Lak­tose- und Fruc­to­se­into­le­ranz: Stö­rung in der Verwertung

25.10.2020 | Medizin


Die kaum kon­trol­lier­bare Nähr­stoff- und Zucker­auf­nahme bei Smoothies & Co füh­ren immer häu­fi­ger zu Unver­träg­lich­kei­ten. Exper­ten sehen diese Unver­träg­lich­kei­ten als Ergeb­nis des man­geln­den Ernäh­rungs­be­wusst­seins an. Bei der Ernäh­rung sind grund­sätz­lich weder Low carb‑, Low fat- oder lak­to­se­freie Pro­dukte oder Zucker-Alter­na­ti­ven not­wen­dig.
Manuela War­scher

Lebens­mit­tel ermög­li­chen es unse­rem Kör­per, sich wohl zu füh­len – aller­dings nur, wenn man auf die Menge ach­tet“, erklärt ao. Univ. Prof. Edith Göß­nit­zer vom Insti­tut für Phar­ma­zeu­ti­sche Wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Graz. „Wer sich dau­er­haft abwe­gig ernährt, der muss mit den Fol­gen rech­nen und diese Fol­gen hei­ßen u.a. Nah­rungs­mit­tel­un­ver­träg­lich­keit.“ Vor allem die viel­fa­chen Gesund­heits­ver­spre­chen durch ver­meint­lich bewusste Nah­rungs­mit­tel füh­ren häu­fig zu Into­le­ran­zen. „Weder aus medi­zi­ni­scher noch bio­che­mi­scher Sicht sind Low carb‑, Low fat- oder lac­tose-free-Pro­dukte not­wen­dig“, erklärt Göß­nit­zer. Ebenso wenig müs­sen Alter­na­ti­ven für Zucker ein­ge­führt wer­den. „Mais­si­rup ist beson­ders schlecht, das haben jüngste wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nisse gezeigt. Die­ses hoch­fruc­tose Süßungs­mit­tel wirkt sich nega­tiv auf die Darm­mi­kro­biota aus und kann die Ent­ste­hung eines kolo­rek­ta­len Kar­zi­noms oder einer Fett­le­ber begünstigen.“ 

Die Lak­to­se­into­le­ranz nimmt von Nord- nach Süd­eu­ropa an Häu­fig­keit zu. Lei­den in Skan­di­na­vien unge­fähr zwei Pro­zent der Erwach­se­nen an der Unver­träg­lich­keit, sind in Öster­reich zwi­schen zehn und 20 Pro­zent betrof­fen. Im Säug­lings­al­ter tritt die Lak­to­se­into­le­ranz zwar äußerst sel­ten auf, hat dann aber schwer­wie­gende Fol­gen für den Säug­ling. „Die Lak­tase-Akti­vi­tät nimmt beim Groß­teil der Welt­be­völ­ke­rung ganz natür­lich im Laufe der Lebens­jahre ab. Daher ist die Lak­to­se­into­le­ranz keine Krank­heit im eigent­li­chen Sinne“, erklärt Univ. Prof. Eva Unters­mayr-Elsen­hu­ber vom Insti­tut für Patho­phy­sio­lo­gie und All­er­gie­for­schung der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. 

Etwa ein Drit­tel der erwach­se­nen Öster­rei­cher sowie zwei von drei Klein­kin­dern lei­den an einer Fruc­tose-Mal­ab­sorp­tion, bei der bereits gerin­gere Frucht­zu­cker­men­gen (unter 25 Gramm) nicht ver­tra­gen wer­den oder ein Fruc­tose-Über­hang bei mehr als 25 Gramm Frucht­zu­cker vor­liegt. „Die Jugend von heute ist stär­ker betrof­fen, weil sie von klein auf einer über­höh­ten Frucht­zu­cker­zu­fuhr aus­ge­setzt ist. Ihr Getränk ist nicht Was­ser, son­dern Apfel­saft“, kon­kre­ti­siert Göß­nit­zer die epi­de­mio­lo­gi­sche Ent­wick­lung. Die Her­edi­täre Fruc­to­se­into­le­ranz (HFI) tritt ledig­lich bei einer Per­son unter 20.000 auf und kann bei nicht recht­zei­ti­ger Dia­gnose töd­lich ver­lau­fen. Für Göß­nit­zer ist eine Lak­tose- oder Fruc­to­se­into­le­ranz eine „Stö­rung der Nah­rungs­mit­tel­ver­wer­tung“, die sich klar von der Nah­rungs­mit­tel­all­er­gie abgrenzt. Wäh­rend sich eine Unver­träg­lich­keit pri­mär im Darm abspielt, lösen bei einer Nah­rungs­mit­tel­all­er­gie bestimmte Stoffe eine Immun­re­ak­tion aus. 

