Herzinsuffizienz: Hospitalisierungen vermeiden

10.06.2020 | Medizin

Die Herzinsuffizienz wird häufig so spät erkannt, dass eine Hospitalisierung unumgänglich ist. Obwohl sehr gute Therapieoptionen existieren, wird nur ein geringer Teil der Patienten therapieoptimiert. Das Problem ist meist die Auftitration der medikamentösen Therapie und häufig eine Frage der Awareness und der Zuständigkeit.
Laura Scherber

Belastungsabhängige Atemnot, Ödeme, Verwirrtheit und Völlegeühl – das sind die wichtigsten, aber zugleich unspezifischen Symptome der Herzinsuffizienz. Hinzu kommen charakteristischere Symptome wie die Orthopnoe und die nächtliche paroxysmale Dyspnoe, wenn der Patient vorübergehend im Liegen unter Atemnot leidet und sich zur Linderung der Symptomatik aufsetzen muss. Herzinsuffizienzpatienten sind in der Regel höheren Alters. „Viele Patienten tun die reduzierte Leistungsfähigkeit und andere Beschwerden schnell als Alterserscheinung ab. Da kann es leicht vorkommen, dass man sich hier als Arzt in die Irre führen lässt“, berichtet Priv. Doz. Deddo Mörtl von der Klinischen Abteilung für Innere Medizin 3 des Universitätsklinikums St. Pölten. Umso wichtiger sei es daher, bei derartigen Formulierungen hellhörig zu werden, da sich eine Herzinsuffizienz hinter diesen Symptomen verbergen könnte. „Zu den klassischen Symptomen kommen eventuell Komorbiditäten, allen voran der Myokardinfarkt, aber auch Diabetes mellitus, Hypertonie und die Niereninsuffizienz und hier braucht es natürlich eine entsprechende Awareness“, betont Univ. Doz. Martin Hülsmann von der Universitätsklinik für Innere Medizin II am AKH in Wien. Das differentialdiagnostische Spektrum ist gleichzeitig sehr groß. So könne allein der Atemnot auch eine pulmonale Erkrankung wie eine COPD, ein Leistungsdefizit oder seltener eine Muskelerkrankung zugrunde liegen. „Von den Symptomen her betrachtet gehört die Herzinsuffizienz zu den gefährlichsten Erkrankungen und daher muss ich das Gefährliche erst einmal ausschließen, bevor ich den Patienten differentialdiagnostisch weiter evaluiere“, fügt Hülsmann hinzu.

Für die Diagnostik der Herzinsuffizienz gibt es Mörtl zufolge einen extra darauf ausgelegten Diagnose­Algorithmus, der das Vorgehen vereinfachen soll. Besteht bei einem Patienten der Verdacht auf das Vorliegen einer Herzinsuffizienz, sollten zur besseren Abgrenzung die Vorerkrankungen, die mit dieser Erkrankung in Verbindung stehen, erfasst werden. Symptome wie Beinödeme oder Rasselgeräusche der Lunge können wichtige Hinweise geben. „Dann wird ein EKG gefordert, weil es kaum einen Herzinsuffizienzpatienten mit einem völlig normalen EKG gibt“, betont der Experte. Der nächste Schritt ist die Blutabnahme mit natriuretischem Peptid. Ist dieses Ergebnis auffällig, ist die Zuweisung zu einem Herzultraschall indiziert; bei einem unauffälligen Wert könne man eine Herzinsuffizienz „de facto“ (Mörtl) ausschließen und diagnostische Schritte in eine andere Richtung setzen.

