Ori­gi­nal­ar­beit: Sport bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

25.11.2020 | Medizin


Weg von restrik­ti­ven Emp­feh­lun­gen oder gar einem Sport­ver­bot hin zu ver­ant­wor­tungs­vol­len indi­vi­du­el­len Trai­nings­emp­feh­lun­gen – diese Trend­wende wurde im Zuge der Vor­stel­lung der Leit­li­nien 2020 der Euro­päi­schen Gesell­schaft für Kar­dio­lo­gie (ESC) bei der dies­jäh­ri­gen Online­Jah­res­ta­gung voll­zo­gen. Das Prin­zip für sport­li­che Akti­vi­tät bei Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen: ver­ant­wor­tungs­voll und an das jewei­lige Risiko ange­passt.
Josef Nie­bauer*

Bei der Erstel­lung der Leit­li­nie wurde die zugrun­de­lie­gende Lite­ra­tur gemein­sam bewer­tet und in Abhän­gig­keit von deren Stärke und Aus­sa­ge­kraft Emp­feh­lun­gen von „wird emp­foh­len oder ist indi­ziert“ bis hin zu „wird nicht emp­foh­len“ gege­ben. Bei feh­len­der wis­sen­schaft­li­cher Evi­denz wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Emp­feh­lung eben nicht auf Publi­ka­tio­nen son­dern ledig­lich auf der Erfah­rung der Autoren beruht. Zu einem Schlie­ßen die­ser Lücken wird wie­der­holt aufgerufen.

Die Leit­li­nie wird inmit­ten einer seit Jahr­zehn­ten andau­ern­den und sich unge­bremst aus­brei­ten­den Pan­de­mie der kör­per­li­chen Inak­ti­vi­tät publi­ziert. Unbe­strit­ten ist, dass Bewe­gungs­man­gel ursäch­lich mit­ver­ant­wort­lich für die kar­dio­vas­ku­lä­ren Risi­ko­fak­to­ren Über­ge­wicht, Dia­be­tes mel­li­tus Typ 2, arte­ri­elle Hyper­to­nie und Hyper­cho­le­ste­rin­ämie ist, als deren Kon­se­quenz es zu Herz­er­kran­kun­gen und zu vor­zei­ti­gem Tod kommt. Auch ist bekannt, dass man­gelnde kör­per­li­che Leis­tungs­fä­hig­keit der stärkste Prä­dik­tor für kar­dio­vas­ku­läre aber auch Gesamt-Mor­bi­di­tät und ‑Mor­ta­li­tät ist. Diese Erkennt­nisse haben dazu geführt, dass in den Leit­li­nien eine Trend­wende weg von restrik­ti­ven Emp­feh­lun­gen oder gar Sport­ver­bot hin zu ver­ant­wor­tungs­vol­len aber den­noch eher groß­zü­gi­gen, indi­vi­du­el­len Trai­nings­emp­feh­lun­gen voll­zo­gen wurde.

Kein Sport ist keine Option

Kör­per­li­che Akti­vi­tät und Sport sind wesent­li­che Bestand­teile der Prä­ven­tion und Reha­bi­li­ta­tion nahezu aller chro­ni­schen Erkran­kun­gen, sodass kein Sport keine Option ist. Aus der durch­aus begrün­de­ten Sorge, dass Sport beim Betref­fen­den ein Trig­ger für Herz­in­farkt oder plötz­li­chen Herz­tod sein könnte, muss abge­wo­gen wer­den, ob der lebens­lange Ver­zicht auf kör­per­li­che Akti­vi­tät und Sport das Risiko für diese Ereig­nisse nicht gleich­falls erhöht.

Neu ist auch, dass der Auto­no­mie des Pati­en­ten bei der jewei­li­gen Ent­schei­dung ein grö­ße­rer Stel­len­wert gege­ben wird. Nach Dar­le­gung aller Befunde und wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nisse aber auch Berück­sich­ti­gung der indi­vi­du­el­len Situa­tion und Bedürf­nisse des Betref­fen­den wird nach einer gründ­li­chen und indi­vi­du­el­len Risi­ko­ab­schät­zung von betreu­en­dem Arzt und Pati­en­ten zusam­men eine Ent­schei­dung getrof­fen, die in der Akte ver­merkt und von bei­den Sei­ten mit­ge­tra­gen wird („shared decis­ion making“). Diese Art der Ent­schei­dungs­fin­dung ist vor allem bei Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen rele­vant, bei denen die wis­sen­schaft­li­che Evi­denz gering und somit die Wahr­schein­lich recht hoch ist, dass die Kol­la­te­ral­schä­den eines Sport­ver­bots schwer­wie­gen­der sind als die kon­trol­lierte indi­vi­du­ell dosierte Aus­übung von Sport.

