Gesund­heits­ri­siko Mobil­funk 5G: Unkon­trol­lierte Umbrüche

25.11.2020 | Medizin


Eine mög­li­che kar­zi­no­gene Wir­kung des 5G-Mobil­funk­net­zes mit höhe­ren Geschwin­dig­kei­ten und neuen Fre­quen­zen ist nicht aus­zu­schlie­ßen. Die größ­ten­teils nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen wie Sucht­ver­hal­ten, Depres­sio­nen und auch jene auf die Sozia­li­sa­tion sind bereits rela­tiv gut erforscht.

Manuela War­scher

Ist das aktu­elle Mobil­funk­netz mit Fre­quen­zen von weni­ger als 2,6 Giga­hertz (GHz) aus­ge­kom­men, so wer­den für die Mobil­funk­tech­no­lo­gie der fünf­ten Gene­ra­tion (5G) der­zeit Fre­quen­zen von vier GHz sowie um 700 und 900 MHz ver­wen­det. Künf­tig wer­den aber auch Fre­quen­zen von über 24 GHz benö­tigt. Damit wird es mög­lich sein, einen „Tech­no­lo­gie­schritt in eine neue, ganz andere Dimen­sion“ zu machen, unter­streicht Assoz. Prof. Hans-Peter Hut­ter von der Abtei­lung für Umwelt­hy­giene und Umwelt­me­di­zin der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Bis­lang gibt es aller­dings noch rela­tiv wenig Kon­kre­tes hin­sicht­lich der Anwen­dungs­be­rei­che von 5G – außer dass es um die Digi­ta­li­sie­rung von mög­lichst vie­len bis­her anlog geführ­ter Lebens­be­rei­che gehen soll.

Dar­über hin­aus wird 5G der neue Stan­dard für die Indus­trie und das Inter­net der Dinge (IoT – Inter­net of Things) sein sowie durch den Ein­satz von Aug­men­ted Rea­lity Spiele in neue Sphä­ren hie­ven. „Es wird so sein, dass prak­tisch über­all die gesamte Bevöl­ke­rung vom vor­ge­burt­li­chen Leben bis zum Grei­sen­al­ter 5G-Funk­wel­len aus­ge­setzt sein wird“, erklärt Hut­ter. Doch: „Auch wenn wir in ein paar Jah­ren mit die­sem 5G wer­den leben müs­sen, kann heute noch nie­mand sagen, wer wie stark expo­niert sein wird und wofür es letzt­lich dann wirk­lich genutzt wer­den soll“, gibt Hut­ter zu bedenken.

„Das Motto heißt ‚schnel­ler, schnel­ler und noch­mals schnel­ler‘“, bestä­tigt Univ. Prof. Wil­helm Mos­göl­ler vom Insti­tut für Krebs­for­schung der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. Grund­sätz­lich gilt: je höher die Fre­quenz, umso gerin­ger die Reich­weite. Daher muss auch die Zahl der Sen­de­mas­ten für das 5G-Netz dras­tisch erhöht wer­den, um das glei­che Gebiet ver­sor­gen zu kön­nen. „Die Sen­de­an­la­gen sind zwar nicht so strah­len­in­ten­siv, dafür sind sie aber mög­li­cher­weise näher an uns dran“, sagt Hutter.

Mobil­funk­strah­lung ist elek­tro­ma­gne­ti­sche Strah­lung. Einige Stu­dien, die für eine Strah­lung von sechs GHz bis 100 GHz (Mil­li­me­ter­wel­len) durch­ge­führt wur­den, zei­gen ein­deu­tige bio­lo­gi­sche Reak­tio­nen. „Limi­tie­rend ist aller­dings die Stu­di­en­qua­li­tät. Des­halb sind zwar viele Fra­gen immer noch offen. Doch es gibt über­wie­gend Hin­weise, dass es bio­lo­gi­sche Reak­tio­nen gibt, die auch gesund­heit­lich rele­vant sein kön­nen“, so Hut­ter. Und wei­ter: „Gerade wenn man die Erkennt­nisse zu den älte­ren Mobil­funk­Ge­nera­tio­nen her­an­zieht, muss man die neuen Anwen­dun­gen genau betrach­ten. Immer­hin wur­den die Mikro­wel­len als mög­li­cher­weise krebs­er­re­gend sei­tens der Inter­na­tio­na­len Agen­tur für Krebs­for­schung der WHO ein­ge­stuft. Tat­säch­lich haben Unter­su­chun­gen gezeigt, dass Gehirn­zel­len von Rat­ten, die hoch­fre­quen­ter Strah­lung aus­ge­setzt waren, DNA-Strang­brü­che auf­wei­sen. „DNA-Brü­che kön­nen völ­lig harm­los sein oder eine Vor­stufe zu Krebs dar­stel­len“, sagt Mos­göl­ler. Aller­dings: „Wenn wir Mobil­funk benüt­zen, haben wir den Sen­der direkt am Kopf. Hand­krebs gibt es nicht, sehr wohl aber Schild­drü­sen- oder Hirn­tu­more.“ Argu­mente, wonach die Häu­fig­keit der Kar­zi­nome welt­weit zurück­geht, lässt der Krebs­for­scher jeden­falls nicht gel­ten. „Die Krebs­welle nach Hiro­shima war erst nach 40 Jah­ren erkenn­bar. Mobil­funk gibt es seit 20 Jah­ren und die­ser Zeit­raum ist für Gehirn­tu­more kein Gradmesser.“