Hospitalisierung schlecht für Prognose

Etwa drei Prozent der erwachsenen Bevölkerung haben eine Herzinsuffizienz – oft auch unentdeckt. „Abhängig davon, wie die Patienten therapiert werden, geht man von einer etwa 50­prozentigen Fünf­Jahres­Mortalität aus“, berichtet Hülsmann. Diagnostiziert wird die Herzinsuffizienz fast immer im Krankenhaus, was neben den gesundheitlichen Konsequenzen auf individueller Ebene auch mit entsprechend hohen Gesundheitskosten auf gesellschaftlicher Ebene einhergeht. So stehen vier Fünftel der Gesundheitskosten, die bei einer Herzinsuffizienz entstehen, in Zusammenhang mit der Hospitalisierung. Dazu kommt, dass eine Hospitalisierung aufgrund der Herzinsuffizienz meist repetitive Hospitalisierungen wegen Verschlechterungen der Symptomatik triggert. „Nach zwei Monaten sind 60 Prozent entweder verstorben oder erneut hospitalisiert“, weiß Mörtl. In Deutschland gilt die Herzinsuffizienz als Hauptaufnahmediagnose in Krankenhäusern. Für Österreich geht man auf Basis von Daten der Statistik Austria davon aus, dass jeder zehnte stationäre Patient eine Herzinsuffizienz hat. Derzeit gibt es pro Jahr 24.000 Hospitalisierungen aufgrund einer Herzinsuffizienz. „Dramatisch ist es, weil die Herzinsuffizienz selbst eine sehr schlechte Prognose hat, schlechter als bei den meisten Krebserkrankungen“, führt Mörtl aus. Außerdem sei die Hospitalisierung per se laut Hülsmann ein schlechtes Zeichen für die Prognose. „Wir gehen davon aus, dass jeder Patient ein bisschen kränker aus dem Krankenhaus wieder herauskommt, weil die Aufnahme ein so dramatisches Ereignis ist, dass der Herzmuskel hier wiederum Schaden nimmt“, berichtet der Experte. Daher ist ein entsprechendes Entlassungsmanagement notwendig, damit der Patient die adäquate Therapie bekommt.

Therapie: mehrere Optionen

„Für die Therapie der Herzinsuffizienz gibt es eine Fülle von Medikamenten, die gut für die Lebensqualität sind, gut für die Hospitalisation und gut für die Sterblichkeit“, erklärt Hülsmann. Im Rahmen eines entsprechenden Stufenplans werden im ersten Schritt ACE­Hemmer und Betablocker und gegebenenfalls Mineralkortikoid­Rezeptorantagonisten als Basistherapie eingesetzt. „Ist der Patient stabil und die Niere ist soweit in Ordnung, sollte man auf Entresto umstellen“, führt der Experte aus. Zeigt sich im EKG ein Linksschenkel block, wird die kardiale Resynchronisationstherapie eingesetzt. „Ist der Betablocker austitriert und der Patient immer noch tachykard und im Sinusrhythmus, kann man Ivabradin geben“, so Hülsmann. Vielversprechend seien auch die antidiabetischen SGLT2­Hemmer, die sich als wirksame Medikamente bei der Herzinsuffizienz herauskristallisiert hätten. Die Zulassung durch die US­amerikanische Food and Drug Administration (FDA) ist bereits erfolgt, weshalb man in naher Zukunft auch die Zulassung durch die Europäische Arzneimittel­Agentur (EMA) erwartet.

Nachbetreuung essentiell

Entgegen der häufigen Annahme ist der Krankenhausaufenthalt meist zu kurz, um die Therapie zu optimieren und alle Medikamente in der notwendigen Dosis aufzutitrieren, da bei einer stationären Aufnahme das Augenmerk vor allem auf der Akutversorgung liege. Das große Problem sei laut Mörtl, dass es „keine allgemein akzeptierte und standardisierte Aufgabenverteilung im Management der Herzinsuffizienzpatienten gibt“. Die Folge ist, dass sich im Extremfall jeder oder überhaupt niemand dafür zuständig fühlt, was sich auch in den Daten widerspiegelt. „Nur die wenigsten Patienten haben eine optimierte Herzinsuffizienztherapie, schätzungsweise unter zehn Prozent“, berichtet Mörtl. Die Therapieoptimierung ist Arbeit: Man braucht mehrere Medikamente in einer bestimmten Dosis, die nicht von Anfang an gegeben, sondern schrittweise gesteigert werden muss. Ein dafür von der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft entwickelter Algorithmus gibt genaue Informationen, wie die Titrationsschritte aussehen sollen, welche Grenzwerte zu beachten sind und welche Maßnahmen bei Nicht­Erreichen der Werte gesetzt werden können. Bei der Auftitration der medikamentösen Therapie besteht Hülsmann zufolge oft ein zögerliches Verhalten aufgrund bestehender Komorbiditäten. Allerdings sei ein niedrigerer Blutdruck und eine eingeschränkte Nierenfunktion hier kein Hindernis. „Gerade in den stabilen Phasen sollte man sich bemühen, die Zieldosierungen zu erzielen und nicht warten, bis es dem Patienten schlechter geht“, resümiert der Experte.

Tipp: www.gesundheitskasse.at/de/chi/index.html

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2020