Tat­säch­lich ist die Wahr­schein­lich­keit für einen plötz­li­chen Herz­tod bei Sport sehr nied­rig, sodass eine zu restrik­tive Hand­ha­bung der Sport­frei­gabe dem jeweils Betrof­fe­nen nicht gerecht wird. Aller­dings steigt die Wahr­schein­lich­keit dafür in Abhän­gig­keit von kar­dio­vas­ku­lä­ren Risi­ko­fak­to­ren bezie­hungs­weise bekann­ten oder auch zu die­sem Zeit­punkt nicht bekann­ten Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen. Per­so­nen, die völ­lig inak­tiv sind und an fort­ge­schrit­te­nen Herz­er­kran­kun­gen lei­den, soll­ten ihren Arzt kon­sul­tie­ren, bevor sie mit der Aus­übung von Sport begin­nen. Ziel ist es, nach gründ­li­cher Dia­gnos­tik Art, Umfang und Inten­si­tät der kör­per­li­chen Akti­vi­tät an das indi­vi­du­elle Risiko anzupassen.

Ebenso wie gesunde Erwach­sene jeden Alters sol­len auch Per­so­nen, die an einer Herz-Kreis­lauf-Erkran­kung lei­den, an drei bis sie­ben Tagen pro Woche – ins­ge­samt min­des­tens 150 Minu­ten – mit mode­ra­ter Inten­si­tät Sport trei­ben. Mode­rate Inten­si­tät bedeu­tet, dass es zu einem Anstieg der Atem- und Herz­fre­quenz beglei­tet von Schwit­zen kommt und man sich in kur­zen, nicht aber in lan­gen Sät­zen unter­hal­ten kann. Bes­ser als diese grobe Ein­tei­lung ist es, eine Ergo­me­trie mit Lak­tat­be­stim­mung oder eine Spiro-Ergo­me­trie durch­zu­füh­ren, sodass dann eine indi­vi­du­elle Trai­nings­emp­feh­lung gege­ben wer­den kann. Nicht nur Pati­en­ten mit Über­ge­wicht, Blut­hoch­druck oder Dia­be­tes mel­li­tus son­dern ganz all­ge­mein allen Per­so­nen wird emp­foh­len, zusätz­lich min­des­tens drei­mal pro Woche Kraft­trai­ning auszuüben.

Die Leit­li­nien decken nicht nur ein brei­tes Spek­trum an Sport bei unter­schied­li­chen Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen ab, son­dern geben auch Emp­feh­lun­gen zu kör­per­li­cher Akti­vi­tät und Sport wäh­rend der Schwan­ger­schaft, in gro­ßer Höhe oder Tiefe und auch bei Kälte und Hitze. Im Fol­gen­den wird auf einige Aspekte eingegangen.

Plötz­li­cher Herztod

Der plötz­li­che Herz­tod ist die häu­figste Sport-asso­zi­ierte Todes­ur­sa­che bei Sport­lern. Wäh­rend es sich bei Sport­lern unter 35 Jah­ren neben einer Myo­kar­di­tis meist um ange­bo­rene Herz­er­kran­kun­gen han­delt, ist es bei über 35-jäh­ri­gen Sport­lern meist eine erwor­bene Herz-Kreis­lauf- Erkran­kung; vor allem die Koro­nare Herz­krank­heit (KHK).

Die Sport­taug­lich­keits­un­ter­su­chung vor einer Teil­nahme an Frei­zeit- oder Leis­tungs­sport zielt daher auf die Erken­nung von Krank­hei­ten in Zusam­men­hang mit dem plötz­li­chen Herz­tod ab und beinhal­tet neben dem Ruhe-EKG auch ein Belas­tungs-EKG (wenn mög­lich Spiro-Ergo­me­trie) und je nach Sport­art sowie Trai­nings­um­fang und Trai­nings­in­ten­si­tät eine Echo­kar­dio­gra­phie. Bei ent­spre­chen­dem Alter und Risi­ko­fak­to­ren kann es ziel­füh­rend sein, den Kal­zi­ums­core der Koro­nar­ar­te­rien mit­tels Koro­nar-CT zu bestim­men. Sofern die Befunde ein gerin­ges Risiko für ein Sport-asso­zi­ier­tes kar­dia­les Ereig­nis erge­ben, kann der Betrof­fene für Frei­zeit- aber auch Leis­tungs­sport frei­ge­ge­ben wer­den. Bei Per­so­nen mit KHK und einem hohen Risiko für ein Sport-asso­zi­ier­tes Ereig­nis sowie bei myo­kar­dia­ler Ischä­mie (auch auf­grund einer Koro­nar­an­oma­lie) wird Leis­tungs­sport nicht emp­foh­len. Nach einem aku­ten Koro­nar­syn­drom aber auch bei chro­ni­scher KHK wer­den eine Reha­bi­li­ta­tion sowie regel­mä­ßige Kon­troll­un­ter­su­chun­gen empfohlen.

