Kar­dio­lo­gie im Alter: The­ra­pie ist altersunabhängig

10.10.2020 | Medizin


Bei der The­ra­pie von kar­dio­vas­ku­lä­ren Erkran­kun­gen im Alter ori­en­tiert man sich zuneh­mend mehr am bio­lo­gi­schen als am chro­no­lo­gi­schen Alter. Beim chro­ni­schen Koro­nar­syn­drom etwa bringt die Revas­ku­la­ri­sa­tion im Ver­gleich zur medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie und Lebens­stil-asso­zi­ier­ten Ver­än­de­run­gen nur in bestimm­ten Fäl­len einen Vor­teil für die Lebens­er­war­tung.
Laura Scher­ber

Das chro­no­lo­gi­sche und das bio­lo­gi­sche Alter sind häu­fig unter­schied­lich und kön­nen sehr von­ein­an­der abwei­chen. Im Kon­text der stei­gen­den Lebens­er­war­tung ist ein 65-Jäh­ri­ger heute im Ver­gleich zu frü­her ein durch­aus „jün­ge­rer“ Pati­ent. „Es gibt eine ein­fa­che ger­ia­tri­sche Bestim­mung für den Nicht-Spe­zia­lis­ten, um ein­zu­schät­zen, wie gut jemand kli­nisch in sei­ner Beweg­lich­keit und Mobi­li­tät und in sei­ner Selbst­be­stimmt­heit ist“, sagt Univ. Prof. Robert Zwei­ker von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin in Graz. Gemeint ist die Ein­tei­lung der Pati­en­ten in Go-go‘s, Slow-go‘s und No-go‘s. Wäh­rend bei den Go-go‘s und Slow-go‘s grund­sätz­lich alle medi­zi­nisch mög­li­chen Inter­ven­tio­nen durch­ge­führt wer­den kön­nen, fin­det bei den No-go‘s eine genaue ethi­sche Abwä­gung statt. „Die Zunahme der Lebens­er­war­tung, die jetzt in den west­li­chen Län­dern erreicht wurde, ist wahr­schein­lich ein Erfolg der kar­dio­vas­ku­lä­ren Prä­ven­tion – sowohl der pri­mä­ren als auch der sekun­dä­ren Prä­ven­tion“, führt Zwei­ker wei­ter aus. 

Wäh­rend es in der west­li­chen Welt vor 50 Jah­ren rund 500 Tote durch Myo­kard­in­farkte pro 100.000 Ein­woh­ner gege­ben hat, sind es jetzt 100. Und obwohl die Zahl der Myo­kard­in­farkt-beding­ten-Todes­fälle deut­lich zurück­ge­gan­gen ist, sind kar­dio­vas­ku­läre Ereig­nisse heute immer noch die häu­figste Todes­ur­sa­che. Im höhe­ren Alter zei­gen die Betrof­fe­nen häu­fig aty­pi­sche Sym­ptome: Sie haben nicht nur den klas­si­schen Tho­rax­schmerz, der im Alter bes­ser tole­ra­bel ist, son­dern auch Sym­ptome wie Pal­pi­ta­tion und Dys­pnoe. „Der Haupt­fak­tor, der unsere Pati­en­ten am meis­ten betrifft, ist das Delay vom Beginn der Sym­ptome bis zum Akti­vie­ren einer wei­te­ren medi­zi­ni­schen Betreu­ung“, resü­miert Zwei­ker, was gerade durch die COVID-Beschrän­kun­gen schwie­rig gewe­sen sei. 

Die recht­zei­tige Beein­flus­sung der Risi­ko­pro­file hat auch im Alter eine hohe Aus­wir­kung auf die ent­spre­chende Inzi­denz von aku­ten Ereig­nis­sen. Um her­aus­zu­fin­den, inwie­weit die the­ra­peu­ti­sche Inter­ven­tion aus­reicht und nicht über­schie­ßend ist, emp­fiehlt sich bei älte­ren Pati­en­ten die Blut­druck­mes­sung im Lie­gen und im Ste­hen, um Blut­druck­ab­fälle bedingt durch die poten­ti­ell ein­ge­schränkte Funk­tion des Baro­re­zep­tor­re­fle­xes zu detek­tie­ren. Bei der Ein­stel­lung von NOAKs sollte man die Dosis nicht nur anhand des bio­lo­gi­schen Alters adap­tie­ren, son­dern auch eine statt­ge­habte Blu­tung und die mög­li­cher­weise ein­ge­schränkte Nie­ren­funk­tion berück­sich­ti­gen. Reprä­sen­ta­tive epi­de­mio­lo­gi­sche Daten aus Groß­bri­tan­nien hät­ten gezeigt, dass mit der strik­ten Kon­trolle des LDL-Spie­gels und des Blut­drucks das rela­tive Risiko, an einem aku­ten kar­dio­vas­ku­lä­ren Ereig­nis zu ver­ster­ben, um 90 Pro­zent ver­min­dert wird, berich­tet Zwei­ker. Her­vor­zu­he­ben sei über­dies, dass die Erfolge nicht nur quan­ti­ta­ti­ver Natur sind, son­dern auch mit einer Ver­bes­se­rung der Lebens­qua­li­tät ein­her­ge­hen. Die Com­pli­ance scheint grund­sätz­lich im Alter höher zu sein, was sich auch in einer kon­se­quen­te­ren Niko­tin­abs­ti­nenz nach einem Infarkt wider­spie­gelt. „Das Über­le­ben des Infark­tes ist heut­zu­tage eher wahr­schein­lich, aber wir haben mit der Herz­in­suf­fi­zi­enz mehr KHK-Fol­gen zu behan­deln. Durch die Ein­schrän­kun­gen der Ven­tri­kel­funk­tion sinkt die Belast­bar­keit“, führt Zwei­ker aus. 

