Infekt­as­so­zi­ier­tes Rheuma: Gelenks­punk­ta­tion meist unumgänglich

10.11.2020 | Medizin


Wenn nicht eine mecha­ni­sche Ver­let­zung ein geschwol­le­nes Gelenk ver­ur­sacht, sind die bak­te­ri­ell bedingte Arthri­tis, die reak­tive Arthri­tis und die Gelenks­bor­re­liose die wich­tigs­ten Dif­fe­ren­ti­al­dia­gno­sen. Da anhand von Labor­pa­ra­me­tern und der kli­ni­schen Unter­su­chung keine sichere Dia­gnose mög­lich ist, ist eine Ana­lyse der Gelenks­flüs­sig­keit meist unumgänglich.

Die unter­schied­li­chen For­men von Infekt-asso­zi­ier­tem Rheuma zäh­len zu den wich­tigs­ten Dif­fe­ren­ti­al­dia­gno­sen von Gelenks­ent­zün­dun­gen. Sie kom­men jedoch nicht annä­hernd so häu­fig vor wie die rheu­ma­to­ide Arthri­tis oder Pso­ria­sis-Arthri­tis. „Man muss klar unter­schei­den, ob Keime durch eine Gelenks­punk­tion direkt in das Gelenk ein­ge­bracht wur­den, wenn die Maß­re­geln der ste­ri­len Gelenks­punk­tion nicht ein­ge­hal­ten wur­den, oder ob das Immun­sys­tem indi­rekt zu einer Gelenks­ent­zün­dung führt, obwohl sich die Infek­tion gar nicht im Gelenk abspielt“, erklärt Univ. Prof. Lud­wig Erla­cher von der 2. Medi­zi­ni­schen Abtei­lung mit Rheu­ma­to­lo­gie und Osteo­lo­gie der Kli­nik Favo­ri­ten in Wien. 

Die bak­te­ri­elle Arthri­tis, bei der es zu einer direk­ten Infek­tion mit Bak­te­rien im Gelenk kommt, gilt beson­ders bei älte­ren Pati­en­ten unter immun­mo­du­lie­ren­der The­ra­pie als wich­ti­ger rheu­ma­to­lo­gi­scher Not­fall. „Wenn ich den Ver­dacht habe, dass eine bak­te­ri­ell­be­dingte Gelenks­ent­zün­dung vor­liegt, muss ich sofort mit Anti­bio­tika begin­nen und mit einer Ortho­pä­die Kon­takt auf­neh­men, da even­tu­ell ent­spre­chende wei­tere ortho­pä­di­sche oder chir­ur­gi­sche Schritte not­wen­dig sind“, betont Erlacher. 

Cha­rak­te­ris­tisch für diese Form ist ein eit­ri­ger, Leu­ko­zy­ten­rei­cher Gelenks­er­guss sowie der Nach­weis von Bak­te­rien in der Gram­fär­bung. „Bei die­ser sep­ti­schen Arthri­tis han­delt es sich meis­tens um Sta­phy­lo­kok­ken, manch­mal auch Strep­to­kok­ken, die klas­sisch ein rotes, geschwol­le­nes und über­wärm­tes Gelenk bedin­gen“, fügt Univ. Prof. Ste­fan Wink­ler von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin I in Wien hinzu. Kommt es hin­ge­gen zur Gelenks­ent­zün­dung ohne Bak­te­rien im Gelenk selbst, kön­nen Infek­tio­nen der Harn­röhre, des Vagi­nal­trakts oder des Magen-Darm-Trakts ursäch­lich sein. Bei die­ser reak­ti­ven Arthri­tis han­delt es sich zumeist um Erre­ger wie Sal­mo­nel­len, Cam­py­lo­bac­ter, Chla­my­dien, Urea­plas­men oder Myko­plas­men. „Im Anschluss an eine Harn­röh­ren­in­fek­tion durch Chla­my­dien kommt es typi­scher­weise zur Schwel­lung eines oder weni­ger Gelenke, die meis­tens das Knie oder Sprung­ge­lenk betrifft“, erklärt Wink­ler. Betrof­fen seien meist jün­gere Men­schen (häu­fig junge Män­ner), die ähn­lich wie bei Spon­dy­l­ar­thri­tis HLA-B27-posi­tiv sind. Die Erkran­kung ist über­wie­gend selbst­li­mi­tie­rend und erfor­dert nur in sel­te­nen Fäl­len eine immun­mo­du­lie­rende Basis­the­ra­pie. In der Regel wird die Infek­tion der Harn­röhre behan­delt (wich­tig: Part­ner auch behan­deln); der Durch­fall ist meis­tens schon vor­bei und erfor­dert keine Antibiotika-Gabe.