Chro­ni­sche Herzinsuffizienz

Trai­nings­pro­gramme für Pati­en­ten mit Herz­in­suf­fi­zi­enz ver­bes­sern die Belas­tungs­to­le­ranz und Lebens­qua­li­tät; sie soll­ten jedoch erst ein­ge­lei­tet wer­den, nach­dem die medi­zi­ni­sche The­ra­pie opti­miert wurde. Eine maxi­male Ergo­me­trie (mög­lichst Spiro-Ergo­me­trie) ist Vor­aus­set­zung für die Beur­tei­lung der kar­dio­pul­mo­n­a­len Leis­tungs­fä­hig­keit, der hämo­dy­na­mi­schen Funk­tion und der Indu­zier­bar­keit von Arrhyth­mien unter Belas­tung. Auch stel­len die Ergeb­nisse der Ergo­me­trie die Basis für die indi­vi­du­elle Dosie­rung der Trai­nings­the­ra­pie dar.

Herz­klap­pen­er­kran­kung

Asym­pto­ma­ti­sche Pati­en­ten mit leicht­gra­di­gen Herz­klap­pen­er­kran­kun­gen kön­nen im All­ge­mei­nen am Leis­tungs­sport teil­neh­men. Asym­pto­ma­ti­sche Pati­en­ten mit mit­tel­schwe­rer Klap­pen­er­kran­kung, guter myo­kar­dia­ler und hämo­dy­na­mi­scher Funk­tion und ohne Anzei­chen einer Myo­kar­di­schä­mie oder kom­ple­xen Arrhyth­mien wäh­rend einer maxi­ma­len Ergo­me­trie kön­nen nach gemein­sa­mer Ent­schei­dungs­fin­dung durch­aus am Leis­tungs­sport teilnehmen.

Aor­topa­thie

Per­so­nen mit einem Aor­ten­wur­zel-Durch­mes­ser unter 40 Mil­li­me­ter wei­sen das geringste Risiko für eine Dis­sek­tion auf. Eine Risiko-Stra­ti­fi­zie­rung durch Ergo­me­trie und Bild­ge­bung (Computertomographie/​kardiale Magnet­re­so­nanz­to­mo­gra­phie) wird vor Beginn des Trai­nings emp­foh­len. Sport­li­che Akti­vi­tät ver­rin­gert das Risiko von kar­dio­vas­ku­lä­ren Ereig­nis­sen und Mor­ta­li­tät. Grund­vor­aus­set­zung sind regel­mä­ßige Kontrollen.

Kar­dio­myo­pa­thien, Myo­kar­di­tis und Perikarditis

Bei Pati­en­ten mit hyper­tro­pher Kar­dio­myo­pa­thie sollte die Emp­feh­lung für sport­li­che Akti­vi­tä­ten indi­vi­du­ell erfol­gen. Patein­ten mit einer aku­ten Myo­kar­di­tis oder Peri­kar­di­tis dür­fen nicht am Sport teil­neh­men. Nach Aus­hei­lung einer Myo­kar­di­tis (meist drei bis sechs Monate nach Dia­gno­se­stel­lung) oder Peri­kar­di­tis (je nach Ver­lauf eher als bei Myo­kar­di­tis) erfolgt eine umfas­sende Dia­gnos­tik ein­schließ­lich einer maxi­ma­len Ergo­me­trie (mög­lichst Spiro-Ergo­me­trie), um das Risiko von belas­tungs­in­du­zier­ten Arrhyth­mien zu beurteilen.

Eine leicht redu­zierte links­ven­tri­ku­läre Ejek­ti­ons­frak­tion (LVEF) mit LV-Dila­ta­tion kann eine phy­sio­lo­gi­sche Anpas­sung an das Trai­ning sein, kann aber auch auf eine bestehende Kar­dio­myo­pa­thie hin­wei­sen. Trai­nings­ana­mnese (zum Bei­spiel lang­jäh­ri­ger inten­si­ver Aus­dau­er­sport), Ver­laufs­kon­trol­len, Stress­Echo­kar­dio­gra­phie und/​oder Kern­spin­to­mo­gra­phie mög­lichst unter kör­per­li­cher Belas­tung sind hier ziel­füh­rend. Bei nach­ge­wie­se­ner arrhyth­mo­ge­ner Kar­dio­myo­pa­thie ist Leis­tungs­sport kon­tra­in­di­ziert, da die­ser nach­weis­lich zum akzel­le­rier­ten Krank­heits­ver­lauf mit früh­zei­ti­gem Tod füh­ren kann.

