Medizinische Kurzmeldungen: Kurz und informativ

25.03.2020 | Medizin


Stammzelltransplantation gegen HIV?

Eine zweieinhalbjährige Anti-HIV-Therapie könnte die zweite Heilung eines HIV-Infizierten bedeuten. Nach dem vor neun Jahren als geheilt geltenden HIV-Patienten, konnte auch bei diesem sogenannten Londoner Patienten kein funktionsfähiges HI-Virus mehr nachgewiesen werden. Der Betroffene, der zusätzlich auch an Blutkrebs leidet, musste sich zuvor einer speziellen Stammzellspende unterziehen. Der Stammzellspender hatte dabei jeweils eine seltene Mutation, die ihn immun gegen das HI-Virus macht. Sie führt dazu, dass die Zellen keinen CCR5-Rezeptor bilden und damit nicht in die zur Vermehrung benötigte Zelle eindringen können. Ravindra Gupta von der University of Cambridge (United Kingdom) und seine Kollegen fanden zwar in Flüssigkeits- und Gewebeproben des Patienten noch Teile des Erbguts von HI-Viren. Sie gehen jedoch davon aus, dass es sich dabei um „fossile“ Stränge handelt, die nicht zu einem vermehrungsfähigen Virus gehören. Viele andere Daten – etwa die stark zurückgegangene Zahl an HIV-spezifischen Antikörpern – wiesen darauf hin, dass das Virus aus dem Körper des Patienten verschwunden sei.  

APA/The Lancet HIV

„Third Hand Smoke“ auf Oberflächen
Am Beispiel eines Kinosaals hat Drew Gentner, Associate Professor of Chemical & Environmental Engineering an der Yale University (New Haven/USA)  zusammen mit  Wissenschaftern des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz Rauchrückstände untersucht – selbst wenn niemand darin geraucht hat. Vier Tage lang haben die Forscher in einem 200 Personen umfassenden Kinosaal in Mainz Anfang 2017 die Luftqualität gemessen. Beim Kinderfilm am Nachmittag war die Luft am besten. Bei Spätvorstellungen war Nikotin diejenige Substanz, die die Luft am meisten belastete – gefolgt von Benzol, Formaldehyd und 30 anderen Schadstoffen. Grund dafür ist der „Third Hand Smoke“: Überbleibsel von Zigarettenrauch, die an der Oberfläche von Körper und Kleidung hängen bleiben. Die Menge an Schadstoffen, der man bei einem solchen Kinobesuch ausgesetzt ist, entspricht laut den Forschern dem Passivkonsum von ein bis zehn Zigaretten.

Science Advances

Speicheltest zur Alzheimer-Früherkennung
Mit zunehmendem Schweregrad eines M. Alzheimer verändert sich die Zusammensetzung der Bakterien im Speichel. Erreger von Zahnfleischentzündungen wie zum Beispiel Filifactor villosus werden mit zunehmendem Schweregrad bei M. Alzheimer weniger, während andere opportunistische Bakterien der Mundflora wie beispielsweise Leptotrichia wadei häufiger vorkommen. Bei den Entzündungsmarkern fanden sich indes keine Unterschiede. Diese Beobachtungen machte das Team um Alberi Auber von der Universität Freiburg im Rahmen einer Studie mit 78 Teil-nehmenden. Die Zusammensetzung der Mundflora könnte dafür geeignet sein, M. Alzheimer in einem frühen Stadium zu erkennen, so die Schlussfolgerung der Wissenschafter.

APA/Alzheimer‘s Association Journals, Special


Algorithmus warnt vor Kreislaufversagen

Neu entwickelte Algorithmen und Modelle können 90 Prozent der Fälle von Kreislaufversagen vorhersagen. Gunnar Rätsch, Karsten Borgwardt und Kollegen von der ETH Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule) Zürich haben mit Unterstützung des Schweizer Nationalfonds SNF einen umfangreichen Datensatz von 36.000 Aufenthalten von Patienten auf der Intensivstation des Inselspitals verwendet und einen lernenden Algorithmus erstellt. Bereits 20 Messgrößen wie zum Beispiel Blutdruck, Puls, verschiedene Blutwerte, Alter und verabreichte Medikamente reichten aus, um 90 Prozent der Fälle von Kreislaufversagen vorhersagen zu können. In 82 Prozent der Fälle gelang die Vorhersage außerdem länger beziehungsweise mindestens zwei Stunden im Voraus – und dadurch mehr Zeit für Gegenmaßnahmen. Ein Ziel der Forschungen ist es, Fehlalarme auf der Intensivstation zu reduzieren und das Personal nur bei drohenden Komplikationen präzise und frühzeitig zu alarmieren. Um tatsächlich im Klinikalltag zum Einsatz zu kommen, muss das System noch weiterentwickelt werden; ein erster Prototyp soll sich nun in klinischen Studien beweisen.