Rin­gel­rö­teln und Polyarthritis

Neben bak­te­ri­el­len Infek­tio­nen kön­nen auch Virus­er­kran­kun­gen die Gelenke betref­fen und mit fie­ber­haf­ten Infek­ten ein­her­ge­hen. Im Gegen­satz zu den klas­si­schen Glie­der­schmer­zen in der Akut­phase einer Influ­enza oder bei COVID-19 gibt es bestimmte Virus­er­kran­kun­gen, die sich dif­fe­ren­zier­ter auf die Gelenke aus­wir­ken. „Ein Bei­spiel sind die Par­vo­vi­ren, die im Kin­des­al­ter Rin­gel­rö­teln und im Erwach­se­nen­al­ter eine Poly­ar­thri­tis bedin­gen kön­nen“, berich­tet Wink­ler. Diese Ent­zün­dung, die mit stark geschwol­le­nen Gelen­ken ein­her­geht, ist in der Regel selbst­li­mi­tie­rend. Eine spe­zi­fi­sche The­ra­pie exis­tiert außer­dem nicht. „Auch Alpha­vi­ren kön­nen nach der Über­tra­gung durch Mos­ki­tos gelenks­nahe Struk­tu­ren infi­zie­ren und dadurch sehr lange Gelenks­be­schwer­den machen“, weiß der Experte. So geht etwa das in wär­me­ren Regio­nen vor­kom­mende Chi­kun­gu­nya-Virus mit unge­wöhn­lich lan­gen, durch­aus bis zu einem Jahr anhal­ten­den Gelenks­schmer­zen bei etwa der Hälfte aller Pati­en­ten ein­her. Die The­ra­pie ist wie bei den Par­vo­vi­ren rein sym­pto­ma­tisch; auch die Gelenks­schmer­zen sind selbstlimitierend. 

Eine wei­tere wich­tige, wenn auch sehr sel­tene Dif­fe­ren­ti­al­dia­gnose ist die durch Zecken über­tra­gene Gelenks­bor­re­liose, die mit einer Mono­ar­thri­tis oder Oli­go­ar­thri­tis ein­her­ge­hen kann. „Hier hat man ein sehr stark geschwol­le­nes Knie- oder Sprung­ge­lenk, den Zecken­stich, viel­leicht auch zuvor die Wan­der­röte, gar nicht so hohe Ent­zün­dungs­zei­chen und der Erre­ger kann in der Gelenks­flüs­sig­keit iden­ti­fi­ziert wer­den“, berich­tet Wink­ler. Ein wei­te­rer Hin­weis sind hohe IgG-Anti­kör­per-Titer. Diese infek­tio­lo­gi­sche Gelenks­ent­zün­dung kann durch­aus län­ger vor­han­den sein und sich im Laufe der Zeit ver­bes­sern oder ver­schlech­tern. Wink­ler emp­fiehlt eine drei­wö­chige Anti­bio­tika-The­ra­pie. „Die Gelenks-Bor­re­liose ist eher sel­ten und man muss unter­schei­den, ob es sich um eine ‚echte‘ Bor­re­lien-Arthri­tis han­delt oder ob ein Pati­ent mit einer ande­ren rheu­ma­ti­schen Erkran­kung unab­hän­gig davon Bor­re­lien-Anti­kör­per im Blut hat“, fügt Erla­cher hinzu. Und wei­ter: „Die Dia­gno­se­fin­dung wird best­mög­lich durch Gelenks­punk­tion und den Bor­re­lien-Nach­weis mit­tels PCR aus dem Gelenks­punk­tat unterstützt“. 