Arrhyth­mien und Kanalopathien

Fol­gende drei Prin­zi­pien sind wesentlich:

  1. Ver­hin­de­rung von lebens­be­droh­li­chen Arrhyth­mien wäh­rend des Trainings;
  2. Sym­ptom-Manage­ment;
  3. Ver­hin­dern eines Sport-indu­zier­ten Fort­schrei­tens des arrhyth­mo­ge­nen Substrats.

Bei Ath­le­ten mit supra­ven­tri­ku­lä­rer Tachy­kar­die (SVT) sollte eine Prä­ex­zi­ta­tion aus­ge­schlos­sen und mög­lichst eine kura­tive Kathe­terab­la­tion in Betracht gezo­gen wer­den. Bei pro­fes­sio­nel­len Leis­tungs­sport­lern mit asym­pto­ma­ti­scher Prä­ex­zi­ta­tion wird eine elek­tro­phy­sio­lo­gi­sche Unter­su­chung und nach Risi­ko­ab­schät­zung gege­be­nen­falls eine Abla­tion empfohlen.

Bei Patienten/​Sportlern mit rezi­di­vie­ren­dem sym­pto­ma­ti­schem Vor­hof­flim­mern, die keine Medi­ka­mente ein­neh­men möch­ten oder diese nicht ver­tra­gen, wird eine Kathe­terab­la­tion emp­foh­len. Wäh­rend einer Anti­ko­agu­la­tion ist von Kon­takt­sport­ar­ten abzusehen.

Bei Vor­hoff­lat­tern sollte eben­falls eine Abla­tion in Betracht gezo­gen wer­den. Patienten/​Sportler mit ven­tri­ku­lä­ren Rhyth­mus­stö­run­gen müs­sen auf zugrunde lie­gende struk­tu­relle oder fami­liäre arrhyth­mo­gene Erkran­kun­gen unter­sucht wer­den. Bei Kanalo­pa­thien wie Long-QT- oder Brugada-Syn­drom wird zur Ent­schei­dungs­fin­dung gege­be­nen­falls ein Kar­dio­ge­ne­ti­ker und/​oder Elek­tro­phy­sio­loge hinzugezogen.

Pati­en­ten mit Herz­schritt­ma­chern soll­ten unter Berück­sich­ti­gung der Grund­er­kran­kung zum Sport ermu­tigt wer­den (cave: Kol­li­si­ons­sport). Dies gilt auch für Patienten/​Sportler mit implan­tier­ba­ren Kar­dio­ver­tern-Defi­bril­la­to­ren, bei denen jedoch zusätz­lich die Kon­se­quen­zen von mög­li­chen Schocks und/​oder Syn­ko­pen wäh­rend des Sports sowohl für sich selbst als auch für Betei­ligte berück­sich­tigt wer­den müs­sen (zum Bei­spiel beim Tau­chen oder Klettern).

Ange­bo­rene Herzerkrankungen

Pati­en­ten mit ange­bo­re­nen Herz­er­kran­kun­gen soll­ten nach Mög­lich­keit zum Sport ermu­tigt wer­den. Wesent­lich für die Ent­schei­dungs­fin­dung sind: ven­tri­ku­läre Funk­tion, Pul­mo­n­al­arte­ri­en­druck, Aor­ten­durch­mes­ser, gege­be­nen­falls Arrhyth­mien und Sau­er­stoff­sät­ti­gung. Eine Spiro-Ergo­me­trie ist unabdingbar. 


*) Univ. Prof. DDr. Josef Nie­bauer, MBA;
Vor­sit­zen­der des Nukleus für Sport­kar­dio­lo­gie der Euro­pean
Society of Car­dio­logy und Co-Autor der Leit­li­nie; Uni­ver­si­täts­in­sti­tut für prä­ven­tive und reha­bi­li­ta­tive Sportmedizin/​
Uni­kli­ni­kum Salz­burg; Lind­hofstr. 20, 5020 Salz­burg;
Tel.: 05/​7255/​23200; E‑Mail: j.niebauer@salk.at

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 22 /​25.11.2020