Symptomen mit zunehmendem Lebensalter. „Bei den über 80-Jährigen zeigte mehr als die Hälfte der Patienten zumindest zwei von zehn Symptome einer Depression.“ Da viele Patienten multimorbid waren, sei es allerdings schwierig, zu unterscheiden, ob es sich um eine echte Depression handle, eine organische Veränderung oder eine reaktive Veränderung. „Daher wird auch in der Literatur eine unterschiedliche Häufigkeit der Depression bei älteren Patienten beschrieben“, erklärt Studienautor Fischer.  

Im Alter treten Depression und Angststörung gehäuft gemeinsam auf. „Laut einer Longitudinalstudie, die in den Niederlanden durchgeführt wurde, können 50 Prozent der Depressiven auch mit einer Angststörung diagnostiziert werden. 25 Prozent der Menschen mit Angststörungen könnten auch als depressiv diagnostiziert werden“, berichtet Fischer. Wancata betont, dass sich die beiden Erkrankungen dennoch gut voneinander abgrenzen lassen. Symptome der Depression – auch bei älteren Menschen – sind Antriebslosigkeit, Schlafstörungen und eine depressive Stimmungslage. Bei Angststörungen hingegen treten Schlafstörungen nur selten auf.

„Die generalisierte Angststörung ist die psychiatrische Erkrankung des alten Menschen, die bei Jungen selten ist und mit zunehmendem Alter ansteigt. In keiner epidemiologischen Studie wird sie mit weniger als zehn Prozent angegeben“, weiß Fischer. Im Übrigen vertritt er auch die Ansicht, dass die Diagnose einer echten Depression beim älteren Menschen immer schwieriger wird. „Als jüngerer Mensch hat man Schwierigkeiten, sich in die Situation des älteren Menschen hinein zu fühlen. Daher wird viel auf das Alter und auf körperliche Symptome zurückgeführt und das Problem als dem Alter zugehörig gesehen.“

Besonders die Überlappung der Symptome einer Depression mit den Symptomen einer körperlichen Erkrankung kann die Diagnose erschweren – vor allem, wenn Energielosigkeit das führende Symptom ist. Diese kann auf eine Depression hinweisen, ist aber auch typisch für Diabetes mellitus oder ein Karzinom. „Hier müssen mögliche körperliche Erkrankungen abgeklärt werden“, betont Wancata. „Allerdings kommt bei einer Depression auch die Stimmungslage hinzu, und das Spektrum der Symptome unterscheidet sich von rein körperlichen Erkrankungen.“

Auch in der Therapie gibt es Überlappungen zwischen Depression und Angststörung. Medikamentös kann eine generalisierte Angststörung mit Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern behandelt werden. Diese kommen auch bei der Behandlung von Depression zum Einsatz; ebenso auch neue Antidepressiva, die auf das noradrenerge System einwirken. „Duale Antidepressiva führen manchmal in den ersten Tagen der Therapie zur Verzögerung des Harnlassens besonders beim älteren Mann. Daher sind Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer die Empfehlung der ersten Wahl“, berichtet Fischer aus der Praxis.

Benzodiazepine als Unterstützung

Da es einige Wochen dauern kann, bis die Wirkung von Antidepressiva einsetzt, können depressive Patienten anfangs durch die niederdosierte Gabe von Benzodiazepinen unterstützt werden. Nach ein bis zwei Wochen sollte man sie allerdings aufgrund der Gefahr einer Abhängigkeit ausschleichen lassen. Trizyklische Antidepressiva wurden früher bei der Therapie von depressiven Patienten eingesetzt; bei älteren Patienten ist Vorsicht geboten, da sie ein Delir und Herzrhythmusstörungen auslösen können. „Wenn diese Medikamente einem Patienten bereits früher verschrieben wurden und er diese noch gut verträgt, können sie weitergegeben werden. Allerdings sollte man den Patienten unbedingt im Auge behalten!“, warnt Wancata.

Zeigen sich bei einem Patienten nach zwei Wochen Therapie noch keine Anzeichen einer Besserung, sollte die Diagnose überprüft und die Dosis überlegt werden. Dazu Wancata: „Bei Unsicherheit, wenn sich die Symptomatik verstärkt oder der Patient nicht anspricht sowie bei schweren Verläufen sollte der Patient an den Facharzt überwiesen werden. Auch wenn Wahn oder Halluzinationen auftreten, ist es sinnvoll, einen Facharzt hinzuziehen.“

Bei der Behandlung von Angststörungen sowie Depressionen bei älteren Menschen hat sich auch die Psychotherapie bewährt. „Die Rückfallsprophylaxe allein mit einer medikamentösen Therapie ist nicht ausreichend. Hier ist die Psychotherapie den Medikamenten in der Behandlung ebenbürtig“, weiß Fischer aus der Praxis.

Während bei Angststörungen auch die Verhaltenstherapie hilfreich sein kann, gibt es bei Patienten mit Depression keine wissenschaftliche Evidenz für ein besseres Ansprechen der Verhaltenstherapie im Vergleich mit tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie. Allerdings gestaltet sich gerade bei älteren Menschen die Suche nach einem geeigneten Therapeuten oft schwierig. „Der ältere Patient sitzt häufig einem jungen Menschen gegenüber und fühlt sich nicht gut verstanden. Schließlich muss ein älterer Mensch mit vielen Verlustereignissen fertig werden, die dem Therapeuten unbekannt sind“, berichtet Fischer. Häufig werde zuerst mit Psychopharmaka behandelt, bevor die Suche nach einem geeigneten Psychotherapeuten beginnt.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2020