Nephrolithiasis und Harnwegsinfekt: Nahrungsaufnahme mit schweren Folgen

25.11.2020 | Medizin


Der nahezu unbegrenzte Zugang zu Lebensmitteln und das daraus resultierende Übergewicht in der westlichen Welt gelten als wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung einer Nephrolithiasis: Bis zu 15 Prozent der Bevölkerung sind im Laufe ihres Lebens davon betroffen. Von der Verwendung von Basenpulver ist abzuraten: Sauer schmeckende Lebensmittel bewirken eine Alkalisierung des Harns und eine höhere Infekt-Anfälligkeit.
Laura Scherber

Plötzlich auftretende Kolik-artige Schmerzen sind typisch, wenn Nierensteine vorliegen. „Nierensteine per se machen keine Schmerzen, sondern erst dann, wenn sie im Harnleiter so liegen, dass sie den Harnabfluss aus der Niere behindern“, erklärt Priv. Doz. Anton Ponholzer von der Abteilung für Urologie und Andrologie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien. Laut dem Experten gehören diese Schmerzen zu den stärksten überhaupt. „Die Patienten geben auf einer Skala von null bis zehn im Durchschnitt acht oder neun an“, weiß Ponholzer.

Bei Verdacht auf eine Nierenkolik gehört zur Standarddiagnostik neben der Sonographie und der Harnanalyse im Hinblick auf Blut auch eine weiterführende Computertomographie zur „Steinsuche“. Neben Steinen können zwei weitere Ursachen für Schmerzen der Niere ursächlich sein: der äußerst selten auftretende Niereninfarkt oder eine Entzündung des Nierenbeckens (Pyelonephritis), bei der von den Patienten ein gleichmäßiger Schmerz wahrgenommen wird und im Normalfall auch Fieber auftritt. Bei der Nierenbeckenentzündung unterscheidet man zwischen der obstruktiven und non-obstruktiven Form. Bei der non-obstruktiven Pyelonephritis reichen Bettruhe, ausreichend Flüssigkeitszufuhr und die Gabe eines Antibiotikums. „Ist sie hingegen obstruktiv, bewegen wir uns praktisch zum lebensbedrohlichen Zustandsbild der Urosepsis“, betont Univ. Prof. Karl Pummer von der Universitätsklinik für Urologie in Graz. Und weiter: „Der wichtigste Schritt ist daher, die Abflussverhältnisse sofort wiederherzustellen, da die Urosepsis unabhängig von der Altersgruppe zu 50 Prozent letal verläuft“. Ursächlich seien meist verschleppte Nierenbeckenentzündungen – verstärkt durch blockierende Harnleiter- oder Nierenbeckensteine.

Die therapeutische Vorgangsweise bei der Nephrolithiasis richtet sich nach der Lage und Größe des Steins sowie nach dem Leidensdruck des Patienten. Ein Großteil der Steine geht Pummer zufolge von selbst ab – besonders kleine Harnleitersteine. Leidet der Patient unter kleinen, tiefsitzenden Harnleitersteinen, wird in der Regel zugewartet und man unterstützt den Spontanabgang gegebenenfalls durch die medikamentös expulsive Therapie (Medical Expulsive Therapy; MET). „Dafür verwendet man Alpha-Blocker off-Label, der ja eigentlich für die Behandlung der gutartigen Prostatahyperplasie zugelassen ist“, berichtet Pummer. Im Gegensatz zu den tiefsitzenden Harnleitersteinen sind die hochsitzenden etwas gefährlicher, da sie leichter den Harnleiter verschließen und zu Nierenschädigungen führen können.

Steingröße entscheidet über Therapie

Nach der initialen Schmerztherapie und Diagnostik ergeben sich weitere unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten. So kann man kurzfristig eine Ureterschiene einlegen, den Stein endoskopisch behandeln oder ihn gegebenenfalls im Rahmen der extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) zertrümmern. Die offene Steinchirurgie wird nur noch selten durchgeführt, wenn anatomische Risikofaktoren vorliegen wie bei einer Ureterabgangsstenose mit Stein. Bei relativ großen Steinen im Nierenbeckenkelchbereich wird die endoskopische, perkutane Litholapaxie empfohlen. Die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie eignet sich hingegen für Steine von bis zu einer Größe von zwei Zentimetern. Mit den dabei zurückbleibenden Teilen („Desintegraten“) des zertrümmerten Steins muss der Patient selbst zurechtkommen. „Die Zeit bis zur Steinfreiheit dauert hier im Vergleich zu den endoskopischen Verfahren länger und wird per definitionem auch erst nach drei Monaten evaluiert“, resümiert Pummer. Kelchsteine – speziell im unteren Kelchsystem – müssen nicht unbedingt behandelt werden, wenn sie keine Beschwerden hervorrufen. Sie werden einmal pro Jahr mittels Sonographie und in gewissen Abständen mit einer zusätzlichen Röntgenaufnahme kontrolliert. Bestimmte Berufsgruppen (Piloten, fliegendes Personal) müssen allerdings zwingend steinfrei sein und sich einer Endoskopie unterziehen, da ein Spontanabgang während der Berufsausübung verheerend wäre. Empfohlen wird die „Steinfreiheit“ auch bei Personen, die sich für längere Zeit im Ausland aufhalten, wenn eine akute medizinische Versorgung nicht gewährleistet werden kann.

