Kurz und informativ: Medizinische Kurzmeldungen

25.10.2020 | Medizin

Chip misst gleichzeitig Impulse von Tausenden Neuronen

Wissenschafter der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) entwickelten einen hochsensiblen Chip für die Messung der Signalaktivität unzähliger Neurone – beispielsweise bei Stammzellen, Myokardzellen oder der Retina in Zellkulturschalen. Die Impulse der Nervenzellen sind äußerst schwach und daher nur schwierig zu verstärken. Die Forscher kombinierten im Chip kleine Verstärker, mit denen sich Signale von 20.000 Elektroden zeitgleich auslesen lassen, mit einem leistungsfähigeren, großen Verstärker. Der Chip ermöglicht es, Nervenzellen in Kulturschalen wachsen zu lassen und mit Hilfe der Chips am Boden der Schale jede einzelne Zelle des Neuronen-Netzwerkes zu untersuchen. Während bisher maximal 50 Nervenzellen vermessen werden konnten, sind nun detaillierte Messungen an mehr als 1.000 Zellen in einer Kultur möglich. Damit könnte künftig die Wirksamkeit von Medikamenten gegen M. Parkinson oder gegen Depressionen getestet werden. APA/Nature Communications

Immuntherapie wirkt auch beim Prostatakarzinom

Eine globale klinische Studie mit dem humanisierten monoklonalen IgG1-Antikörper Ipilimumab ergab, dass dieser Checkpoint-Inhibitor, der das Immunsystem für die Bekämpfung von Tumorzellen aktiviert, auch bei Prostatakrebs wirkt. Ipilimumab blockiert die Abschaltung des immunsuppressiven Moleküls CTLA-4, so der Onkologe Univ. Prof. Michael Krainer von der Universitätsklinik für Innere Medizin I der MedUni/AKH Wien, der an der Studie beteiligt war. Im Zuge dessen erhielten 799 Patienten mit einem Prostatakarzinom aus den USA, Kanada, Südamerika, Australien und Europa in einer 1:1-Ratio eine Knochen-gerichtete Strahlentherapie, danach bis zu vier Injektionen Ipilimumab (10 mg/kg Körpergewicht) oder ein Placebo. In der ersten Auswertung gab es keine statistische Signifikanz. Jedoch zeigte die Langzeitanalyse, dass unter dem IgG1-Antikörper das Langzeitüberleben nach 3,4 und fünf Jahren zwei- bis dreimal größer war als in der Placebo-Gruppe. Bisher war Ipilimumab für die Behandlung des fortgeschrittenen Melanoms sowie von Lungen- und Blasenkrebs zugelassen. MedUni Wien/European Urology

1.300 Mal

weniger Wirkstoff wird benötigt, wenn ein Medikament zielgenau mit Hilfe von Ultraschallwellen freigesetzt wird. Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) brachten Neurohemmstoffe in kugelförmige Lipidbläschen ein und reicherten sie mit Ultraschallwellen gezielt im Gehirn von Ratten an. Die Träger wurden anschließend mit höherer Ultraschall-Energie zum Platzen gebracht, wodurch der Wirkstoff freigesetzt wurde. APA/Nature Communications

Corona-Virus: Erkrankung ab rund 500 Viren

Durchschnittlich 500 Corona-Viren hat eine an COVID-19 erkrankte Person abgekommen, berichtet Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien. Demnach kann nur eine so hohe Zahl an Viren die Krankheit auslösen. Im Rahmen einer Studie haben die Wissenschafter das Erbgut der Viren bei Überträgern und den Infizierten untersucht. Trägt der Infizierte nur wenige Virus-Varianten und ist trotzdem krank, ist nur der Kontakt mit wenigen Viren gefährlich. Sind beim Überträger jedoch viele Virus-Varianten zu finden, sind viele Viren nötig, um die Krankheit auszulösen. Den Berechnungen der Wissenschafter zufolge werden gut 500 Viren pro Infektion übertragen. Zum Vergleich: Bei HIV geht man davon aus, dass ein einzelnes Virus reicht, um eine Neuinfektion zu starten. APA