Häu­fig: repe­ti­tive Hospitalisierungen

Rund 80 Pro­zent der Herz­in­suf­fi­zi­enz-Pati­en­ten sind über 65 Jahre alt. „Eine Hos­pi­ta­li­sie­rung wegen Ver­schlech­te­rung der Herz­in­suf­fi­zi­enz trig­gert meist repe­ti­tive Hos­pi­ta­li­sie­run­gen“, weiß Priv. Doz. Deddo Mörtl von der 3. Medi­zi­ni­schen Abtei­lung des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums St. Pöl­ten. Nach einer Hos­pi­ta­li­sie­rung sind nach zwei Mona­ten 60 Pro­zent ent­we­der ver­stor­ben oder erneut hos­pi­ta­li­siert. Die ein­zige Behand­lungs­op­tion, die im höhe­ren Alter nicht mehr mög­lich ist, ist die Herz­trans­plan­ta­tion. Ansons­ten sind alle ande­ren The­ra­pie­for­men alters­un­ab­hän­gig und die zur Ver­fü­gung ste­hen­den The­ra­pien wir­ken sich auf unter­schied­li­che Aspekte der Herz­in­suf­fi­zi­enz aus: auf die Lebens­qua­li­tät, die Leis­tungs­fä­hig­keit, die Redu­zie­rung der Hos­pi­ta­li­sie­run­gen und die Ver­län­ge­rung des Lebens. „Je älter der Pati­ent, desto weni­ger lebens­ver­län­gernde Aspekte hat man irgend­wann, da sich diese mor­ta­li­täts­sen­ken­den Effekte abfla­chen“, berich­tet Mörtl. 

Kom­or­bi­di­tä­ten limi­tie­ren Therapieoptionen

Beschrän­kun­gen erge­ben sich im Alter vor allem durch die Kom­or­bi­di­tä­ten, allen voran die ein­ge­schränkte Nie­ren­funk­tion. Dies resul­tiert in der Schwie­rig­keit, die The­ra­pie so umzu­set­zen, wie sie vor­ge­schrie­ben ist. „Fast alle medi­ka­men­tö­sen The­ra­pien wie ACE-Hem­mer, Angio­ten­sin-Rezep­tor-Blo­cker, Mine­ralo­kor­ti­koid-Rezep­tor-Ant­ago­nis­ten oder Sacubitril/​Valsartan ver­lan­gen bestimmte Min­dest­nie­ren­funk­tio­nen und zwar eine glome­ru­läre Fil­tra­ti­ons­rate um die 30“, erklärt der Experte. Eine Hyper­ka­li­ämie erhöht das Risiko in die­sem Bereich und macht eng­ma­schige Kon­trol­len erfor­der­lich. Wei­tere wich­tige Kom­or­bi­di­tä­ten sind COPD, das Schlaf­apnoe­syn­drom, Eisen­man­gel mit und ohne Anämie, Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz und Herz­rhyth­mus­stö­run­gen wie zum Bei­spiel Vor­hof­flim­mern. Pati­en­ten mit Herz­in­suf­fi­zi­enz soll­ten alle drei Monate eine Labor­kon­trolle beim Haus­arzt durch­füh­ren las­sen sowie ein­mal pro Jahr eine Echo­kar­dio­gra­phie und Visite beim Herz­in­suf­fi­zi­enz-Spe­zia­lis­ten. Wäh­rend der Auf­ti­tra­tion der Medi­ka­tion sind häu­fi­gere Visi­ten indiziert. 

Im Kon­text der Pan­de­mie habe sich gezeigt, dass ein mög­li­cher­weise nicht unbe­trächt­li­cher Teil von Visi­ten auch tele­fo­nisch durch­ge­führt wer­den kann, berich­tet Mörtl. „Sicher nicht alles, weil einem dadurch mit­un­ter das Labor fehlt. Aber die wich­tigs­ten Dinge kann man vom Pati­en­ten auch erfra­gen: etwa wie es ihm geht, seine Leis­tungs­fä­hig­keit, ob er flach lie­gen kann, wie es mit dem Schlaf aus­sieht, Gewicht, Blut­druck, Puls, Medi­ka­men­ten­liste und das Vor­kom­men von Öde­men“, führt der Experte aus. Es gilt, grund­sätz­lich abzu­wä­gen, wie hoch der Nut­zen für den Pati­en­ten ist, wenn er per­sön­lich zum Arzt kommt im Ver­gleich zum Risiko, sich auf der Fahrt anzu­ste­cken; noch dazu mit einer Erkran­kung, bei der er zu den Pati­en­ten gehört, die eine hohe Wahr­schein­lich­keit für einen schwe­ren Ver­lauf haben. 