Flüssigkeitsausscheidung ist richtungsweisend

Der westliche Lebensstil mit seinem nahezu unbegrenzten Zugang zu einem Großteil der Nahrungsmittel und dem daraus resultierenden Übergewicht gilt als wesentlicher Risikofaktor für die Entwicklung einer Nephrolithiasis. So werden zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung in industrialisierten Ländern in ihrem Leben mit einem Nierenstein konfrontiert. „Die meisten Nierensteine sind Kalziumoxalatsteine, wobei hier eine Prophylaxe oder Metaphylaxe durch Ernährungsumstellung durchaus umstritten ist“, berichtet Ponholzer. Anders verhalte es sich mit Harnsäuresteinen, die etwa zehn Prozent des Steinleidens ausmachen sollen. Hier könne die Entwicklung diätetisch durch die verminderte Zufuhr von Harnsäure-reichen Lebensmitteln wie Fleisch und Innereien positiv beeinflusst werden. Die wichtigste Empfehlung betrifft beiden Experten zufolge aber grundsätzlich die Flüssigkeitszufuhr. „Man soll so viel trinken, dass man in 24 Stunden zwischen eineinhalb und zwei Litern Harn produziert“, fasst Pummer zusammen. In diesem Zeitraum verliere man bereits über die Atmung und über die Haut (ohne Schwitzen) bei durchschnittlichem Körperbau jeweils etwa 0,75 Liter. Da individuelle Empfehlungen vom jeweiligen Flüssigkeitsumsatz abhängen, könne man auch nie pauschal sagen, ob jemand zwei oder fünf Liter trinken sollte. Eine chronische Zufuhr von unter 1,5 Litern täglich sei allerdings als „Schwerstarbeit“ für die Niere anzusehen. Patienten, die bereits ab dem Kindes- und Jugendalter im Rahmen einer Zystinurie Steine bilden, können von einer prophylaktischen pH-Wert Alkalisierung, zum Beispiel mit Vitamin C, profitieren.

Infektneigung geschlechtsspezifisch

Neben der Nierenbeckenentzündung können sich weitere Infekte mit spezifischen Schmerzen im Urogenitaltrakt manifestieren. Bei Männern stehen Prostatitis und Epididymitis im Vordergrund. „Die Entzündung der Prostata ist die häufigste urologische Infektion bei Männern unter 50 Jahren“, berichtet Ponholzer. Man unterscheidet akut bakterielle, chronisch bakterielle und chronisch abakterielle Formen, die mit relativ diffusen Schmerzen einhergehen und von der Prostata in den Unterbauch ausstrahlen können. Wichtige diagnostische Schritte sind in diesem Zusammenhang die Bestimmung des PSA-Wertes, die Harnuntersuchung und ein Tastbefund der Prostata. Die ebenfalls bakteriell bedingte Nebenhodenentzündung ist durch Schmerz und Schwellung des Nebenhodens charakterisiert und wird auch mittels Antibiotika behandelt. Im Idealfall sollte eine zwei- bis dreitägige Bettruhe eingehalten werden, da die Nebenhodenentzündung bei zu viel Bewegung nicht ausheilt.

Die häufigsten urologischen Infekte der Frau treten im Rahmen der Zystitis auf, wobei die brennenden Schmerzen beim Harnlassen nicht zwangsläufig durchgehend auftreten müssen. Die Harnuntersuchung hinsichtlich Leukozyten- und Nitrit-Konzentration sowie das Anlegen einer Harnkultur, um den hauptsächlich vorliegenden Keim zu bestimmen, entscheiden über die Wahl des Antibiotikums. Treten mehr als drei Harnwegsinfekte pro Jahr auf, sollte eine urologische Abklärung unbedingt erfolgen. „Eine der größten Gefahren, die wir bei wiederkehrenden Harnwegsinfekten der Frau sehen, ist, dass manchmal auch gefährliche Diagnosen verschleppt werden“, betont Ponholzer. Wird eine rezidivierende Symptomatik nur hinsichtlich eines Infekts behandelt, ohne dass zumindest eine einmalige urologische Abklärung erfolgt, werden Blasentumore oft erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert. Laut Pummer stehe beim erstmaligen Auftreten eines Harnwegsinfekts die rasche Hilfe im Vordergrund. „Die Therapiedauer bei der unkomplizierten Zystitis der Frau ist möglichst kurz, in der Regel mit einem Antibiotikum sogar als Single Shot, sofern die Symptomatik noch nicht so lange besteht“, fasst der Experte zusammen. Gemäß einer Faustregel dauert die Therapie so viele Tage, wie die Beschwerden im Vorfeld bestanden haben.

Zystitis beim Mann meist kompliziert

„Aufgrund der anatomischen Gegebenheiten ist eine Zystitis beim Mann nahezu immer als kompliziert zu betrachten und zu behandeln“, unterstreicht Pummer. Daher seien die urologische Abklärung beim ersten Auftreten und eine längere Therapiedauer auf alle Fälle erforderlich, da bei Männern eine infravesikale Obstruktion durch die Prostata oder durch die Harnröhrenstriktur wesentlich häufiger auftrete als bei der Frau. Gleichzeitig kommt es bei Frauen zur Ausbildung von Restharn und erschwerter Miktion, wenn die Funktionsfähigkeit des Detrusors beeinträchtigt ist. Aber auch habituelles Verhalten führt zu Schwierigkeiten: Wird zu selten uriniert, entwickeln sich chronisch überdehnte Blasen, in denen der Harn zu lange steht und die Entwicklung von Harnwegsinfekten begünstigt werden kann. „Neben allgemeinen Hygienemaßnahmen empfehlen wir Einzelportionen von maximal 400 Millilitern Harn – unter Umständen durch die Miktion nach der Uhr alle drei bis vier Stunden“, resümiert Pummer. Gleichzeitig müsse der Harn einen sehr sauren pH-Wert haben, sodass die Verwendung des vielfach umworbenen Basenpulvers kontraproduktiv sei. „Alles, was sauer schmeckt, bewirkt im Harn genau das Gegenteil und führt zu einer höheren Anfälligkeit“, fügt der Experte abschließend hinzu.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2020