Inter­view Johan­nes Stein­hart: ÖGK: Inves­ti­tio­nen drin­gend erforderlich

25.02.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK

Johan­nes Stein­hart, Vize­prä­si­dent der Öster­rei­chi­sche Ärz­te­kam­mer und Bun­des­ku­ri­en­ob­mann der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte, schätzt die ers­ten Wochen der ÖGK als holp­rig ein. Er sieht einige Punkte und Äuße­run­gen, die zu kri­ti­sie­ren sind.

Wie beur­tei­len Sie den Start der neuen Öster­rei­chi­schen Gesundheitskasse? 

Er stellt sich holp­rig dar. Zum Bei­spiel über­ra­schen die öffent­li­chen Äuße­run­gen des neuen Dach­ver­bands-Chefs Peter Leh­ner. Seine klare Ableh­nung des Risi­ko­aus­gleichs zwi­schen den Ver­si­che­rungs­trä­gern halte nicht nur ich für hoch­pro­ble­ma­tisch. Die­ser hat immer tadel­los funk­tio­niert und ist ein Gebot der Fair­ness. Ins­ge­samt wurde eine klare Bevor­zu­gung der Selbst­stän­di­gen-Kasse deut­lich, deren Obmann Herr Leh­ner ist. Darum sollte ein Dach­ver­bands­vor­sit­zen­der nicht gleich­zei­tig Obmann einer ande­ren Kasse sein. Es besteht das Risiko, dass Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen gegen­über den Inter­es­sen der All­ge­mein­heit domi­nie­ren und dass die ÖGK mit ihren 7,2 Mil­lio­nen Ver­si­cher­ten unter Druck gera­ten wird. 

Wie beur­tei­len Sie die Aus­sa­gen des Dach­ver­bands-Chefs zur Öster­reich wei­ten Ver­ein­heit­li­chung des Leistungskatalogs? 

Als erstaun­lich. Was bitte soll bei der Leis­tungs­har­mo­ni­sie­rung der ÖGK eine „Har­mo­ni­sie­rung durch Inno­va­tion“ sein? Aus­ge­reift klingt das nicht. Wir haben ein Recht auf klare Aus­sa­gen, zum Bei­spiel auch, dass mehr Geld ins Gesund­heits­sys­tem flie­ßen muss. Schon jetzt wird es immer schwe­rer, Kas­sen­stel­len zu beset­zen. Mit Jah­res­be­ginn waren in Öster­reich 157 von den Kran­ken­kas­sen aus­ge­schrie­bene Stel­len für Ärzte nicht besetzt. Das sind um 28 mehr als Anfang 2019. Die kom­mende Pen­sio­nie­rungs­welle wird die Lage noch wei­ter ver­schär­fen. Es kann hier keine Valo­ri­sie­rung nach unten geben. 

Die Kurie der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte hat einen neuen Leis­tungs­ka­ta­log erar­bei­tet, der die ärzt­li­che Ver­sor­gung auf eine solide moderne Basis stel­len soll.

Wie haben uns die­ser Her­aus­for­de­rung gestellt und mit Exper­tin­nen und Exper­ten aus allen medi­zi­ni­schen Fächern in einem auf­wän­di­gen Arbeits­pro­zess die bestehen­den Leis­tungs­ka­ta­loge aller medi­zi­ni­schen Fächer kon­se­quent über­prüft und an die aktu­el­len Gege­ben­hei­ten ange­passt. Beson­ders wich­tig ist es uns dabei, sicher­zu­stel­len, dass auch wirk­lich alle in den Arzt­pra­xen erbrach­ten Leis­tun­gen abge­bil­det sind, und dass nicht mehr Aktu­el­les gestri­chen wird. Ent­stan­den ist ein Leis­tungs­ka­ta­log von Ärz­ten für Ärzte.
Das ist unser Bei­trag zur Kas­sen­re­form, am Ball ist dann die ÖGK. 

Sie kri­ti­sie­ren, dass die Ärz­te­schaft noch immer nicht in die Ziel­steue­rung ein­ge­bun­den ist, son­dern sich Poli­tik und Sozi­al­ver­si­che­run­gen das ausmachen.

Die Tür­kis-Grüne Bun­des­re­gie­rung will die Ziel­steue­rung ohne Ein­be­zie­hung der Ärz­te­schaft wei­ter aus­bauen. Dass der Ver­zicht auf unsere Exper­tise zu viel­fa­chen Pro­ble­men geführt hat und führt, zeigt zum Bei­spiel ein Blick auf die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen im stei­ri­schen Struk­tur­plan 2025. Dort wurde mit einem bis­her nie ange­wen­de­ten Berech­nungs­mo­dell kal­ku­liert, dass eine Pri­mär­ver­sor­gungs­ein­heit angeb­lich ver­sor­gungs­wirk­sa­mer sein soll als eine Ein­zel­stelle. Das hat unter ande­rem zur Folge, dass im Bezirk Lie­zen zehn Plan­stel­len weg­fal­len. Eine PVE bringt vor­ran­gig den im Ort ansäs­si­gen Men­schen etwas, aber alle ande­ren ver­lie­ren – weil es dann eben weni­ger Ein­zelor­di­na­tio­nen gibt – ihre im Regie­rungs­pro­gramm so deut­lich betonte wohn­ort­nahe Ver­sor­gung. Diese pla­ne­ri­schen Fähig­kei­ten erin­nern stark an die phan­ta­sie­vol­len Berech­nun­gen rund um die ver­spro­chene „Pati­en­ten­mil­li­arde“.

Wie rea­lis­tisch sehen sie die „Pati­en­ten­mil­li­arde“, die der Bun­des­kanz­ler aus der „Kas­sen­re­form“ lukrie­ren will? 

Man wird sehen. Medi­en­be­richte zu die­sem Thema sind ja eher ernüch­ternd, da ist die Rede von erheb­li­chen Bud­get­über­schrei­tun­gen und kost­spie­lige Par­al­lel­struk­tu­ren, etc. Spa­ren durch Leis­tungs­ab­bau und Hono­rar­kür­zun­gen, die ein ent­ste­hen­der Kas­sen­ko­loss gegen­über den Ärz­ten allen­falls rigo­ros durch­setzt, wer­den wir jeden­falls nicht hin­neh­men. Wir for­dern die Pati­en­ten­mil­li­arde unab­hän­gig von mög­li­chen Ein­spa­run­gen. Drin­gend erfor­der­li­che Inves­ti­tio­nen in die Gesund­heits­ver­sor­gung müs­sen jetzt statt­fin­den, und nicht zu einem unbe­kann­ten Zeit­punkt in unbe­kann­ter Höhe. ◉ 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 4 /​25.02.2020