BKNÄ: „Schutz­schirm war notwendig“

10.06.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK

Andreas Gas­sen, Vor­stands­vor­sit­zen­der der deut­schen Kas­sen­ärzt­li­chen Bun­des­ver­ei­ni­gung (KBV), spricht im Inter­view über seine Ein­schät­zung des Kri­sen­ma­nage­ments in Deutsch­land.
Sascha Bunda

In Öster­reich ist es wäh­rend der Krise durch das gerin­gere Pati­en­ten­auf­kom­men zu exis­tenz­be­dro­hen­den Umsatz­ein­brü­chen bei vie­len nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten gekom­men. Wie sind die deut­schen Ver­trags­ärzte durch die erste Welle der Corona­Pandemie gekom­men? Auch in Deutsch­land waren die Aus­wir­kun­gen ähn­lich, nahezu alle Pra­xen hat­ten deut­lich weni­ger Pati­en­ten und dem­entspre­chend Umsatz­ein­bu­ßen. Wir wis­sen, dass lang­sam wie­der mehr Pati­en­ten in die Pra­xen kom­men, aber die Rück­kehr in die Nor­mal­ver­sor­gung wird noch andau­ern. Die wirt­schaft­li­chen Ver­wer­fun­gen wer­den sicher­lich noch zwei oder drei Quar­tale anhalten.

Wie gestal­tete sich die Aus­stat­tung mit Schutz­aus­rüs­tung für Arzt­pra­xen? Wie über­all fehlte es auch in den Pra­xen der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte an aus­rei­chen­der Schutz­aus­rüs­tung. In der aktu­el­len Pan­de­mie­lage hat der gemein­same Kri­sen­stab der Bun­des­re­gie­rung das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­rium mit der zen­tra­len Beschaf­fung beauf­tragt. Die Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen (KVen) der Län­der haben sich bereit erklärt, die anschlie­ßende Ver­tei­lung an die Pra­xen zu über­neh­men. Die Lie­fe­run­gen sind peu à peu in den Län­dern ange­kom­men. Zusätz­lich haben sich auch die KBV und die KVen selbst um Schutz­ma­te­rial in grö­ße­ren Men­gen bemüht, auch wenn es nicht ihre Auf­gabe ist. Im Pan­de­mie­fall sind nach dem Infek­ti­ons­schutz­ge­setz die Bun­des­län­der zustän­dig für die Bereit­stel­lung von aus­rei­chend Schutz­ma­te­rial. Inzwi­schen hat sich die Aus­stat­tungs­lage in den Pra­xen glück­li­cher­weise ent­spannt, der Bedarf ist aber natür­lich wei­ter­hin hoch.

Arzt­pra­xen, deren Gesamt­ho­no­rar um mehr als zehn Pro­zent gesun­ken ist, sol­len laut Gesetz Aus­gleichs­zah­lun­gen durch die KVen erhal­ten. Diese Zah­lun­gen wer­den durch die Kran­ken­kas­sen erstat­tet. Was sagt Ihrer Mei­nung nach die Tat­sa­che aus, dass der deut­sche Bun­des­tag so rasch einen Schutz­schirm für Ver­trags­ärzte beschlos­sen hat? Es war rich­tig und not­wen­dig, dass der Bun­des­tag auch einen Schutz­schirm für die ambu­lante Ver­sor­gung geschaf­fen hat, um Pra­xis­schlie­ßun­gen abzu­wen­den. Nur mit struk­tur­er­hal­ten­den Umsatz­ga­ran­tien kön­nen wir den Schutz­wall, den die Pra­xen für die sta­tio­näre Ver­sor­gung bie­ten und so die Kran­ken­häu­ser ent­las­ten, auf­recht­erhal­ten. Es ist gut, dass die Poli­tik dies erkannt hat. Wir dür­fen nicht ver­ges­sen, dass sechs von sie­ben COVID-19-Pati­en­ten in Deutsch­land ambu­lant behan­delt werden.

Wie beur­tei­len Sie die Aus­ge­stal­tung des Schutz­schirms? Den Schutz­schirm für die Pra­xen im Gesetz zu ver­an­kern war ein gutes und rich­ti­ges Signal. Man hätte ein­deu­ti­ger for­mu­lie­ren kön­nen und sol­len. Das haben wir auch ange­mahnt. Nichts­des­to­trotz ist es aber nur ein Schutz­schirm. Er wird den Pra­xen hof­fent­lich ermög­li­chen, die Struk­tu­ren auf­recht zu erhal­ten, und auch das nur, wenn es nicht ewig lange geht. 90 Pro­zent der Umsätze des Vor­jah­res im Bereich der Gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung ist weit davon ent­fernt, dau­er­haft eine trag­fä­hige Struk­tur zu ermöglichen.

Wie wur­den die Mög­lich­kei­ten von Corona­Soforthilfe und Kurz­ar­bei­ter­geld von den Ver­trags­ärz­ten auf­ge­nom­men? Wir wis­sen, dass einige Pra­xen auch Kurz­ar­bei­ter­geld bean­tragt haben. Zwi­schen­zeit­lich hieß es aus der Bun­des­agen­tur für Arbeit, dass Ver­trags­arzt­pra­xen auf­grund der Schutz­schirm­lö­sung kein Kurz­ar­bei­ter­geld erhal­ten wür­den. Wir haben uns dar­auf­hin mit einem Schrei­ben an Bun­des­ar­beits­mi­nis­ter Huber­tus Heil gewandt und gefor­dert, dass es bei Pra­xen grund­sätz­lich eine Ein­zel­fall­prü­fung geben müsse. Der Groß­teil der Pra­xen hat auch Ein­künfte aus pri­vat­ärzt­li­chen, arbeits­me­di­zi­ni­schen oder sons­ti­gen Leis­tun­gen – die fal­len nicht unter den Schutz­schirm und kön­nen durch­aus einen hohen und nicht all­ge­mein pau­scha­lier­ba­ren Anteil aus­ma­chen. Wir sind froh, dass die Poli­tik hier schnell reagiert hat und es eine Klar­stel­lung gab, dass es bei Pra­xen eine Ein­zel­fall­prü­fung auf Kurz­ar­bei­ter­geld geben muss.

Wie gestal­tete sich die Zusam­men­ar­beit mit den Kran­ken­kas­sen wäh­rend der Kri­sen­zeit? In vie­len Berei­chen konn­ten wir gemein­sam mit den gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen schnell und unkom­pli­ziert gemein­same Lösun­gen für die Her­aus­for­de­run­gen der Corona-Krise fin­den. Wir haben zum Bei­spiel früh­zei­tig die Abrech­nung der PCR-Labor­tests gere­gelt. Ein wei­te­res Bei­spiel ist der Ein­satz der Video­sprech­stunde: Hier haben wir uns dar­auf ver­stän­digt, dass im zwei­ten Quar­tal die Fall­zahl und die Leis­tungs­menge nicht limi­tiert sind, zuvor hat­ten die Pra­xen hier eine 20-Pro­zent-Grenze. Auch im Bereich der Psy­cho­the­ra­pie wur­den die Ein­satz­mög­lich­kei­ten der Video­sprech­stunde erwei­tert, jüngst kam etwa eine Son­der­re­ge­lung zur Erleich­te­rung der sozi­al­psych­ia­tri­schen Ver­sor­gung von Kin­dern und Jugend­li­chen hinzu: Bis Ende Juni ist auch die funk­tio­nelle Ent­wick­lungs­the­ra­pie per Video möglich. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2020