BKNÄ: Nach Maßgabe des Umbruchs

10.09.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


SARS-CoV-2 hat einmal mehr besonders deutlich gemacht, wie wichtig eine personell gut ausgestattete niedergelassene ärztliche Versorgung ist. Höhere Ärztezahlen sind ein Muss.

Insgesamt 16 Facharzt-Kassenstellen hatte die Tiroler Ärztekammer allein in einem Monat ausgeschrieben, gemeldet habe sich kein einziger Interessent, berichtet die Tiroler Tageszeitung. Die oberösterreichische Ärztekammer warnt über die Kronenzeitung: Der Ärztemangel werde im niedergelassenen Bereich weiterwachsen, weil der Nachschub an den Universitäten nicht ausreiche, um die Pensionierungsabgänge zu ersetzen. Und Meinbezirk.at schreibt: „Kinderärzte: Jede zehnte Kassenstelle ist unbesetzt.“ Drei Beispiele von zahllosen ähnlichen, die in den vergangenen Wochen und Monaten von den Medien aufgegriffen wurden.

Junge Ärzte gesucht

Wie schlimm ist es derzeit tatsächlich um die Ärzteknappheit bestellt, vor der die Ärztevertretung seit Jahren regelmäßig warnt? „Das Thema COVID-19 hat einmal mehr besonders deutlich gemacht, wie wichtig gerade in Pandemie-Zeiten eine personell gut ausgestattete niedergelassene ärztliche Versorgung ist. Und wie dramatisch es sich gerade angesichts der bestehenden Ärzteknappheit ausgewirkt hätte, wenn eine substantielle Zahl von Ärzten infolge einer SARS-CoV-2-Infektion ihre Arztpraxen hätten schließen müssen“, sagt Johannes Steinhart, ÖÄK-Vizepräsident und Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte. „Allerdings verschärft sich der Ärztemangel in Österreich von Jahr zu Jahr. Wir haben zu wenige niedergelassene Ärzte, und dieser Trend wird sich weiter zuspitzen, wenn nicht endlich seitens der Gesundheitspolitik etwas Wirksames unternommen wird.“

Die Auswertung der Altersstatistik der niedergelassenen Kassen- und Wahlärzte zeigt:  In zehn Jahren wird etwa jeder Zweite das Pensionseintrittsalter erreicht haben. Jedes Jahr gehen Ärzte altersbedingt für die Versorgung verloren, können aber nicht durch junge Ärzte ersetzt werden, weil die Entwicklungen insgesamt rückläufig sind.

Die Österreichische Ärztekammer hat den mittelfristigen jährlichen Nachbesetzungsbedarf mit rund 969 niedergelassenen Ärzten eruiert. Das ist jene Zahl zusätzlicher Ärzte, die zur Aufrechterhaltung des Versorgungsstandes in fünf Jahren erforderlich ist, um die rentenbedingten Abgänge aufzufangen. Steinhart: „Derzeit gibt es allerdings keine Chance, diesen Bedarf decken zu können.“ Im Studienjahr 2017/18 gab es in Österreich 1.741 Absolventen eines Medizinstudiums, davon etwa 30 Prozent ausländische Absolventen, und erfahrungsgemäß werden aus unterschiedlichen Gründen rund 40 Prozent aller Absolventen nicht in Österreich als Ärzte arbeiten. Steinhart: „Zahlenmäßig gesehen müssten also so gut wie alle in Österreich bleibenden Absolventen eines Medizinstudiums hier als niedergelassene Ärzte arbeiten, um den Nachholbedarf decken zu können.“

Keine Flucht ins Ausland

Während frühere Regierungen in der Regel jeden Ärztemangel leugneten, sei es begrüßenswert, dass Wissenschafts- und Bildungsminister Heinz Faßmann die Zahl der Medizin-Studienplätze an den staatlichen Medizinischen Universitäten von bisher 1.740 auf 1.900 anheben will. Steinhart: „Ein Schritt in die richtige Richtung, aber wohl kein ausreichend großer.“ Es müsste insgesamt an mehreren Schrauben, als nur an der bloßen Medizinstudienplatz-Zahl gedreht werden: Auch spezielle Aktionen in einigen Bundesländern, wie zum Beispiel speziell geförderte Studienplätze für Studierende, die sich für ein paar Jahre im Bundesland als Ärzte zu arbeiten verpflichten, gehen in die richtige Richtung, sagt Steinhart: „Zentral wird sein, die Rahmenbedingungen niedergelassener ärztlicher Tätigkeit so attraktiv zu gestalten, dass sie international konkurrenzfähig sind. Sonst darf sich niemand wundern, wenn junge Ärzte dorthin abwandern, wo es für sie interessanter zugeht, sei es, weil die Ausbildungsqualität höher ist oder die Arbeitsbedingungen insgesamt besser sind.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2020