Zen­tral: Kon­trolle der Risikofaktoren

Die medi­ka­men­töse Behand­lung der chro­ni­schen koro­na­ren Herz­krank­heit hat sich in den letz­ten Jah­ren nicht wesent­lich ver­än­dert. Im Fokus steht die Kon­trolle der Risi­ko­fak­to­ren wie Blut­hoch­druck, Hyper­li­pi­dä­mien, Dia­be­tes mel­li­tus und Über­ge­wicht durch Lebens­stil-asso­zi­ierte Ver­hal­tens­wei­sen, eine medi­ter­rane Ernäh­rung und regel­mä­ßi­gen Aus­dau­er­sport. „Wäh­rend es sich bei der Herz­in­suf­fi­zi­enz um eine medi­ka­men­töse The­ra­pie han­delt, ist es beim aku­ten Herz­in­farkt keine Frage, dass der Pati­ent vom Herz­ka­the­ter pro­fi­tiert“, erklärt Univ. Prof. Michael Gottsauner-Wolf von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin II in Wien. 

Bei der sta­bi­len koro­na­ren Herz­krank­heit war man lange Zeit der Mei­nung, dass jeg­li­che Revas­ku­la­ri­sa­tion für den Pati­en­ten von Vor­teil ist und dass man nur mit Lebens­stil-asso­zi­ier­ten Maß­nah­men und Medi­ka­men­ten nicht weit kommt. Durch eine ran­do­mi­sierte Stu­die (ISCHEMIA-Trial) mit fast 5.200 Pati­en­ten wurde diese schon län­ger zur Dis­kus­sion ste­hende Ansicht Anfang die­ses Jah­res wider­legt. In die­ser Non-Pro­fit-Stu­die wur­den Pati­en­ten mit pec­tan­gi­nö­sen Beschwer­den ein­ge­schlos­sen, wobei eine linke Haupt­stamms­tenose im Rah­men einer Koro­nar-Com­pu­ter­to­mo­gra­phie zuvor aus­ge­schlos­sen wurde. Wäh­rend die Behand­lung in einer Gruppe aus der opti­ma­len medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie und Lebens­stil-asso­zi­ier­ten Maß­nah­men bestand, wurde in der zwei­ten Gruppe zusätz­lich zu Beginn eine Revas­ku­la­ri­sa­tion (Stent-Implan­ta­ti­on/­By­pass-Ope­ra­tion) durch­ge­führt. Das jähr­li­che Fol­low-up über den Zeit­raum von fünf Jah­ren zeigte, dass es keine signi­fi­kan­ten Unter­schiede zwi­schen den Grup­pen hin­sicht­lich der Lebens­er­war­tung gab. „Das bedeu­tet, dass eine zusätz­li­che Revas­ku­la­ri­sa­tion kei­nen Vor­teil für die Lebens­er­war­tung gegen­über der allei­ni­gen The­ra­pie mit Medi­ka­men­ten und Lebens­stil-asso­zi­ier­ten Ver­än­de­run­gen hat“, resü­miert Gottsauner-Wolf. Und wei­ter: „Nur bei Pati­en­ten mit mas­si­ven Angina pec­to­ris-Sym­pto­men kam es durch die Revas­ku­la­ri­sa­tion zur Stei­ge­rung der Leis­tungs fähig­keit und zur Reduk­tion von Sym­pto­men“. Diese Ergeb­nisse impli­zie­ren eine kom­plette Ände­rung des Behand­lungs­wegs, zeigt sich der Experte über­zeugt. „Bei älte­ren Pati­en­ten sind wir sogar noch restrik­ti­ver, weil im Alter noch eine gerin­gere kör­per­li­che Belas­tungs­stufe hin­zu­kommt“, fügt Gottsauner-Wolf hinzu. Als 70-Jäh­ri­ger belaste man sich in der Regel weni­ger als ein 60-Jäh­ri­ger und werde folg­lich auch weni­ger Angina pec­to­ris-Beschwer­den haben. Ein allei­ni­ges kon­ser­va­ti­ves Vor­ge­hen ohne Angio­gra­phie ist bei älte­ren Pati­en­ten daher noch bes­ser zu ver­tre­ten. Bei jün­ge­ren, akti­ven Per­so­nen, die sich grö­ße­rer kör­per­li­cher Belas­tung aus­set­zen und daher leich­ter in die Ischä­mie kom­men, werde man hin­ge­gen eher ein zusätz­li­ches inter­ven­tio­nel­les Vor­ge­hen wäh­len, um ihnen die Leis­tungs­fä­hig­keit zurückzugeben.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 19 /​10.10.2020