Demenz bei Down-Syndrom: Steigende Tendenz

10.03.2020 | Medizin

 

Die Lebenserwartung von Menschen mit Down-Syndrom steigt. Dadurch wird ein bisher weniger beachteter Aspekt der Erkrankung immer wichtiger: Drei von fünf Betroffenen erkranken bis zum 55. Lebensjahr an einer Demenz.

Sophie Fessl

Es ist schon länger bekannt, dass Menschen mit Trisomie 21 ein erhöhtes Risiko haben, an Alzheimer-Demenz zu erkranken“, erklärt Assoc. Prof. Elisabeth Stögmann von der Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen am AKH Wien. Grund dafür ist, dass sich das Gen für das Amyloid-Precursor Protein auf Chromosom 21 befindet. „Das Chromosom liegt bei Menschen mit Down Syndrom drei Mal vor, das Gen liegt damit auch drei Mal vor. Dieses APP-Gen ist bei Alzheimer-Patienten mit einer Überexpression des Amyloid Precursor Proteins assoziiert und führt zu vermehrter Amyloid-Beta-Produktion, die sich in Plaques im Gehirn ablagern. Das dreifache Vorhandensein des APP-Gens bei Menschen mit Down-Syndrom führt zu einer vermehrten Produktion von Amyloid-Beta.“

In der Vergangenheit erkrankten nur wenige Personen mit Down-Syndrom an Alzheimer, „da die Lebenserwartung aufgrund von Herzfehlern und Leukämien nur gering war“, erklärt Univ. Prof. Josef Marksteiner von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie A des Landeskrankenhauses Hall in Tirol. „Es ist dadurch Thema geworden, weil durch gute medikamentöse und sonstige Betreuung die Patientengruppe inzwischen älter wird. Früher, als das Durchschnittsalter 40 Jahre betrug, hat man diese Symptomatik natürlich weniger gesehen.“ Mittlerweile erreichen Menschen mit Down-Syndrom ein höheres Alter, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt derzeit bei rund 60 Jahren, schätzt Marksteiner. Bereits im Jahr 1988 wurde beobachtet, dass über 40-Jährige mit Down-Syndrom eine hohe Anzahl an senilen Plaques und neurofibrillären Tau-Tangles haben – ähnlich wie Patienten mit Alzheimer in der Durchschnittsbevölkerung. Durch die höhere durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen mit Down-Syndrom hat sich gezeigt, dass die Prävalenz von Alzheimer-Demenz eine starke Altersabhängigkeit zeigt. In Autopsien wurde festgestellt, dass im Alter von 40 Jahren im Gehirn von fast allen Menschen mit Down-Syndrom die neuropathologischen Zeichen von Demenz sichtbar sind.

Koinzidenz mit Alzheimer – Trisomie 21

Inzidenz und Prävalenz von Alzheimer-Erkrankung und Down-Syndrom analysierte nun Eric Rubenstein von der Universität von Wisconsin in Madison in einer in JAMA Neurology veröffentlichten Studie. „Die jetzt erschienene Studie bezieht sich auf die Epidemiologie: wie oft kommen Alzheimer-Erkrankung und Down-Syndrom zusammen vor. Medicaid-Daten als zentrale Krankenkassendaten waren die Grundlagen. Die Forscher konnten damit ansehen, wie oft und wie häufig diese Diagnosen zusammen vorkommen“, erklärt Stögmann.