Dia­gnose-Gold­stan­dard: H2-Atemtest

Die Erst­ab­klä­rung von gas­tro­in­testi­na­len Beschwer­den wie Völ­le­ge­fühl, Durchfall/​Obstipation oder Übel­keit durch den All­ge­mein­me­di­zi­ner sollte einem bestimm­ten Schema fol­gen. Dem­nach wer­den nach Aus­schluss all­fäl­li­ger bak­te­ri­el­ler Darm­er­kran­kun­gen die Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten und Nah­rungs­men­gen des Pati­en­ten näher betrach­tet. Ernäh­rungs­ta­ge­bü­cher las­sen dabei Häu­fun­gen von Unwohl­sein in Kom­bi­na­tion mit bestimm­ten Nah­rungs­mit­teln gut erken­nen. „Vor allem soge­nannte gesunde Ernäh­rungs­mo­den wie Smoothies oder vegane Ernäh­rung wir­beln die Zucker­zu­fuhr durch­ein­an­der. Kaum jemand würde einen Kilo­gramm Äpfel auf ein­mal essen. Aber einen Liter grü­nen Smoothie trinkt man rela­tiv schnell“, so Göß­nit­zer. „Der All­ge­mein­me­di­zi­ner sollte bei Vor­lie­gen gas­tro­in­testi­na­ler Beschwer­den immer an Into­le­ran­zen den­ken und eine ent­spre­chende Abklä­rung ein­lei­ten“, bekräf­tigt Untersmayr-Elsenhuber. 

Der Gold­stan­dard bei der Dia­gnose einer Lak­tose- oder Fruc­to­se­into­le­ranz ist der H2-Atem­test. Dabei wird die Atem­luft nach der Gabe von Lak­tose oder Fruc­tose auf das Vor­kom­men von Was­ser­stoff getes­tet. Nach­dem Was­ser­stoff kein Bestand­teil der Atem­luft ist, kann sein Auf­tre­ten für einen Lak­ta­se­man­gel oder eine ver­min­derte Fruc­to­se­auf­nahme spre­chen. Über­steigt der gemes­sene Wert vor und nach der Gabe einen bestimm­ten Wert (meist 20 ppm Was­ser­stoff), liegt aller Wahr­schein­lich­keit nach eine Unver­träg­lich­keit vor. 

„Bei einer bak­te­ri­el­len Fehl­be­sie­de­lung im Dünn­darm oder üppi­gem Essen am Vor­abend kann es zu falsch posi­ti­ven oder falsch nega­ti­ven Test­ergeb­nis­sen kom­men. Dar­auf sollte der zuwei­sende All­ge­mein­me­di­zi­ner Pati­en­ten vor­be­rei­ten“, regt Unters­mayr-Elsen­hu­ber an. Falsch nega­tive Ergeb­nisse auf­grund von Methan pro­du­zie­ren­den Bak­te­rien kön­nen bei bis zu 20 Pro­zent der Test­per­so­nen auf­tre­ten. Falsch posi­tive Ergeb­nisse sind häu­fig die Folge von Rau­chen, Kau­gummi oder star­ker kör­per­li­cher Belas­tung. Daher wird in den neu­es­ten Leit­li­nien auch emp­foh­len, dass Pati­en­ten vor einem H2-Atem­test zwölf Stun­den nüch­tern sein müs­sen und min­des­tens zwei Stun­den vor­her das Rau­chen ein­stel­len sol­len. „Auch eine Anti­bio­ti­ka­be­hand­lung ver­än­dert die Bak­te­ri­en­zu­sam­men­set­zung im Darm, was zu falsch nega­ti­ven Ergeb­nis­sen füh­ren kann“, so Unters­mayr-Elsen­hu­ber. Wei­tere Test­me­tho­den wie Gen­tests oder Dünn­darm­bi­op­sien kön­nen im Zwei­fels­fall folgen. 

