Ori­gi­nal­ar­beit: Extra­zel­lu­läre Vesikel

10.09.2020 | Medizin

Die in allen Kör­per­flüs­sig­kei­ten ent­hal­te­nen extra­zel­lu­lä­ren Ves­ikel wer­den sowohl unter phy­sio­lo­gi­schen als auch unter patho­lo­gi­schen Bedin­gun­gen frei­ge­setzt. Mikro­ve­s­ikel, Exo­so­men und apo­pto­ti­sche Kör­per­chen spie­len u.a. bei der Gerin­nung und Immun­mo­du­la­tion eine Rolle.
Vik­to­ria Weber et al.*

Für alle mul­ti­zel­lu­lä­ren Orga­nis­men ist der Aus­tausch von Infor­ma­tio­nen zwi­schen Zel­len von zen­tra­ler Bedeu­tung. Die inter­zel­lu­läre Kom­mu­ni­ka­tion kann durch direk­ten Zell-Zell-Kon­takt, durch lös­li­che Fak­to­ren oder durch Mem­bran-umhüllte Ves­ikel – soge­nannte extra­zel­lu­läre Ves­ikel – erfolgen.

Zel­len set­zen sowohl unter phy­sio­lo­gi­schen als auch unter patho­lo­gi­schen Bedin­gun­gen extra­zel­lu­läre Ves­ikel frei. Diese sind in allen Kör­per­flüs­sig­kei­ten – etwa im Blut, im Harn, im Spei­chel, in der Mut­ter­milch oder in der Trä­nen­flüs­sig­keit nach­weis­bar und für die Ana­lyse zugäng­lich. Extra­zel­lu­läre Ves­ikel wur­den erst­mals in den 1960er Jah­ren beschrie­ben. Ins­be­son­dere wurde beob­ach­tet, dass Blut­plätt­chen nach ihrer Akti­vie­rung sub­mikro­sko­pisch kleine Par­ti­kel ins Blut abge­ben. Die­sen Par­ti­keln wurde aller­dings keine wesent­li­che bio­lo­gi­sche Bedeu­tung zuge­schrie­ben, wes­halb man sie auch als „Plätt­chen­staub“ bezeich­nete. Erst Mitte der 1990er Jahre wurde erst­mals die immun­mo­du­lie­rende Rolle die­ser Ves­ikel beschrie­ben und ihre Bedeu­tung als Über­trä­ger von Infor­ma­tio­nen zwi­schen Zel­len erkannt. Dies ent­fachte das Inter­esse an der Erfor­schung ihrer viel­fäl­ti­gen Rol­len und ließ ihr gro­ßes Anwen­dungs­po­ten­tial für Dia­gnos­tik und The­ra­pie erkenn­bar werden.

Klas­si­fi­zie­rung und Biogenese

Extra­zel­lu­läre Ves­ikel bil­den eine hete­ro­gene Gruppe von Ves­ik­eln in einem Grö­ßen­be­reich von etwa 30 bis 5.000 Nano­me­ter, die von einer Mem­bran­dop­pel­schicht umge­ben sind. Anhand ihrer unter­schied­li­chen Bio­ge­nese unter­schei­det man drei Gruppen:

1) Mikro­ve­s­ikel wer­den von der Zell­mem­bran abge­schnürt, tra­gen nega­tiv gela­dene Lipide wie Phos­pha­ti­dyl­se­rin an ihrer Ober­flä­che und besit­zen eine Größe von 100 bis 1.000 Nanometer.
2) Exo­so­men stam­men aus dem Zell­in­ne­ren und wei­sen mit zehn bis 100 Nano­me­ter einen gerin­ge­ren Durch­mes­ser auf.
3) Apo­pto­ti­sche Kör­per­chen wer­den beim kon­trol­lier­ten Zell­tod gebil­det. Sie wer­den eben­falls von der Zell­mem­bran abge­schnürt und haben eine Größe von mehr als einem Mikrometer.

Eine ein­deu­tige ana­ly­ti­sche Unter­schei­dung die­ser drei Popu­la­tio­nen allein anhand ihrer Größe oder ihrer Ober­flä­chen­mo­le­küle ist auf­grund ihrer stark über­lap­pen­den Eigen­schaf­ten mit dem der­zei­ti­gen Stand der Tech­nik nicht mög­lich. Daher schla­gen die inter­na­tio­na­len Fach­ge­sell­schaf­ten ISEV (Inter­na­tio­nal Society for Extra­cel­lu­lar Vesic­les), ISTH (Inter­na­tio­nal Society on Throm­bo­sis and Hemo­sta­sis) sowie die ISAC (Inter­na­tio­nal Society for the Advance­ment of Cyto­me­try) für diese drei Grup­pen die Ver­wen­dung des Sam­mel­be­griffs „Extra­zel­lu­läre Ves­ikel“ vor.

