BKNÄ: Start­schuss als Rohrkrepierer

10.11.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


Die ver­patzte Ein­füh­rung der Coro­na­tests im nie­der­ge­las­se­nen Bereich war nur ein Bei­spiel für ein grund­le­gen­des Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem im Gesund­heits­mi­nis­te­rium, heißt es aus der Bun­des­ku­rie der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte.
Sascha Bunda

„Die Ein­füh­rung der Coro­na­tests im nie­der­ge­las­se­nen Bereich war ein gutes Bei­spiel dafür, wie man eine an sich gute Idee in den Sand set­zen kann“, resü­miert Johan­nes Stein­hart, Vize­prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer und Bun­des­ku­ri­en­ob­mann der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte. Die ent­spre­chende Ver­ord­nung wurde Mitte Okto­ber in einer kurz­fris­tig anbe­raum­ten Pres­se­kon­fe­renz des Minis­te­ri­ums prä­sen­tiert, am nächs­ten Tag trat die Ver­ord­nung bereits in Kraft – und das ohne Über­ein­kunft mit der Ärz­te­kam­mer und obwohl wesent­li­che Fra­gen noch offen waren. Weder war gere­gelt, wel­che Ärzte dabei mit­ma­chen wür­den, die Abrech­nung war noch unklar und zu guter Letzt gab es nicht ein­mal die Tests. „Die Folge war extreme Ver­wir­rung unter den Pati­en­ten“, schil­dert Edgar Wut­scher, Obmann der Sek­tion All­ge­mein­me­di­zin der ÖÄK. „Natür­lich wurde dann der Kon­takt zum Haus­arzt gesucht – die Kol­le­gen konn­ten aber nicht wei­ter­hel­fen, weil es eben noch so viele Fra­ge­zei­chen gab. Selbst die Ärzte, die gerne tes­ten woll­ten, konn­ten das nicht, weil die Tests noch nicht da waren“, sagt Wutscher.

Diese Ankün­di­gungs­po­li­tik des Gesund­heits­mi­nis­ters hat Methode, sagt Stein­hart. „Noch nicht zu Ende gedachte Ideen wer­den prä­sen­tiert, um damit ent­spre­chende Publi­city zu gene­rie­ren. Dass es dann aber viele Men­schen gibt, die unter der ent­stan­de­nen Ver­wir­rung zu lei­den haben, wird nicht berück­sich­tigt. Das Chaos ist groß, aber die Kara­wane zieht unbe­ein­druckt wei­ter zur nächs­ten TV-Kamera“, fol­gert Steinhart.

Klar­heit und Transparenz

Dabei brau­che es gerade in der aktu­el­len Situa­tion der Bekämp­fung der Corona-Pan­de­mie vor allem Klar­heit und Trans­pa­renz für die gesamte Bevöl­ke­rung. „Die Bewäl­ti­gung der Corona-Krise wird der Bevöl­ke­rung die Bereit­schaft zum Mit­ma­chen und auch viele Opfer abver­lan­gen. Umso wich­ti­ger ist es, Ent­schei­dun­gen auf trans­pa­ren­ter und gut nach­voll­zieh­ba­rer Basis zu tref­fen und über­zeu­gend und schlüs­sig zu kom­mu­ni­zie­ren. Da gibt es aller­dings noch viel Luft nach oben“, legt Stein­hart den Fin­ger in die Wunde. „Die Lage ist ange­sichts der Zah­len ernst und wir brau­chen drin­gend ein kom­pe­ten­tes gesund­heits­po­li­ti­sches Vor­ge­hen. Intrans­pa­renz, Schnell­schüsse, Kon­fu­sion und Geheim­nis­tue­rei füh­ren nur zu Ver­un­si­che­rung und zer­stö­ren das Ver­trauen.“ Zu viele gesund­heits­po­li­ti­sche Maß­nah­men gegen die Pan­de­mie wür­den den Ein­druck von Unüber­legt­heit und man­gel­haf­ter Vor­be­rei­tung ver­mit­teln, sagt Steinhart.

So sei etwa die vom Gesund­heits­mi­nis­ter geprie­sene Coro­naAm­pel, die aber ohne jede Kon­se­quenz auf­leuch­tet, Stück­werk und zu kryp­tisch. Um die Infek­ti­ons­zah­len herr­sche Wirr­warr. Ob es einen zwei­ten Lock­down geben soll, und wenn ja, wann, dar­über habe sich der Gesund­heits­mi­nis­ter in Schwei­gen gehüllt. „Dass er einen Plan in der Schub­lade habe, des­sen Details er aller­dings aus Sorge vor einer ‚Ver­wir­rung‘ der Bevöl­ke­rung nicht bekannt­gibt, war alles andere als eine ver­trau­ens­bil­dende Maß­nahme“, sagt Stein­hart. „Die Bür­ger sind schließ­lich keine Klein­kin­der, denen man unan­ge­nehme Tat­sa­chen bes­ser ver­schweigt, son­dern haben ein Anrecht auf seriöse Infor­ma­tion und eine nach­voll­zieh­bare Per­spek­tive für die Zukunft.“

Zudem sei durch Bestim­mun­gen zu einem Anti-Corona-Ver­hal­ten der Bevöl­ke­rung, die sich nach­träg­lich als nicht rechts­kon­form her­aus­ge­stellt haben, das Ver­trauen vie­ler Men­schen in die Kom­pe­tenz der Gesund­heits­po­li­tik noch zusätz­lich erschüt­tert wor­den. „Wir ste­hen wohl unmit­tel­bar vor der nächs­ten Corona-Welle und die Bevöl­ke­rung muss ange­sichts der größ­ten Gesund­heits­krise seit 100 Jah­ren abge­holt und über­zeugt wer­den“, sagt Stein­hart. „Das wird ohne Kom­pe­tenz und Trans­pa­renz in der Gesund­heits­po­li­tik nicht gehen. Ergeb­nisse von Mei­nungs­um­fra­gen geben Anlass zur Sorge, dass bereits sehr viel Glaub­wür­dig­keits-Kapi­tal ver­spielt wurde. Es ist zu hof­fen, dass es dem Gesund­heits­mi­nis­ter gelingt, das Steuer noch ein­mal her­um­zu­rei­ßen. Denn es steht viel auf dem Spiel. Statt Schnell­schüsse brau­chen wir jetzt Prä­zi­sion und ziel­ge­naue Maßnahmen.“ 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 21 /​10.11.2020