Dop­pel- und Mehr­fach­pri­ma­riate: Gespal­te­nes Wesen

25.06.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


Die Mei­nun­gen zu Mehr­fach­pri­ma­ria­ten sind höchst unter­schied­lich. In einer Reso­lu­tion spricht sich die Bun­des­ku­rie ange­stellte Ärzte ein­stim­mig für eine Abschaf­fung aus. Betrof­fene Ärzte geben Ein­bli­cke in die Pra­xis.
Sophie Nie­denzu

Der Ver­ant­wor­tungs­druck auf Pri­mar­ärzte erhöhe sich, die Qua­li­tät der Arzt­aus­bil­dung leide, es fehle der medi­zi­nisch letzt­ver­ant­wort­li­che Ansprech­part­ner: Die Liste mit Kri­tik an Mehr­fach­pri­ma­ria­ten, wovon es der­zeit öster­reich­weit 56 gibt, ist lang. Ver­schie­dene medi­zi­ni­sche Fach­ge­sell­schaf­ten leh­nen diese dezi­diert ab. Als Lei­ter zweier Abtei­lun­gen würde man zuneh­mend in die Büro­kra­tie gedrängt wer­den und von fach­li­chen Not­wen­dig­kei­ten abdrif­ten, sagt Harald Penz, Pri­mar­ärz­te­ver­tre­ter der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer: „Zudem bedin­gen Fächer wie etwa die Anäs­the­sie und Inten­siv­me­di­zin einen hohen Grad an phy­si­scher Anwe­sen­heit.“ In einer Reso­lu­tion for­dert die Bun­des­ku­rie ange­stellte Ärzte der ÖÄK daher eine Abschaf­fung bestehen­der Mehr­fach­pri­ma­riate. Der genaue Wort­laut: „Alle kran­ken­an­stal­ten­recht­li­chen Orga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten – auch in redu­zier­ten For­men und an dis­lo­zier­ten Stand­or­ten – brau­chen einen eigen­stän­di­gen ver­ant­wort­li­chen Lei­ter des betref­fen­den Fach­ge­bie­tes mit Rech­ten und Pflich­ten und fol­gen­den Kom­pe­ten­zen: fach­li­che Eigen­ver­ant­wor­tung, per­so­nelle Ver­ant­wor­tung, Hono­rar­be­rech­ti­gung. Der Lei­ter der Orga­ni­sa­ti­ons­ein­heit soll direkt dem ärzt­li­chen Lei­ter der ört­li­chen Kran­ken­an­stalt unter­stellt und ver­ant­wort­lich sein.“ 

Wie indi­vi­du­ell die Lösun­gen in der Pra­xis aus­se­hen, zeigt das Bei­spiel des Mehr­fach­pri­mars Tho­mas Kle­stil, Lei­ter der Abtei­lung für Ortho­pä­die und Trau­ma­to­lo­gie am LK Baden und am LK Möd­ling sowie am Satel­li­ten­de­part­ment im LK Hain­burg. „Eine Ein­zel­per­son alleine kann unmög­lich an allen drei Stand­or­ten zeit­gleich prä­sent sein und sich um täg­li­che Details gleich­zei­tig küm­mern“, sagt er. Daher habe er lokale Stand­ort­lei­ter an sei­ner Seite, um ihn zu ent­las­ten. Sie seien Ansprech­part­ner vor Ort, deren Auf­gabe es sei, die Vor­ga­ben umzu­set­zen. Sowohl zu Beginn als auch am Ende der Kern­ar­beits­zeit fin­det eine standort­über­grei­fende video­kon­fe­renz-basierte Team­be­spre­chung statt. „Dabei wer­den nach einer klar struk­tu­rier­ten Rei­hen­folge sämt­li­che Pati­en­ten bespro­chen. Das erlaubt Pla­nung, Qua­li­täts­kon­trolle sowie ein Kom­pli­ka­ti­ons­ma­nage­ment nach evi­denz­ba­sier­ten Richt­li­nien“, erzählt er. Es sei anfangs eine Her­aus­for­de­rung gewe­sen, alle Mit­ar­bei­ter vom Mehr­wert eines Mehr­fach­pri­ma­ri­ats zu über­zeu­gen. Heute hin­ge­gen erkenne jeder einen wesent­li­chen Vor­teil: „Jedes Team­mit­glied kann sich sowohl am elek­tiv-ortho­pä­di­schen, als auch am akut-trau­ma­to­lo­gi­schen Schwer­punkt­haus glei­cher­ma­ßen wei­ter­ent­wi­ckeln“, sagt Kle­stil. Zudem seien an allen Stand­or­ten Abklä­rung, Behand­lung und ope­ra­tive Ver­fah­ren vereinheitlicht.