Gezielte Bela­dung

Die Bela­dung extra­zel­lu­lä­rer Ves­ikel mit funk­tio­nel­len Mole­kü­len erfolgt gezielt. Die­ses spe­zi­fi­sche Bela­den von Exo­so­men mit Pro­te­inen, Lipi­den, Enzy­men, DNA sowie mit ver­schie­de­nen For­men von RNA (rRNA, tRNA, mRNA, miRNA) kann über den ESCRT-Kom­plex (endo­so­mal sort­ing com­ple­xes requi­red for trans­port) bezie­hungs­weise über akzes­so­ri­sche Pro­te­ine ver­mit­telt wer­den oder aber davon unab­hän­gig erfol­gen, wobei die Mecha­nis­men, wel­che der geziel­ten Bela­dung zugrunde lie­gen, noch Gegen­stand der For­schung sind. Neben dem Trans­port von Mole­kü­len in ihrem Inne­ren kön­nen extra­zel­lu­läre Ves­ikel auch an ihrer Ober­flä­che Pro­te­ine bin­den und diese an ihre jewei­li­gen Ziel­zel­len wei­ter­ge­ben. Es gibt Hin­weise dar­auf, dass Pro­te­ine durch die Bin­dung an Ves­ik­el­ober­flä­chen ihre Kon­for­ma­tion und damit auch ihre funk­tio­nel­len Eigen­schaf­ten ändern können.

Charakterisierung

Die Anrei­che­rung, Rei­ni­gung und Cha­rak­te­ri­sie­rung von extra­zel­lu­lä­ren Ves­ik­eln erfor­dert beson­dere Sorg­falt bei der Pro­ben­nahme, Pro­ben­auf­be­rei­tung und Ana­lyse, um Arte­fakte zu ver­mei­den und ver­gleich­bare sowie repro­du­zier­bare Ergeb­nisse zu erzie­len. Die ISEV emp­fiehlt in ihren Richt­li­nien die Ver­wen­dung einer Kom­bi­na­tion ver­schie­de­ner Mar­ker und Metho­den zur Cha­rak­te­ri­sie­rung der Ves­ikel, um ihrer Hete­ro­ge­ni­tät gerecht zu wer­den. Zu den am bes­ten eta­blier­ten Ver­fah­ren zäh­len die Durch­fluss­zy­to­me­trie, die dyna­mi­sche Licht­streu­ung, sowie die hoch­auf­lö­sende kon­fo­kale Mikro­sko­pie und die Kryo­elek­tro­nen­mi­kro­sko­pie, letz­tere ins­be­son­dere zur Dar­stel­lung ein­zel­ner Vesikel.

Die Durch­fluss­zy­to­me­trie erlaubt – etwa in Blut- oder Plas­ma­pro­ben – die Cha­rak­te­ri­sie­rung von Ves­ik­eln ohne vor­her­ge­hende Iso­lie­rung. Dies bie­tet den wesent­li­chen Vor­teil, dass durch die Auf­rei­ni­gung bedingte Ver­luste oder Arte­fakte weit­ge­hend ver­mie­den wer­den kön­nen und dass die Inter­ak­tion von Ves­ik­eln mit Zel­len auf direk­tem Weg unter­sucht wer­den kann. Dar­über hin­aus sind damit an Hand von Mar­kern Rück­schlüsse auf die jewei­lige zel­lu­läre Her­kunft der Ves­ikel mög­lich. Limi­tie­ren­der Fak­tor ist die Detek­ti­ons­grenze, die mit dem der­zei­ti­gen Stand der Tech­nik bei etwa 200 Nano­me­ter liegt, sodass klei­nere Ves­ikel – und damit ein Groß­teil der Exo­so­men – auf direk­tem Weg nicht durch­fluss­zy­to­me­trisch cha­rak­te­ri­siert wer­den kön­nen. Lösungs­an­sätze bestehen hier zum einen in der Immo­bi­li­sie­rung von Exo­so­men auf magne­ti­schen Trä­ger­par­ti­keln, die Anti­kör­per gegen Exo­so­men­mar­ker wie CD9, CD63 oder CD81 tra­gen, und der durch­fluss­zy­to­me­tri­schen Cha­rak­te­ri­sie­rung der auf den Trä­ger­par­ti­keln gebun­de­nen Exo­so­men. Zum ande­ren kön­nen fluo­res­zenz­mar­kierte Exo­so­men so viel Licht erzeu­gen, dass dies als Ent­schei­dungs­kri­te­rium für die Bestim­mung der Par­ti­kel her­an­ge­zo­gen wird und somit auch Exo­so­men, die klei­ner als 200 Nano­me­ter sind, bestimmt wer­den können.

