Grippesaison: Influenza trifft auf Corona

10.10.2020 | Coronavirus, Medizin


Das diesjährige Ausbleiben einer starken Influenza­Saison auf der Südhalbkugel lässt einen ähnlich milden Verlauf für Österreich vermuten. Die Vorbildwirkung von Ärztinnen und Ärzten beginnt damit, sich selbst impfen zu lassen. Eine aktive Impfempfehlung gilt als stärkster Impfmotivator.
Manuela-Claire Warscher

Jedes Jahr erkranken weltweit fünf bis zehn Prozent der Erwachsenen und zehn bis 20 Prozent der Kinder an Influenza. In Österreich trifft die Grippe jährlich 200.000 bis 400.000 Personen, wovon 1.000 bis 1.200 Fälle tödlich verlaufen. Damit rangieren Influenzainduzierte Todesfälle im Spitzenfeld der Krankheiten, die durch Impfung vermeidbar sind. Dennoch bleibt die Durchimpfungsrate in Österreich weiter niedrig. Die Rolle des Allgemeinmediziners und der im Gesundheitswesen Tätigen auf das Impfverhalten der Österreicher sollte daher nicht unterschätzt werden; vor allem in der heurigen durch COVID­geprägten Influenza­Saison.  

Die Vorbildwirkung der Ärzte beginnt dieses Jahr bei der eigenen Impfung. „Eigenschutz, um den Fremdschutz gewährleisten zu können – das sollte die diesjährige Devise sein“, appelliert Univ. Prof. Ursula Kunze vom Institut für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Nachdem Ärzte in der vergangenen Zeit häufig das Influenzavirus verbreitet haben, was nachweislich auch zu Todesfällen bei Patienten geführt hat, schlägt Priv. Doz. Monika Redlberger­Fritz vom Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität Wien in dieselbe Kerbe: „Es sind die Impfskeptiker unter den Ärzten, die kaum Empfehlungen aussprechen. Sie müssen überzeugt werden, damit sie sich selbst impfen lassen und ihre Patienten zur Impfung motivieren.“

Positive Nebenwirkung der Influenza-Impfung

Die in Österreich zugelassenen Influenza­Impfstoffe enthalten drei oder vier von der WHO und der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) für die aktuelle Saison empfohlenen Influenzavirus­Impfstämme: zwei Influenza A­Stämme und einen oder beide Vertreter der Influenza B­Linien. Die jeweiligen Stämme werden im Rahmen der Virenstamm­Überwachung festgelegt und an die Impfstoffproduktion weitergeleitet. „Vom Zeitpunkt der Bestimmung der Virenstämme bis zur Produktion vergehen bis zu sieben Monate. Da kann es sein, dass das Virus mutiert und die Wirksamkeit des Impfstoffes entsprechend negativ beeinflusst“, so Kunze.

Dass die Kritik an der geringen Wirksamkeit des Influenza­Impfstoffes seit Jahren zäh bestehe und das Impfverhalten der Österreicher beeinflusse, bedauert die Sozialmedizinerin. Nach Ansicht von Redlberger­Fritz liegt die Ursache der niedrigen Impfrate primär in der Erwartungshaltung der Bevölkerung. „Wer einen 100­prozentigen Schutz erwartet, der wird definitiv enttäuscht werden. Die Influenza­Impfung schützt nicht vor anderen respiratorischen Erkrankungen, aber sie kann die Schwere des Influenza­Verlaufs und Komplikationen reduzieren.“ Was Redlberger­Fritz bei der Diskussion vermisst, sind die Hinweise auf die „positiven Nebenwirkungen“ der Impfung, auf die der niedergelassene Arzt im Patientengespräch eingehen sollte. „Ein geimpfter Patient mit einer kardiovaskulären Erkrankung kann sein Risiko, an einem Influenza­induzierten Herzinfarkt zu versterben, um die Hälfte reduzieren. Im Vergleich dazu senkt der Einsatz von Statinen bei Hyperlipidämie die KHK­Mortalität um 30 Prozent.“

Eine aktive Impf­Empfehlung des Allgemeinmediziners und eines anderen Mitarbeiters im Gesundheitswesen gilt als stärkster Impfmotivator. „Um das Gesundheitssystem zu entlasten, muss die Zahl der Geimpften erhöht werden“, so Kunze. Dennoch steht das Gesundheitspersonal vor dem Problem, dass die Impfstoffvorräte knapp werden könnten. „Es wurde wegen Corona eine größere Menge als üblich bestellt, aber eben keine Unmengen“. Aus diesem Grund wird der Allgemeinmediziner eine aktive Impfempfehlung abwiegen und gezielt mit den betreffenden Patienten besprechen müssen, ist Kunze überzeugt. Etwas differenzierter und weit weniger besorgniserregend sieht Redlberger­Fritz die Entwicklung. „Selbst wenn wir eine Erhöhung der Durchimpfungsrate um 100 Prozent schaffen, liegen wir immer noch bei lediglich zwölf bis 14 Prozent. Damit bleibt Österreich im europäischen Vergleich weiter auf einem sehr niedrigen Level.“ Den befürchteten Engpass schließt Redlberger­Fritz aus.

