Inter­view Daniel von Lan­gen: „Der Schein trügt“

25.10.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


Tur­nus­ärz­te­ver­tre­ter Daniel von Lan­gen spricht im Inter­view über die Schweiz, den Per­spek­ti­ven­wech­sel und das Arbei­ten in Pra­xen als Anxio­ly­ti­kum.
Sophie Nie­denzu

Wäh­rend Medi­zin­ab­sol­ven­ten frü­her sofort nach dem Stu­dium in Öster­reich ärzt­lich tätig wur­den, ist der Drop-out der­zeit rela­tiv hoch. Was macht das deutsch­spra­chige Aus­land für einen Medi­zi­ner so attrak­tiv? In Deutsch­land und der Schweiz geht man oft bes­ser auf die Bedürf­nisse der Kol­le­gen ein. Man wirbt mit Kin­der­be­treu­ung, Frei­zeit- und Frei­zeit­be­schäf­ti­gung oder garan­tiert Aus­bil­dungs­in­halte in kur­zer Zeit. Auch ist man beim Stel­len­plan fle­xi­bler: wenn ein geeig­ne­ter Kan­di­dat kommt, muss nicht auf eine Plan­stelle gewar­tet wer­den, son­dern man kann sofort anfan­gen. Auch der Ein­druck, bes­ser geför­dert zu wer­den, was die For­schung oder kli­ni­sche Wei­ter­bil­dung angeht, hält sich hart­nä­ckig. Die Schweiz genießt dar­über hin­aus einen guten Ruf: gute Aus­bil­dung und gute Ver­gü­tung – die höhere Arbeits­be­las­tung scheint nicht bekannt oder stört zumin­dest nicht. Doch der Schein trügt: In der Schweiz arbei­tet man mehr, hat weni­ger Ruhe­zei­ten und der Schwei­zer Fran­ken ist vor Ort weni­ger Wert als man denkt, die Lebens­er­hal­tungs­kos­ten sind sehr hoch. In Öster­reich haben wir außer­dem 14 Monats­ge­häl­ter, meist wer­den die Min­dest­ge­häl­ter ohne Zula­gen in den Aus­schrei­bun­gen ange­führt, zudem erhält man je nach Bun­des­land auch in der Aus­bil­dung ver­pflich­tend einen Anteil an den Privatgeldern.

Stich­wort guter Ruf in der Arzt­aus­bil­dung: Wo sehen Sie hier die aktu­ells­ten Pro­bleme in Öster­reich? Arzt­aus­bil­dung ist eine Auf­gabe und kein läs­ti­ges Geld­ver­nich­tungs­pro­blem. Es geht auch darum, fle­xi­bel auf die Bedürf­nisse der ange­hen­den Ärzte ein­ge­hen zu kön­nen. Es gibt außer­dem nicht umsonst Arbeit­neh­mer­schutz­ge­setze – denn nicht jeder ist bei­spiels­weise für 24-Stun­den-Dienste geschaf­fen. Die Arbeits­be­las­tung in den Spi­tä­lern ist hoch, es fehlt oft die Zeit für ein Selbst­stu­dium. Ein Brems­klotz ist hier die enge Per­so­nal­pla­nung. Der Arzt in Aus­bil­dung wird als volle Arbeits­kraft geplant, obwohl er noch ler­nen soll. Der Über­gang von der Theo­rie in die Pra­xis ist viel flie­ßen­der gewor­den, die Lehr­pra­xis ist ja durch­aus auch ein Anxio­ly­ti­kum für die Niederlassung. 

Wie sehr haben öko­no­mi­sche Prin­zi­pien die Spi­tä­ler erobert? Wir erle­ben gerade eine Art Indus­tria­li­sie­rung der Medi­zin. Viele Dinge wer­den durch rein wirt­schaft­lich gebil­dete Men­schen aber lei­der falsch ein­ge­schätzt: das Kran­ken­haus ist keine Fabrik, nicht alle Ansätze der Öko­no­mie gel­ten hier in glei­chem Maße. Selbst­ver­ständ­lich müs­sen auch Kran­ken­häu­ser im Rah­men des Fort­schrit­tes effi­zi­en­ter wer­den, jedoch hat man in den letz­ten Jah­ren durch öko­no­misch mög­li­che Arbeits­ver­dich­tung die Mensch­lich­keit zuse­hend aus dem Gesche­hen ver­trie­ben – für Arzt und Pati­ent. Somit sollte zusam­men­fas­send der wirt­schaft­li­che Fokus etwas aus dem Zen­trum gerückt wer­den und wie­der mehr der Mensch ins Zen­trum gerückt wer­den. Die bil­ligste Lösung ist eben nicht immer die beste.

Sie haben neben Medi­zin auch Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten stu­diert. Wel­chen Vor­teil bringt diese Kom­bi­na­tion? Ich bin davon über­zeugt, dass es für jeden Arzt einen Mehr­wert bie­tet, sich auch in wirt­schaft­li­chen Fra­gen aus­zu­ken­nen oder zumin­dest einen Ein­blick zu haben. Immer­hin sind Ärzte, die sich selbst­stän­dig machen, Unter­neh­mer. Den Ein­blick, was man als Selbst­stän­di­ger alles beach­ten sollte, erhal­ten Ärzte in Aus­bil­dung in den Lehr­pra­xen. Dass die Lehr­pra­xis sich so ent­wi­ckelt hat, ist auch ein Ver­dienst der Ärz­te­kam­mer. Auch in Spi­tä­lern, gerade in lei­ten­den Posi­tio­nen, ist ein wirt­schaft­li­ches Basis­wis­sen nicht ver­kehrt, zumal Begriffe wie Wirt­schaft­lich­keit, Kos­ten­ef­fi­zi­enz und Ratio­na­li­sie­rung schon längst in den Spi­tä­lern ange­kom­men sind. Zudem geht es auch darum, das Gegen­über zu ver­ste­hen, bes­sere Ver­hand­lungs­mög­lich­kei­ten zu haben und das Gesche­hen aus einer ande­ren Per­spek­tive zu sehen.

Was die Per­spek­tive angeht: wie­viel Wis­sen haben ange­hende Medi­zi­ner über das Gesund­heits­sys­tem? Von Medi­zin­stu­die­ren­den erhal­ten wir oft das Feed­back, dass das Hin­ter­grund­wis­sen dazu fehlt. Allein, dass wir Ärzte uns selbst darum bemü­hen, die Qua­li­tät in der Aus­bil­dung zu erhö­hen und wir Ärzte mit der Ärz­te­kam­mer ein nicht zu unter­schät­zen­des Sprach­rohr haben, um poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen mit zu beein­flus­sen, ist vie­len in der Form nicht bewusst. Es wäre daher grund­sätz­lich gut, wenn ange­hende Ärzte bereits im Stu­dium einen Ein­blick dar­über erhal­ten, wie das Gesund­heits­sys­tem funk­tio­niert und wie die Ent­schei­dungs­pro­zesse ablaufen. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2020