Ori­gi­nal­ar­beit: Sep­sis: inno­va­tive Behandlungsstrategien

25.10.2020 | Medizin


Die Sep­sis stellt mit 28 Pro­zent eine der Haupt­to­des­ur­sa­chen auf einer Inten­siv­sta­tion dar. Durch die unspe­zi­fi­schen Sym­ptome wird die früh­zei­tige Dia­gnos­tik erschwert. Eine Schlüs­sel­rolle bei der Patho­ge­nese spielt ver­mut­lich die mito­chon­driale Dys­funk­tion.
Michael B. Fischer*

All­ge­mei­nes

Die Sep­sis stellt sowohl medi­zi­nisch als auch gesund­heits­öko­no­misch eine große Her­aus­for­de­rung für die behan­deln­den Ärz­tin­nen und Ärzte, Kran­ken­häu­ser und das Gesund­heits­sys­tem ins­ge­samt dar. Die Ursa­chen hier­für sind die immer noch zahl­rei­chen Pro­bleme bei 

1) der Inter­pre­ta­tion der nicht immer kla­ren Sym­ptome,
2) der siche­ren Iden­ti­fi­zie­rung des Krank­heits­er­re­gers,
3) der Ermitt­lung der rich­ti­gen Labor­werte und
4) der Wahl der adäqua­ten Therapie. 

Die frühe Dia­gno­se­stel­lung ist äußerst wich­tig, wird aber erschwert durch unspe­zi­fi­sche Sym­ptome. Auch ist die Erre­ger­dia­gnos­tik oft lang­wie­rig, kom­pli­ziert und nicht immer ein­deu­tig. Ebenso zei­gen die zu Beginn der Erkran­kung erho­be­nen Labor­werte keine klare Rich­tung. Für das Über­le­ben des Pati­en­ten ist jedoch die schnell ein­set­zende The­ra­pie, die Erre­ger­spe­zi­fisch und dem indi­vi­du­el­len Ver­lauf der Sep­sis ange­passt sein muss, wichtig.

Sep­sis ist eine Haupt­to­des­ur­sa­che auf der Inten­siv­sta­tion mit einer Leta­li­tät von durch­schnitt­lich 28 Pro­zent. Pati­en­ten mit einer Sep­sis müs­sen im Ver­gleich zu nicht­septischen Pati­en­ten deut­lich län­ger auf der Inten­siv­sta­tion behan­delt wer­den. Neben dem Schwe­re­grad des sep­ti­schen Krank­heits­bil­des gibt es eine Viel­zahl wei­te­rer Fak­to­ren, die die Leta­li­tät beein­flus­sen kön­nen. Liegt der Pati­ent beim Auf­tre­ten eines sep­ti­schen Schocks auf der Nor­mal­sta­tion, hat er auf­grund des spä­te­ren The­ra­pie­be­ginns ein deut­lich höhe­res Sterb­lich­keits­ri­siko als auf der Inten­siv­sta­tion. Auch wenn die Leta­li­tät der schwe­ren Sep­sis per se durch die Ver­bes­se­rung von unter­stüt­zen­den Maß­nah­men zurück­ge­gan­gen ist, muss auf­grund der demo­gra­fi­schen Ver­än­de­run­gen und einer immer älter wer­den­den Gesell­schaft mit einer Zunahme der Sepsis­Häufigkeit gerech­net wer­den. Auch wenn der Betrof­fene die Sep­sis anfäng­lich über­lebt, bleibt sein Mor­ta­li­täts­ri­siko noch über Jahre hin­weg erhöht – und zwar abhän­gig von der Krank­heits­schwere, dem Alter, den Neben­er­kran­kun­gen und der Loka­li­sa­tion der zugrun­de­lie­gen­den Infektion.

Kos­ten­in­ten­sive Therapie

Die Kos­ten für eine Inten­siv­the­ra­pie bei die­sen Pati­en­ten sind auf­grund der lan­gen Ver­weil­dau­ern und der auf­wän­di­gen Behand­lung außer­or­dent­lich hoch. Die Höhe der direk­ten The­ra­pie­kos­ten hän­gen unter ande­rem von dem Schwe­re­grad der Erkran­kung, der Not­wen­dig­keit inva­si­ver Ein­griffe und der Ver­weil­dauer auf der Inten­siv­sta­tion ab. Inten­siv­pa­ti­en­ten kön­nen somit nicht als eine kos­ten­ho­mo­gene Pati­en­ten­gruppe gese­hen wer­den, denn bei jedem ein­zel­nen Pati­en­ten schwan­ken die Tages­kos­ten abhän­gig vom Krank­heits­ver­lauf erheb­lich. Ergänzt man die indi­rek­ten Kos­ten, die der Gesell­schaft bei­spiels­weise durch den krank­heits­be­ding­ten Arbeits­aus­fall ent­ste­hen, resul­tiert infolge der hohen Inzi­denz ins­ge­samt eine beacht­li­che sozio­öko­no­mi­sche Belas­tung. Die über mäßig hohen direk­ten und indi­rek­ten Kos­ten, die eine Sep­sis sozio­öko­no­misch ver­ur­sacht, gibt der Ent­wick­lung inno­va­ti­ver The­ra­pien Möglichkeiten. 