Kon­troll­be­hörde fehlt

Mit defi­nier­ten Grenz­wer­ten (SAR) sol­len daher auch die schäd­li­chen Wir­kun­gen von Smart­phones so klein wie mög­lich gehal­ten wer­den. Der zuläs­sige SAR-Wert liegt bei höchs­tens zwei Watt pro Kilo­gramm Gewebe für den Kopf. „Die Selbst­kon­trolle ist jeden­falls einer der effek­tivs­ten Wege, um all­fäl­lige Gesund­heits­ge­fah­ren abzu­wen­den“, sagt Mos­göl­ler. Daher sollte öfter mit Frei­sprech­an­lage tele­fo­niert wer­den. Män­ner soll­ten Smart­phones nicht in der Hosen­ta­sche tra­gen. Dass sowohl das medi­zi­ni­sche Per­so­nal als auch die Bevöl­ke­rung keine Anlauf­stelle für ihre Fra­gen rund um 5G haben, sieht Mos­göl­ler als Haupt-Manko. „Wenn ich mir eine Lebens­mit­tel­ver­gif­tung im Restau­rant zuziehe, gibt es eine Behörde, die vom schad­haf­ten Essen Pro­ben zieht, sie unter­sucht und Maß­nah­men setzt. Doch beim 5G-Mobilunk gibt es keine Zulas­sungs- oder Kon­troll­be­hörde, die die Medi­zin übli­che Vor­sorge wal­ten lässt. Das muss sich ändern“, so Mos­göl­ler. „Inwie­weit die gesamte 5G-Tech­no­lo­gie und ins­ge­samt die Tele­kom­mu­ni­ka­tion auch Effekte auf andere Lebens­be­rei­che wie zum Bei­spiel die Tier­welt hat, muss noch deut­lich inten­si­ver unter­sucht wer­den“, unter­streicht Hut­ter. Ebenso wurde dem Thema Res­sour­cen­ein­satz bis­lang noch wenig Beach­tung geschenkt. „Woher kom­men die Roh­stoffe und die Ener­gie für 5G? Diese Frage hat noch nie­mand umfas­send beant­wor­tet, viel­leicht auch nicht ein­mal gestellt“, sagt Hut­ter. „Auch bei Ent­sor­gungs- oder Recy­cling­kon­zep­ten bei­spiels­weise für Bat­te­rien, die in Sen­de­sta­tio­nen als Backup bei Strom­aus­fall ein­ge­setzt wer­den, sind Ver­ant­wort­li­che bis­lang säu­mig.“ Vor allem den Impact auf die Gesell­schaft kann der­zeit nie­mand genau abschät­zen. „Was 5G für Arbeits­plätze oder Ordi­na­tio­nen und Gesund­heits­ein­rich­tun­gen bedeu­tet, ist völ­lig unklar“, fasst Hut­ter zusammen.

Pro­ble­ma­ti­sches Suchtverhalten

Der 5G-Mobil­funk wird die Gesell­schaft nach­hal­tig ver­än­dern und zu „unkon­trol­lier­ten Umbrü­chen“ füh­ren, sind Hut­ter und Mos­göl­ler über­zeugt. Die größ­ten­teils nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf das mensch­li­che Ver­hal­ten und die Sozia­li­sa­tion sind bereits rela­tiv gut erforscht. „Ein gro­ßes Thema ist das Sucht­po­ten­tial. Diese Fol­gen der schö­nen neuen Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­welt wer­den nach wie vor gerne unter den Tisch gekehrt“, betont Hut­ter. „Dabei ver­dich­ten sich die Hin­weise, dass die pro­ble­ma­ti­sche Sucht-artige Handy- bezie­hungs­weise Smart­phone-Nut­zung mit Angst und Depres­sio­nen zusam­men­hängt“. Der Experte sieht ins­be­son­dere in den Mög­lich­kei­ten, die 5G im Gam­ing bie­ten wird, eine noch kaum ein­zu­schät­zende Gefahr für Kin­der und Jugend­li­che und deren kogni­tive und psy­cho­so­ziale Ent­wick­lung. „Diese neue Dimen­sion der Spiele … Dar­auf müs­sen sich auch die ent­spre­chen­den Bera­tungs­stel­len vorbereiten“.

Doch nicht nur das Sucht­ver­hal­ten, auch psy­chi­sche Krank­hei­ten wer­den zuneh­men. In Stu­dien konnte gezeigt wer­den, dass bei mehr als drei Stun­den Screen Time täg­lich Depres­sio­nen zuneh­men. „Viele Jugend­li­che fin­den mitt­ler­weile die Kom­mu­ni­ka­tion über das Handy in der vir­tu­el­len Umge­bung ange­neh­mer als jeman­dem beim Spre­chen in die Augen schauen zu müs­sen“, erklärt Mos­göl­ler. Daher warnt der Zell­for­scher: „Das zen­trale Pro­blem von 5G ist nicht mehr die Tumor­bil­dung, son­dern die Sucht und die ver­nach­läs­sigte Gene­ra­tion, die nicht mehr von einem mensch­li­chen, son­dern einem elek­tro­ni­schen Baby­sit­ter betreut wird.“ Er sieht den All­ge­mein­me­di­zi­ner gefor­dert, all­fäl­lige Auf­merk­sam­keits­de­fi­zite und Depres­sio­nen von Kin­dern und Jugend­li­chen als mög­li­ches Resul­tat der Mobil­sucht zu inter­pre­tie­ren, um die Behand­lungs­kon­zepte daran zu orientieren.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 22 /​25.11.2020