APA/Nature Medicine

Medikamente benötigen spezifische Transportmoleküle
Rund 80 Prozent der zytotoxischen Substanzen sind auf spezifische Transporter-Proteine (SLCs) angewiesen. Bei 394 spezifischen Transportproteinen wurde analysiert, ob einzelne davon einen Einfluss auf die Aktivität von 60 Arzneimitteln haben, welche großteils klinisch geprüft sind und etwa zur Behandlung von Leukämie oder an-deren onkologischen Erkrankungen eingesetzt werden. Enrico Girardi und Giulio Superti-Furga vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien haben schon vor einigen Jahren festgestellt, dass der Wirkstoff YM155 (damals als potentielles Medikament in der Onkologie erprobt) nur dann wirkt, wenn das Transporter-Protein SLC35F2 die Diffusion der Substanz durch die Zellmembran unterstützt. Die For-scher konnten Hunderte neue Verbindungen zwischen Arzneimitteln und Transporter-Proteinen identifizieren. Weitere Erkenntnisse könnten helfen, Resistenzen zu erkennen und zielgerichtete Therapien zu entwickeln.

APA/Nature Chemical Biology

COVID-19 und ACE-Hemmer/RAAS: kein Zusammenhang

Eine bestehende Medikation mit ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptor-Blockern (RAAS) soll unbedingt beibehalten werden; das Absetzen oder ein Wechsel auf andere Präparate ist nicht indiziert und sollte wegen des Risikos für einen akuten Myokardinfarkt oder einen Insult unbedingt vermieden werden, betont die Österreichische Kardiologische Gesellschaft (ÖKG) in einer Stellungnahme. Sie reagiert damit auf aktuelle Berichte aus China über einen potentiellen Zusammenhang zwischen einer COVID-19-Infektion und den genannten Substanzen. Dieser Zusammenhang sei „rein spekulativ“ und leite sich aus Tier-experimentellen Befunden ab. Dort hatte sich gezeigt, das SARS-CoV-2 am ACE2-Rezeptor der Lunge gebunden wird und andererseits ACE2 unter einer Therapie mit ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptor-Blockern vermehrt gebildet wird. Andere Studien wiederum hätten – ebenfalls spekulativ – gegenteilige Hinweise gegeben, wonach eine solche Therapie eine COVID-19-Infektion sogar abschwächen könnte. „Ein schlüssiger wissenschaftlicher Beweis für einen Zusammenhang in die eine oder andere Richtung liegt aber keinesfalls vor“, so der Präsident der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft, Univ. Prof. Peter Siostrzonek.

Österreichische Kardiologische Gesellschaft


Neuer Ansatz gegen Antibiotika-Resistenzen

Ein Konzept, um die Entwicklung von Antibiotika-Resis-tenzen zu verhindern, haben  Schweizer Forscher um Jan-Willem Veening von der Université de Lausanne in Kooperation mit der deutschen Universität Heidelberg und dem schwedischen Karolinska Institut entwickelt. Bei der Analyse von fast 1.400 Molekülen konnten insgesamt 46 identifiziert werden, die in der Lage waren, die Entwicklung von Resistenzen zu hemmen. Bei der Fusion von freien Resistenz-Genen und Pneumokokken verbreiteten sich die Resistenz-Gene nicht unter den Bakterien. Auch in  Tests mit infizierten Mäusen war dieser Ansatz erfolgreich. Da  damit das Bakterienwachstum selbst nicht unterdrückt wird, ist nicht von einer Resistenz-Entwicklung auszugehen. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat mehrere der getesteten Verbindungen bereits zugelassen. Sie können zusätzlich zu Antibiotika eingesetzt werden, um Resistenzen zu verhindern. Die Methode soll jetzt an anderen Bakterien geprüft werden.

APA/Cell Host & Microbe

D-Dimer prognostiziert Thromboserisiko
Steigende D-Dimer-Werte im Blut bei Menschen, die an einem Karzinom  leiden, weisen auf ein hohes Thromboserisiko hin. Die Aussagekraft wiederholter D-Dimer-Messungen bezüglich des Thromboserisikos untersuchten Cihan Ay von der Medizi-nischen Universität Wien und eine Autorengruppe aus Wien, Graz, Leicester (Großbritannien) und Moskau (Russland) bei 167 Patienten mit einer aktiven onkologischen Erkrankung. Zu Beginn und anschließend monatlich wurden D-Dimer-Werte bestimmt, insgesamt 602 Mal. Das Ergebnis: Die D-Dimer-Werte erhöhten sich bei Patienten, die schließlich eine venöse Thromboembolie erlitten, pro Monat um 34 Prozent. Blieben die Werte stabil, entwickelte sich keine venöse Thromboembolie. Bei einer Verdoppelung der D-Dimer-Spiegel erhöhte sich das Thromboserisiko um das 2,78-Fache. Eine monatliche Testung erscheint laut den Experten als sinnvoll und könnte die Diagnose mittels Computertomografie ersetzen. Der D-Dimer-Wert bietet eine individuelle Voraussage für die ersten sechs Monate nach der Diagnose „Karzinom“. Ein Berech-nungstool steht Onkologen online zur Verfügung.

APA/Journal of Thrombosis and Haemostasis

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2020