Stra­te­gi­sche Maß­nah­men, die einer Sep­sis ent­ge­gen­wir­ken kön­nen, lie­gen einer­seits in der Pro­phy­laxe (for­cierte Hygie­ne­maß­nah­men und gezielte Imp­fun­gen); ande­rer­seits in der Ver­bes­se­rung der Dia­gnos­tik. Hier gilt es, effi­zi­en­tere und prä­zi­sere Erre­ger­nach­weise zu ent­wi­ckeln, ver­läss­li­che und rele­vante Labor­werte zu bestim­men, den Nach­weis eines mas­si­ven Zytokin­ und Chemokin­Anstiegs nach­zu­wei­sen, um Hyper­im­mu­ni­tät von der Hypo­im­mu­ni­tät (Immun­pa­ra­lyse) zu tren­nen und geeig­nete Metho­den zu ent­wi­ckeln, um die Immun­zell­funk­tion in den unter­schied­li­chen Pha­sen der Sep­sis zu über­wa­chen. Die Erhe­bung spe­zi­el­ler Labor­pa­ra­me­ter ist wesent­lich für das Ver­laufs­mo­ni­to­ring und führt zu einer deut­li­chen Ver­bes­se­rung des Out­co­mes, spe­zi­ell bei einem schwe­ren Verlauf.

In den letz­ten Jah­ren wurde eine Viel­zahl an inno­va­ti­ven The­ra­pien ent­wi­ckelt, die eine effi­zi­en­tere Bekämp­fung der Viru­lenz-Mecha­nis­men der Sep­sis-Erre­ger ermög­li­chen oder auf unter­schied­li­chen Ebe­nen die Ver­än­de­run­gen im Immun­sys­tem und in der Blut­ge­rin­nung, die im Rah­men der Sep­sis auf­tre­ten, modu­lie­ren können. 

Dazu zäh­len

1) Ent­wick­lung von hoch wirk­sa­men Breitbandantibiotika/​Antimykotika; der Ein­satz von akti­vier­tem Pro­tein C oder die inten­si­vierte Insulintherapie.

2) Ent­wick­lung inno­va­ti­ver The­ra­pien zur Blut­rei­ni­gung
Diese sind ein wei­te­rer Ansatz, die in der Sep­sis ver­bun­dene Dys­re­gu­la­tion des Immun­sys­tems zu kon­trol­lie­ren, von der bekannt ist, dass sie Organ­stö­run­gen her­vor­ruft. Es wur­den ver­schie­dene The­ra­pien ent­wi­ckelt, um in bestimm­ten Pha­sen der Immun­schwä­che gezielt ein­zu­grei­fen. Ein Blut­rei­ni­gungs­ver­fah­ren kon­zen­triert sich auf die Besei­ti­gung von Endo­to­xin, das die Immun­kas­kade aus­löst, und die bei der Sep­sis vor­kom­mende Organ­schä­den mit­ver­ur­sacht. In einem wei­te­ren Ansatz wur­den hoch­ad­sorp­tive Par­ti­kel oder Mem­bra­nen ent­wi­ckelt, die die Eigen­schaf­ten der Ent­fer­nung von Zyto­ki­nen kom­bi­nie­ren mit der Ent­fer­nung von Endo­to­xin sowie eine anti-throm­bo­gene Eigen­schaft zei­gen. Diese Ent­wick­lun­gen fol­gen der kli­ni­schen Not­wen­dig­keit, sich nicht nur auf den Erre­ger selbst zu kon­zen­trie­ren, son­dern auch das Immun­sys­tem und das Gerin­nungs­sys­tem einzuschließen. 

The­ra­pien in Verwendung

Fol­gende The­ra­pien kom­men bereits zum Einsatz: 

a) Toray­myxin-Adsor­ber (Toray­myxin®; Toray, Tokio/​Japan) Endo­to­xin-Ent­fer­nung mit Poly­myxin B‑immobilisierten Fasersäulen.

b) Alteco® LPS-Adsor­ber (Alteco Medi­cal AB; Lund/​Schweden) ent­hält ein syn­the­ti­sches Pep­tid für die Endotoxin-Adsorption.

c) Hoch­vo­lu­mige Hämo­fil­tra­tion (HVHF) ist eine kon­ti­nu­ier­li­che Nie­ren­er­satz­the­ra­pie (CRRT) mit einer hohen Ultra­fil­tra­ti­ons­rate, die eine ver­bes­serte Ent­fer­nung von hydro­phi­len Mole­kü­len mit mitt­le­rem Mole­ku­lar­ge­wicht bietet. 

d) oXiris®-Membran: eine mit Hepa­rin beschich­tete Mem­bran, die die Adsorp­tion von Zyto­ki­nen und Endo­to­xi­nen verspricht.