Da praktisch alle Personen mit Down-Syndrom bei Medicaid sind, nutzten die Forscher die Anspruchsdaten von 2.968 im Wisconsin Medicaid-Aufgenommenen mit Down-Syndrom zwischen 2008 bis 2018. Von den 40- bis 54-Jährigen hatten 18,8 Prozent Forderungen wegen Demenz gestellt. Es bestand eine 40-prozentige Chance, dass eine Person mit Down-Syndrom im Alter von 40 bis 54 Jahren in den nächsten elf Jahren eine Demenz-Forderung einreichen würde; bei Personen, die 55 Jahre oder älter waren, lag diese Chance bereits bei 67 Prozent. Bei Männern und Frauen mit Down-Syndrom unter 40 Jahren war die Wahrscheinlichkeit für eine Demenz ungefähr gleich groß. Aber im Alter von 40 bis 54 Jahren war die Wahrscheinlichkeit einer Demenz bei Frauen um 23 Prozent höher.

Plaques triggern Alzheimer

Dass Menschen mit einem Down-Syndrom vermehrt und bereits in jungen Lebensjahren an Alzheimer-Demenz erkranken, ist ein weiteres Argument für die Amyloid-Hypothese, der zufolge Amyloid-Beta-Plaques der Trigger für die Entstehung von Alzheimer sind, erklärt Stögmann. „Kognitive Verschlechterung und einen Beginn klinischer Symptomatik beobachten wir bei Menschen in ihren 30ern. Neuropathologische Veränderungen sehen wir bei Menschen in ihren 40ern“. Stögmann weiter: „Die Neuropathologie beginnt aber von Anfang an, da das APP-Gen ja das gesamte Leben lang überexprimiert ist.“

Die Ablagerung von Amyloid-Beta kann bereits bei sehr jungen Menschen mit Down-Syndrom beobachtet werden, aber bei über 30-Jährigen ist es systematisch zu sehen – Jahrzehnte, noch bevor es bei Alzheimer-Patienten in der generellen Bevölkerung beobachtet wird. Bei über 40-Jährigen mit Down-Syndrom erfolgt die Ablagerung von Amyloid dann nicht mehr linear, sondern exponentiell, wie eine in Nature erschienene Studie gezeigt hat. Marksteiner betont die Wichtigkeit dieser Information für die Betreuung von Menschen mit einem Down-Syndrom: „Wir sehen das im klinischen Alltag sehr oft. Jemand ist betreut und dann kommt es im Alter zwischen 35 und 40 Jahren zu verschiedenen Problemen. Es sollte nicht übersehen werden, dass der Grund dafür sein kann, dass sich die kognitive Leistung verschlechtert hat.“

Es könne zum Verlust vieler Fähigkeiten kommen. Marksteiner dazu: „Zur Demenz kommen Demenz-assoziierte Symptome. Jemand, der in der Lage war, bestimmte praktische Dinge selbst zu erledigen und das dann nicht mehr kann. Das ist ebenso wie bei Alzheimer-Patienten keine Motivationsfrage, sondern die praktischen Fähigkeiten gehen einfach verloren. Wichtig ist also, im Hinterkopf zu haben, dass eine dementielle Erkrankung beginnen könnte. Wenn jemand von vornherein beeinträchtig ist, ist es natürlich noch schwieriger, das festzustellen.“

Die Diagnose von Demenz bei Menschen mit Down-Syndrom stellt die Ärzte vor eine besondere Herausforderung. „Natürlich ist die Diagnostik nicht ganz einfach, weil die Skalen und Instrumente nicht unbedingt von vornherein auf diese Patientengruppe abgestimmt sind. In der englischen Literatur gibt es mehr angepasste Instrumente. Es geht also in Zukunft darum, die Testinstrumente auszutauschen und anzupassen“, berichtet Marksteiner, der auch betont, dass die Beobachtungen von Betreuern und der Familie eine wichtige Rolle in der Anamnese spielen.

Aufgrund der steigenden Lebenserwartung ist für Stögmann die Frage der künftigen Versorgung der Patienten wichtig. „Daher müssen wir auch überlegen, wie viele Patienten mit Down-Syndrom dement werden und wie wir sie versorgen. Aber solche Überlegungen speziell zur Versorgung von Patienten mit Down-Syndrom hinsichtlich Demenz sind mir nicht bekannt.“

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2020