Kaum Wartezimmer-Ansteckungen

Die kommende Grippesaison wird zur besonderen Herausforderung für Allgemeinmediziner, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und Patienten. Die Symptome von COVID­19 und Influenza sind vor allem zu Beginn kaum voneinander zu unterscheiden. „Zu den zahlreichen Atemwegserkrankungen, die wir jährlich in der kalten Saison verzeichnen, wird vor allem das Zusammentreffen von vielen Menschen auf engem Raum die Zahl der Personen mit Influenza, Atemwegserkrankungen, aber auch COVID­19 drastisch erhöhen“, sagt Kunze. Jede Form von Halsschmerzen, die eine Influenza oder einen grippalen Infekt begleiten, könnte beim Patienten die Furcht vor einer COVID­19 Infektion auslösen. Dieser Einschätzung widerspricht Redlberger­Fritz: „Das Problem der Wartezimmer­Ansteckungen, für das ich schon vor Jahren eine Maskenausgabe bereits bei der Anmeldung vorgeschlagen habe, könnte sich für dieses Jahr aufgrund der Maskenpflicht erledigt haben. Vor allem schätze ich die Gefahr von Doppelinfektionen derzeit als gering ein.“ Weitere Schutzmaßnahmen wie die Terminvergabe, um die Wartezeiten zu reduzieren, müssten darüber hinaus in den Ordinationen der Allgemeinmediziner und Allgemeinmedizinerinnen besonders strikt eingehalten werden.

Mutation & Co-Zirkulation

Das neue Corona­Virus (SARS­CoV2) zählt zu den RNS­Viren, die als außerordentlich mutationsfähig gelten. Laut Redlberger­Fritz gebe es derzeit aber keine wirklichen Hinweise darauf, dass diese Mutationen die Impfstoffentwicklung behindern würden. „Kleine Mutationen können immer vorkommen.“ Erfreulicherweise stünden heute diagnostische Möglichkeiten zur Verfügung, die nicht nur die generelle Unterscheidung der Genotypen erlauben, sondern auch helfen, minimalste Mutationen frühzeitig zu erkennen. „Das ist eine äußerst positive Entwicklung, die das diagnostische Spektrum und die medizinische Behandlungsstrategie enorm erweitert“, erklärt die Virologin.

Darüber hinaus ist die Influenza­Aktivität auf der Südhalbkugel sehr gering ausgebildet. Die diversen Sicherheitsmaßnahmen, die aufgrund der COVID­19­Pandemie erlassen wurden, erschwere die Zirkulation der Influenza­Viren. „In Australien beispielsweise war die Aktivität Mitte August, normalerweise Hochzeit der Influenza, heuer weit unter der üblichen Aktivität,“ stellt Redlberger­Fritz fest. Das Ausbleiben einer starken Influenza­Situation aufgrund der Hygiene­ und Schutzmaßnahmen auf der Südhalbkugel könnte daher für einen ähnlich milden Verlauf in Österreich sprechen. Allerdings kann vorerst kaum eine valide Einschätzung einer möglichen Co­Zirkulation von Influenza­ und COVID­19­Viren gegeben werden. „Wir müssen abwarten und sehen, wie sich die generellen Schutzmaßnahmen auf die Co­Zirkulation auswirken. Die Ergebnisse aus der virologischen Überwachung im Rahmen des Sentinel­Netzwerks (DINÖ) sollten hierzu klarere Informationen liefern. Seit dem Sommer wurden auch SARS­Testungen aufgenommen.“ Die ersten Ergebnisse sollten demnächst vorliegen.


Influenza 2020: Tipps für die Praxis

  • Lassen Sie sich und die Mitarbeiter in Ihrer Ordination impfen.
  • Schützen Sie Ihre Patienten mit entsprechenden Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen wie beispielsweise Terminvergaben u.ä.
  • Sprechen Sie aktiv eine Impfempfehlung aus und weisen Sie auf die „positiven Nebenwirkungen“ der Impfung hin.

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2020