Viel­ver­spre­chend: extra­kor­po­rale Blutreinigung

Wäh­rend der Infek­tion wer­den Patho­gen-asso­zi­ierte mole­ku­lare Mus­ter (PAMPs) von Mus­ter­er­ken­nungs-Rezep­to­ren (PRRs) erkannt, die auf der Ober­flä­che von Immun­zel­len zu fin­den sind. Die­ses Signal akti­viert Immun­zel­len und indu­ziert die Syn­these von pro- und anti-inflamm­a­to­ri­schen Zyto­ki­nen. Die­ser Zytok­in­sturm ist für die schwer­wie­gen­den Organ­stö­run­gen ver­ant­wort­lich. Ver­letzte oder beschä­digte Zel­len in Gewebe und Orga­nen expri­mie­ren auf ihrer Ober­flä­che gewisse schä­di­gungs­as­so­zi­ierte mole­ku­lare Mus­ter (DAMPs), die im Kreis­lauf frei­ge­setzt wer­den und Immun­zel­len akti­vie­ren. Diese Leu­ko­zy­ten-Akti­vie­rung kann vor allem dann, wenn sie stark und unkon­trol­liert erfolgt, Ent­zün­dungs­pro­zesse anhei­zen. Nach dem anfäng­li­chen Zytok­in­sturm in der Akut­phase kann ein immun­pa­ra­ly­ti­scher Zustand in einer spä­te­ren Phase der Erkran­kung auf­tre­ten, der zu den schwe­ren Sep­sis-asso­zi­ier­ten Sym­pto­men füh­ren kann.

3) Ein Ansatz, der gezielt den Sep­sis-indu­zier­ten Organ­funk­ti­ons­stö­run­gen ent­ge­gen­wirkt, kon­zen­triert sich auf die Rolle der Mito­chon­drien bei der Modu­la­tion des Ener­gie­stoff­wech­sels. Mito­chon­drien spie­len neben der Bereit­stel­lung von Ener­gie auch eine Schlüs­sel­rolle bei (1) der Auf­recht­erhal­tung der zel­lu­läre Ca2++ ‑Homöo­stase durch Auf­nahme, Puf­fe­rung und Extru­sion von Ca++, (2) bei der Syn­these von Ste­ro­id­hor­mo­nen, (3) der Regu­lie­rung der nor­ma­len Kör­per­tem­pe­ra­tur durch mito­chon­driale Ent­kopp­lung und (4) der Steue­rung des Mito­chon­drien-indu­zier­ten Zell­tods. Des­halb nimmt man an, dass die mito­chon­driale Dys­funk­tion eine Schlüs­sel­rolle bei der Patho­ge­nese der Sep­sis spielt und die Unter­stüt­zung der mito­chon­dria­len Funk­tion zu (1) einer Ver­rin­ge­rung des ATP-Bedarfs durch meta­bo­li­sche Modu­la­tion, (2) zur Erleich­te­rung der ATP-Pro­duk­tion und (3) zur Stei­ge­rung der anti-oxi­da­tiven Kapa­zi­tät führt, um oxi­da­tive Schä­den an Mito­chon­drien von Zel­len lebens­wich­ti­ger Organe abzuwehren.

4) Ein wei­te­rer Ansatz, der Sepsis­induzierten Organ­funk­ti­ons­stö­rung ent­ge­gen­zu­wir­ken, schließt die High­Density­Lipoproteine (HDLs) ein. HDLs gel­ten als Cho­le­ste­rin­trans­por­ter, die für den umge­kehr­ten Cho­le­ste­rin­trans­port von Gewe­ben zurück zur Leber ver­ant­wort­lich sind, da sie hydro­phobe Lipide in einer pri­mä­ren hydro­phi­len Umge­bung wie dem Plasma trans­por­tie­ren kön­nen. Lipo­pro­te­ine sind nicht nur Lipid­trans­por­ter, son­dern zei­gen auch wich­tige Funk­tio­nen in vie­len Aspek­ten der Immu­ni­tät. HDLs kön­nen in der Früh­phase der Sep­sis eine wich­tige Rolle spie­len, indem sie die Klä­rung von zir­ku­lie­ren­den gram­po­si­ti­ven wie auch gram­ne­ga­ti­ven Bak­te­rien ver­bes­sern. Es wurde auch gezeigt, dass HDLs eine gerin­nungs­hem­mende Akti­vi­tät über die Ver­stär­kung des akti­vier­ten Pro­te­ins C/​Protein S zei­gen. Zusätz­lich zu ihrer direk­ten Wir­kung auf die Gerin­nungs­kas­kade kön­nen HDLs auch die pro­throm­bo­ti­sche Wir­kung von über­ak­ti­vier­ten neu­tro­phi­len Gra­nu­lo­zy­ten begren­zen. Als Reak­tion auf LPS sto­ßen neu­tro­phile Gra­nu­lo­zy­ten ihre DNA aus und bil­den ein Netz, das bak­te­ri­zide Pro­te­ine wie Ela­s­tase, Cathep­sin G oder His­tone ein­fängt, um die Aus­brei­tung von Bak­te­rien zu begrenzen. 