Demo­ti­va­tor für ärzt­li­che Führungskräfte

Ein Dop­pel­pri­ma­riat sei bei klei­nen Abtei­lun­gen argu­men­tier­bar, sagt Jörg Hof­mann, Ober­arzt am Insti­tut für Labor­me­di­zin und Blut­de­pot an der Kli­nik Donau­stadt und Vor­stands­mit­glied der Ärz­te­kam­mer für Wien, die Mehr­fach­pri­ma­riate von Beginn an abge­lehnt hat, aber: „Wel­che Vor­teile sich erge­ben, wenn eine der größ­ten onko­lo­gi­schen Abtei­lun­gen mit einem Ein­zugs­ge­biet von halb Nie­der­ös­ter­reich von einem Halb­ta­ge­s­pri­ma­rius geführt wird, der neben­bei auch noch eine große gas­tro­en­te­ro­lo­gi­sche Abtei­lung in einem ande­ren Haus lei­tet, da wird man vom zustän­di­gen Stadt­rat nicht viel dazu ver­neh­men kön­nen“, kri­ti­siert er. Grund­sätz­lich sehe er die Bot­schaft der Trä­ger an ihre Abtei­lungs­vor­stände „Eure Arbeit ist gerade mal ein Halb­tags­job“ als „einen abso­lu­ter Demo­ti­va­tor für ärzt­li­che Füh­rungs­kräfte“. Zudem müss­ten Ent­schei­dun­gen bei Abwe­sen­heit des Pri­mars vom Ver­tre­ter über­nom­men wer­den: „Kon­sul­ta­tio­nen per Tele­fon und Mail sind zwar mög­lich und sinn­voll – der per­sön­li­che Kon­takt ist aber auf Dauer nicht zu erset­zen“, sagt Hof­mann. Letzt­lich wür­den erfah­rene Ober­ärzte als stell­ver­tre­tende Vor­stände die täg­lich anfal­lende Arbeit für den abwe­sen­den Halb­zeit­pri­ma­rius machen: „Dies aber ohne jeg­li­che Zulage oder andere Form der Wert­schät­zung – das kann ein­fach keine Dau­er­lö­sung sein.“ Diese kom­pen­sa­to­ri­sche Funk­tion kri­ti­siert auch Harald Mayer, ÖÄK-Vize­prä­si­dent und Kuri­en­ob­mann der ange­stell­ten Ärzte. In der Pra­xis würde das Lei­ten von meh­re­ren Abtei­lun­gen häu­fig nicht funk­tio­nie­ren. Beson­ders im Hin­blick auf die Arzt­aus­bil­dung müsse hier umge­dacht wer­den. „Ein Pri­mar, der für die Aus­bil­dung ver­ant­wort­lich ist, sollte auch unmit­tel­bar als Ansprech­part­ner vor Ort sei. Immer­hin steht hier eine qua­li­ta­tiv hoch­wer­tige Aus­bil­dung der zukünf­ti­gen Ärz­te­schaft auf dem Spiel“, sagt er abschlie­ßend.
 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 12 /​25.06.2020