Vor­teile durch Kryoelektronenmikroskopie

Die dyna­mi­sche Licht­streu­ung oder Nano­par­ticle Track­ing Ana­ly­sis (NTA) nutzt die Brown´sche Mole­ku­lar­be­we­gung zur Cha­rak­te­ri­sie­rung extra­zel­lu­lä­rer Ves­ikel. An Ves­ik­eln gestreu­tes Laser­licht wird mikro­sko­pisch erfasst. Vom Weg, den ein Par­ti­kel über die Zeit zurück­legt, kann auf seine Größe rück­ge­schlos­sen wer­den. Mit­tels NTA kön­nen Grö­ßen­ver­tei­lung und Par­ti­kel­kon­zen­tra­tion bestimmt wer­den, wobei die Streu­licht­mes­sung jedoch alle in der Probe vor­han­de­nen Par­ti­kel – also bei­spiels­weise auch Lipo­pro­te­ine oder Pro­te­in­ag­gre­gate erfasst – und somit nicht spe­zi­fisch für extra­zel­lu­läre Ves­ikel ist.

Die hoch­auf­lö­sende kon­fo­kale Mikro­sko­pie ermög­licht nach geeig­ne­ter Fär­bung die Dar­stel­lung ein­zel­ner Ves­ikel bezie­hungs­weise die Unter­su­chung von Zell-Ves­ikel-Inter­ak­tio­nen. Annä­hernd unver­än­dert in Form und Größe blei­ben extra­zel­lu­läre Ves­ikel beim Ver­fah­ren der Kryo­elek­tro­nen­mi­kro­sko­pie, bei dem ein rasches Ein­frie­ren und die Ana­lyse im gefro­re­nen Zustand die mor­pho­lo­gi­schen Cha­rak­te­ris­tika der Ves­ikel bis hin zu ihrer Lipid­dop­pel­schicht weit­ge­hend konserviert.

Unter den viel­fäl­ti­gen Rol­len extra­zel­lu­lä­rer Ves­ikel sol­len hier zwei ihrer Eigen­schaf­ten – die gerin­nungs­för­dern­den sowie die immun­mo­du­lie­ren­den Funk­tio­nen – näher beleuch­tet wer­den. Die gerin­nungs­för­dernde Akti­vi­tät extra­zel­lu­lä­rer Ves­ikel unter phy­sio­lo­gi­schen Bedin­gun­gen beruht auf ihrer Expres­sion von Phos­pha­ti­dyl­se­rin an der Ober­flä­che. Die­ses bin­det über seine nega­tive Ladung Ca++ und ermög­licht so die Bin­dung und Inter­ak­tion von Gerin­nungs­fak­to­ren, ins­be­son­dere die Assem­blie­rung des Tenase- und des Pro­throm­bi­nase-Kom­ple­xes auf der Ves­ik­el­ober­flä­che, wodurch der Ablauf der Gerin­nung kata­ly­siert wird. Unter inflamm­a­to­ri­schen Bedin­gun­gen ver­stärkt dar­über hin­aus die Expres­sion von Tis­sue Fac­tor ins­be­son­dere auf mono­zy­tä­ren oder endo­the­lia­len extra­zel­lu­lä­ren Ves­ik­eln deren gerin­nungs­för­dernde Eigen­schaf­ten. Dies gilt auch für extra­zel­lu­läre Ves­ikel bei Tumor­pa­ti­en­ten, bei denen in meh­re­ren Stu­dien eine signi­fi­kant höhere Expres­sion von Tis­sue Fac­tor nach­ge­wie­sen wurde als in gesun­den Pro­ban­den. Der ver­stärk­ten Frei­set­zung von zir­ku­lie­ren­den extra­zel­lu­lä­ren Ves­ik­eln aus akti­vier­ten Plätt­chen kommt wei­ters bei der Ver­brauchs­ko­agul­opa­thie im Rah­men einer Sep­sis ent­schei­dende Bedeu­tung zu. Daher kön­nen extra­zel­lu­läre Ves­ikel auch als dia­gnos­ti­sche Mar­ker die­nen. Die­ser Fra­ge­stel­lung wid­men sich aktu­elle For­schungs­pro­jekte am Depart­ment für Bio­me­di­zi­ni­sche For­schung der Donau-Uni­ver­si­tät Krems, die unter ande­rem unter­su­chen, ob die Asso­zia­tion von extra-zel­lu­lä­ren Ves­ik­eln mit bestimm­ten Fak­to­ren (Tis­sue Fac­tor, C‑reaktives Pro­tein, Kom­pee­ment­fak­to­ren) als Ergän­zung zur Patho­gen­de­tek­tion mit her­kömm­li­chen Metho­den Hin­weise auf eine sys­te­mi­sche Infek­tion geben kann. Die Asso­zia­tion von extra­zel­lu­lä­ren Ves­ik­eln mit dem Akut­pha­sen­pro­tein CRP ist zum Bei­spiel bei der Sep­sis, der rheu­ma­to­iden Arthri­tis, oder bei Myo­kard­in­farkt nach­ge­wie­sen und ist ein Bei­spiel dafür, dass Pro­te­ine durch die Bin­dung an Ves­ik­el­ober­flä­chen ihre Funk­tio­na­li­tät ändern kön­nen. Das aus fünf iden­ti­schen Unter­ein­hei­ten bestehende CRP-Mole­kül fun­giert in freier Form als „pat­tern reco­gni­tion mole­cule“, das apo­pto­ti­sche bezie­hungs­weise nekro­ti­sche Zel­len oder Patho­gene bin­det und die Akti­vie­rung des Kom­ple­ment­sys­tems indu­ziert. Bei der Abla­ge­rung im Gewebe oder bei der Bin­dung an Ves­ikel kommt es jedoch zu einer Kon­for­ma­ti­ons­än­de­rung von CRP. Es gibt zahl­rei­che Hin­weise dar­auf, dass Ves­ikel-gebun­de­nes CRP pro­in­flamm­a­to­ri­sche Eigen­schaf­ten auf­weist. So konnte an der Donau-Uni­ver­si­tät Krems bei Sti­mu­la­tion von Mono­zy­ten mit CRP-tra­gen­den Ves­ik­eln aus dem Plasma von Sep­sis-Pati­en­ten in vitro pro­in­flamm­a­to­ri­sche Akti­vie­rung nach­ge­wie­sen wer­den, die durch die Vor­be­hand­lung des Plas­mas mit einem CRP-spe­zi­fi­schen Adsor­ber deut­lich ver­rin­gert wer­den konnte. Extra­zel­lu­läre Ves­ikel könn­ten somit als Trans­port­ve­hi­kel für CRP fun­gie­ren und zur Ent­wick­lung und Ver­brei­tung von loka­len Ent­zün­dun­gen beitragen.