Indi­vi­du­elle Ernährungspläne 

Sowohl bei der Lak­tose- als auch der Fruc­to­se­into­le­ranz beginnt die The­ra­pie mit einer Ernäh­rungs­um­stel­lung. „Häu­fig reicht die Rück­kehr zu einer Ernäh­rung in nor­ma­len Men­gen aus, um eine Lak­tose- oder Fruc­tose-Unver­träg­lich­keit de facto zu hei­len. Tat­säch­lich führt schon eine acht­wö­chige Reduk­tion zum Ver­schwin­den der gas­tro­in­testi­na­len Sym­ptome“, führt Göß­nit­zer aus. Die Ernäh­rungs­pläne einer pri­mä­ren Into­le­ranz wer­den in zwei Pha­sen erstellt. Einer zwei- bis vier­wö­chi­gen Karenz ohne Lak­tose-hal­tige Nah­rungs­mit­tel, die dem Darm die Mög­lich­keit zur Erho­lung gibt, folgt ein schritt­wei­ses Her­an­tas­ten an die Menge der Nah­rungs­mit­tel mit Lak­tose. „Die jewei­li­gen Werte müs­sen indi­vi­du­ell für jeden Pati­en­ten erar­bei­tet wer­den“, erklärt Unters­mayr-Elsen­hu­ber. Bei einer sekun­dä­ren Into­le­ranz ist eine The­ra­pie des mög­li­cher­weise ent­zün­de­ten Darms und Behand­lung der Grund­er­kran­kung ebenso wich­tig für die Behand­lung der Intoleranz.

Ähn­lich ver­läuft die Ein­stel­lung von fruc­to­se­into­le­ran­ten Pati­en­ten. „Bei einer Mal­ab­sorp­tion wird in jedem Fall eine Ernäh­rungs­the­ra­pie ein­ge­lei­tet, wobei dar­auf geach­tet wer­den muss, dass für zwei Wochen eine fruc­to­se­arme Diät ein­ge­hal­ten wer­den soll. Ein strik­ter Ver­zicht auf Fruc­tose lässt den GLUT5-Trans­por­ter wei­ter absin­ken“, führt Unters­mayr-Elsen­hu­ber aus. Nach der Ein­schrän­kungs­zeit nimmt der Pati­ent in der zwei­ten Phase wie­der mehr Fruc­tose zu sich. Dabei wird beob­ach­tet, bis zu wel­chem Wert der Betrof­fene Fruc­tose ver­trägt. „Meist trifft es Per­so­nen, die sich bewusst gesund ernäh­ren möch­ten und sich daher einem Fruc­to­se­über­schuss aus­set­zen“, so Unters­mayr-Elsen­hu­ber. In die­sen Fäl­len wird ins­be­son­dere die Fett- und Pro­te­in­zu­fuhr erhöht. Bei schwan­ge­ren Pati­en­tin­nen, die an einer Into­le­ranz lei­den, sollte mit Hilfe eines Ernäh­rungs­me­di­zi­ners oder einem Diä­to­lo­gen die aus­rei­chende Nähr­stoff­zu­fuhr sicher­ge­stellt werden. 

Obgleich seit eini­gen Jah­ren die EU-Health Claims Ver­ord­nung nähr­wert- und gesund­heits­be­zo­gene Anga­ben auf Pro­duk­ten vor­schreibt, hat sich an den Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten der Kon­su­men­ten wenig geän­dert. Das Ange­bot an Con­ve­ni­ence-Pro­duk­ten nimmt lau­fend zu. Pati­en­ten soll­ten daher ange­hal­ten wer­den, weni­ger auf schnelle Gerichte zu set­zen und zu einer bewuss­ten „lang­sa­men“ Ernäh­rung zurück­zu­keh­ren. Denn: „Ein posi­ti­ver Effekt von Corona war, dass viele wie­der selbst gesün­der gekocht haben und viele Beschwer­den damit ein­fach ver­schwun­den sind“, erklärt Göß­nit­zer. „Hat man in den 1950er Jah­ren mit Maden­wurm-Alarm nach dem Ver­zehr von unge­wa­sche­nem Obst gekämpft, so sind die Unver­träg­lich­kei­ten heute das Resul­tat des man­geln­den Ernäh­rungs­be­wusst­seins.“ Der betreu­ende All­ge­mein­me­di­zi­ner kann viel zu die­ser Bewusst­seins­bil­dung bei­tra­gen, indem er den Pati­en­ten auf den „Apfel oder den Salat“ hin­weist und die gesund­heit­li­chen Fol­gen von Smoothie & Co aktiv anspricht. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2020