5) Mesen­chy­male Stamm­zel­len (MSCs) bezie­hungs­weise Extra­zel­lu­läre Ves­ikel von MSCs als the­ra­peu­ti­sche Option bei Sep­sis; Auf­grund ihrer ein­zig­ar­ti­gen repa­ra­ti­ven, ent­zün­dungs­hem­men­den und anti­apoptotischen Eigen­schaf­ten sowie ihrer Fähig­keit, die Immun­ant­wort zu modu­lie­ren, wur­den mesen­chy­male Stamm­zel­len (MSCs) in prä­kli­ni­schen und kli­ni­schen Stu­dien zur Bekämp­fung der Sep­sis ein­ge­setzt und haben zum Teil ihr gro­ßes the­ra­peu­ti­sches Poten­tial gezeigt. Es gab jedoch Beden­ken, ob eine zell­ba­sierte The­ra­pie mit MSCs Neben­wir­kun­gen haben könnte, die von einer HLA­Immunisierung bei Ver­wen­dung allo­ge­ner MSCs bis zu einer Aus­bil­dung von Nar­ben­ge­webe oder einer Organ­fi­brose durch Dif­fe­ren­zie­rung von MSCs in Fibro­blas­ten rei­chen kann. Extra­zel­lu­läre Ves­ikel (EVs), die von MSCs (MSC­EVs) abge­lei­tet sind, schei­nen jedoch einen ähn­li­chen the­ra­peu­ti­schen Nut­zen wie MSCs beim Schutz vor Sepsis­induzierter Organ­funk­ti­ons­stö­rung aus­zu­üben, ohne aber die bekann­ten Neben­wir­kun­gen zu zei­gen. MSC­EVs ver­mit­teln ihre immun­re­gu­la­to­ri­sche Funk­tion unter ande­rem, indem sie eine Ladung lie­fern, die RNAs (messenger­ und inhi­bi­to­ri­sche RNA), Pro­te­ine (5.000 Arten, mit Zytokin­, Chemokin­, Wachstumsfaktor­ und tole­ro­ge­ner Wir­kung) und Lipi­den (Cho­le­ste­rin, Gly­kosphin­go­li­pide und Phos­pha­ti­dyl­se­rin) beinhal­tet. MSC­EVs kön­nen als neu­ar­tige nicht zell­ba­sierte The­ra­pie bei Sep­sis ein­ge­setzt wer­den, weil sie hoch­sta­bil und für die Lang­zeit­la­ge­rung ohne Zusatz von poten­ti­ell toxi­schen Kryo­kon­ser­vie­rungs­mit­teln geeig­net sind, eine stär­kere Signal­über­tra­gung in der inter­zel­lu­lä­ren Kom­mu­ni­ka­tion indu­zie­ren kön­nen, indem sie funk­tio­nelle Pro­te­ine und miR­NAs direkt auf die Emp­fän­ger­zel­len über­tra­gen und nach allo­ge­ner Anwen­dung kein hete­ro­lo­ges Risiko und keine Immun­ant­wort ver­ur­sa­chen. Aus kli­ni­scher Sicht muss zur Defi­ni­tion eines MSC­EV­Produkts eine defi­nierte Methode aus­ge­wählt und opti­miert wer­den, um MSC­EVs in gro­ßem Maß­stab her­zu­stel­len und um das Pro­dukt sowie die Dosie­rung und Halb­werts­zeit des MSC­EVs­Produkts zu validieren.

Lite­ra­tur beim Verfasser

*) Univ. Prof. Dr. Michael B. Fischer, 
Depart­ment für Bio­me­di­zi­ni­sche Forschung/​Donau 
Uni­ver­si­tät Krems, Dr. Karl-Dor­rek-Straße 30, 3500 Krems; 
Tel. +43 2732 893‑2685; E‑Mail: michael.fischer@donau-uni.ac.at

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2020