Im Hin­blick auf die immun­mo­du­lie­ren­den Eigen­schaf­ten von extra­zel­lu­lä­ren Ves­ikel beschäf­tigt sich das Team an der Donau-Uni­ver­si­tät Krems vor allem mit der Frage, ob extra­zel­lu­läre Ves­ikel, die von Plätt­chen in der Zir­ku­la­tion frei­ge­setzt wer­den, zur Ver­än­de­rung der Ver­tei­lung von Mono­zy­ten-Sub­ty­pen im Sinne einer Ver­schie­bung von klas­si­schen CD14++CD16-Monozyten hin zu pro-inflamm­a­to­ri­schen inter­me­diä­ren (CD14++CD16+) und nicht-klas­si­schen (CD14+CD16++) Mono­zy­ten bei­tra­gen und auf diese Weise Ent­zün­dungs­vor­gänge ver­stär­ken können.

Lite­ra­tur bei den Verfassern

*) Univ. Prof. Dr. Vik­to­ria Weber, Tanja Eich­horn, Bir­git Fendl, René Weiss, Andreas Spittler

Depart­ment für Bio­me­di­zi­ni­sche For­schung, Donau-Uni­ver­si­tät Krems, Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30, 3500 Krems, Österreich

Core Faci­lity für Durch­fluss­zy­to­me­trie & Uni­ver­si­täts­kli­nik für Chir­ur­gie, Medi­zi­ni­sche Uni­ver­si­tät Wien, 1090 Wien, Österreich


Öster­rei­chi­sche Gesell­schaft für Extra­zel­lu­läre Ves­ikel (ASEV)

Extra­zel­lu­läre Ves­ikel stel­len ein äußerst dyna­mi­sches For­schungs­feld dar – sowohl hin­sicht­lich ihrer grund­le­gen­den Wirk­me­cha­nis­men als auch hin­sicht­lich ihrer mög­li­chen Anwen­dun­gen in Dia­gnos­tik und The­ra­pie. Um For­schungs­grup­pen auf die­sem Gebiet öster­reich­weit zu ver­net­zen, erfolgte im Jahr 2016 die Grün­dung der „Öster­rei­chi­schen Gesell­schaft für Extra­zel­lu­läre Ves­ikel“ (www.asev.at), die mit jähr­li­chen wis­sen­schaft­li­chen Tagun­gen sowie regel­mä­ßi­gen Work­shops zu Metho­den und Cha­rak­te­ri­sie­rungs­ver­fah­ren den wis­sen­schaft­li­chen Aus­tausch auf natio­na­ler, aber auch inter­na­tio­na­ler Ebene för­dern möchte. Die kom­mende Jah­res­ta­gung fin­det im Früh­jahr 2021 in Krems statt.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 17 /​10.09.2020