Gelenks­punk­tat analysieren

Im Rah­men der Dia­gnos­tik ist neben der Erfas­sung des Rheuma-Sta­tus die Gelenks­punk­tion inklu­sive „ord­nungs­ge­mä­ßer“ (Erla­cher) Ana­lyse des Gelenks­punk­tats (Zell­zahl, Kris­tall­ana­lyse, Kul­tur und Resis­tenz, even­tu­ell Bor­re­lien-PCR, even­tu­ell Gram-Fär­bung) und wei­tere Tests wie ein Ure­thra-Vagi­nal-Abstrich not­wen­dig. Die Gelenks­punk­tion hat unter stren­gen ste­ri­len Bedin­gun­gen zu erfol­gen. Von der äußer­li­chen Begut­ach­tung oder den Ent­zün­dungs­mar­kern im Blut­bild allein lässt sich keine kon­krete Dia­gnose stel­len. „Denn für ein geschwol­le­nes Gelenk gibt es sehr viele Ursa­chen, vor allem klas­sisch rheu­ma­to­lo­gi­sche Erkran­kun­gen wie die rheu­ma­to­ide Arthri­tis, Ent­zün­dung der Gelenke im Rah­men von Spon­dy­l­ar­th­ro­pa­thien, Pso­ria­sis, bei Kol­la­ge­no­sen und nicht zu ver­ges­sen durch Gicht“, dif­fe­ren­ziert der Experte. „Die meis­ten Infek­tio­nen sind eher akut und man kann sie dadurch mit Aus­nahme der Arthri­tis urica leich­ter von chro­nisch ent­zünd­li­chen rheu­ma­ti­schen Erkran­kun­gen unter­schei­den“, fügt Wink­ler hinzu. Wich­tig sei es, sich dem Ein­zel­fall zu wid­men und die unter­schied­li­chen Dif­fe­ren­ti­al­dia­gno­sen im Hin­ter­kopf zu haben. Vor­ge­schä­digte Gelenke spie­len in der Regel keine Rolle. „Und natür­lich haben Dia­be­ti­ker ein höhe­res Risiko für eine bak­te­ri­elle Infek­tion als jemand, der nicht an Dia­be­tes mel­li­tus lei­det“, so Erlacher.

The­ra­pie­sche­mata variieren

Bei den For­men des Infekt-asso­zi­ier­ten Rheu­mas han­delt es sich prin­zi­pi­ell um gut behan­del­bare Erkran­kun­gen. Die The­ra­pie – die keine Stan­dard­the­ra­pie ist – rich­tet sich dabei nach der Dia­gnose. Für die Chla­my­dien-indu­zierte reak­tive Arthri­tis gibt es andere The­ra­pie­sche­mata als für die Bor­re­lien-indu­zierte oder für die Bak­te­rien-indu­zierte Arthri­tis. Wich­tig ist, dass erst behan­delt wird, wenn die Ursa­che bekannt ist. Die Gelenks­punk­tion ent­schei­det, ob sofort Anti­bio­tika ein­zu­set­zen sind. Nicht ziel­füh­rend ist es Erla­cher zufolge, wenn ohne ent­spre­chende Abklä­rung Cor­ti­son in das geschwol­lene Knie gespritzt wird. Im Gegen­satz zur reak­ti­ven Arthri­tis ist der Ein­satz von Cor­ti­son bei der Bak­te­rien-indu­zier­ten Arthri­tis im Akut­ge­sche­hen abso­lut ver­bo­ten, da die Erre­ger mit Anti­bio­tika schnell era­di­ziert wer­den müs­sen oder auch chir­ur­gisch-ortho­pä­di­sche Ein­griffe not­wen­dig sein kön­nen. Eine immun­mo­du­lie­rende Basis­the­ra­pie wie bei der rheu­ma­to­iden Arthri­tis oder der Pso­ria­sis-Arthri­tis wird nur bei Son­der­for­men wie zum Bei­spiel bei der wie­der­keh­ren­den reak­ti­ven Arthri­tis, nicht aber im Akut­ge­sche­hen ein­ge­setzt. (ls)

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 21 /​10.11.2020