Orbifrontaler Kortex entscheidet über Flexibilität

Zellen des orbifrontalen Kortex in der Großhirnrinde können Neuronen so umprogrammieren, dass sie sich flexibel an äußere Umstände anpassen können. Das konnten Neurowissenschafter um Prof. Fritjof Helmchen vom Institut für Hirnforschung der Universität Zürich am Mausmodell zeigen. Für die Simulation des Umlernens belohnten die Wissenschafter die Mäuse, wenn sie Zuckerwasser von grobkörnigem Sandpapier schleckten. Kosteten sie von feinkörnigem Sandpapier, ertönte ein unangenehmes Geräusch. Anschließend erhielten die Tiere die Belohnung nur von der feinkörnigen Variante. Die Nager stellten sich rasch auf das neue Muster um. Während des Umlernens war in ihren Gehirnen eine Zellgruppe im orbifrontalen Kortex aktiv. Nach gezielter Ausschaltung des Areals verschwand auch die Adaptionsfähigkeit der Mäuse. Diese Erkenntnisse lassen sich möglicherweise auf das menschliche Gehirn umlegen und könnten zu einem besseren Verständnis von Schizophrenie oder Autismus führen. APA/Nature

Kalte Gliedmaßen bei Migräne: Indikator für kardiovaskuläres Risiko

Eine Fall-Kontroll-Studie aus den Niederlanden gibt Hinweise darauf, dass vaskuläre Beschwerden wie kalte Hände und Füße bei Migräne-Patienten das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen könnten. Wissenschafter des Leiden University Medical Center und des Erasmus University Medical Center Rotterdam befragten 1.084 Migräne-Betroffene und 248 Kontroll-Probanden zwischen 22 und 65 Jahren zu kalten Gliedmaßen, Schlafqualität und Kopfschmerz. Frauen berichteten häufiger von Temperaturempfindlichkeit und kalten Extremitäten in einer Migräne-Episode; bei Männern trat dieser Effekt nicht auf. Frauen mit kalten Gliedmaßen hatten auch mehr – teils mit Schlafschwierigkeiten assoziierte – Migräne-Attacken als weibliche Teilnehmer ohne das Symptom. In weiteren Untersuchungen soll geklärt werden, inwiefern kalte Hände und Füße Prädiktoren für kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Ereignisse darstellen. European Journal of Neurology

Miniatur-Organe durch Bioprinting

Erstmals ist Wissenschaftern die Entwicklung kleiner Organe aus Stammzellen gelungen. Das Team der ETH Lausanne (EPFL) um Biomedizin-Ingenieur Prof. Matthias Lütolf verwendete dazu Bioprinter, die anders als herkömmliche 3D-Drucker biologische Tinte oder Gele zum Einkapseln der lebenden Zellen nutzen. Die Forscher installierten auf einem Mikroskop-Tisch eine Platte mit einem Gel und entwarfen ein Gerät, das die lebenden Zellen mit einer dünnen Düse ansaugt. Nachdem die Forscher Darm-Stammzellen ausgesät hatten, begannen die Zellen – nicht wie bisher in winzigen Hohlkugeln – sondern sich als röhrenförmiges Gewebe zusammenzusetzen. Auf diese Weise konnten auch Teile des Magens, des Duodenums und des Dickdarms gebaut werden, die die Forscher miteinander verbanden. „Mit dem neuen Ansatz gelingt es, verschiedene Zelltypen zu kombinieren und auf unterschiedliche Weise anzuordnen“, erklärte Lütolf. APA/Nature Materials

Mechanische und chemische Wellen steuern Wundheilung

Anhand eines mathematischen Modells berechnete ein Team um Physiker Edouard Hannezo vom Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg, wie neue Hautzellen nach einer Verletzung zur Wunde finden. Das Intervall von zwei sich gegenseitig verstärkenden zeitversetzten Wellen ist dafür richtungsweisend. Die Zellen nehmen ein Drücken oder Ziehen der Nachbarzellen wahr. Dabei lässt die mechanische Welle (Dichtewelle) die Zellen näher zusammenrücken. Jedoch hat die Zelle dabei keine Möglichkeit, die Richtung zu erkennen, aus der die Wunde kommt und auch keine Information über den Ort der Wunde. Diese Information kommt von der zweiten – chemischen – Welle, die Zellproteine aktiviert und so die Geschwindigkeit der Zellbewegung steuert: Schnell, wenn sie in Richtung Wunde gezogen werden; langsam, wenn sie weggeschoben werden. Die im Computermodell prognostizierten Prozesse konnten im Zell-Experiment bestätigt werden. APA/Nature Physics

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2020