BKNÄ: Interview Johannes Steinhart: „Brisantes Spiel mit dem Feuer“

25.05.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK

Auch für eine mögliche zweite Welle von Coronavirus-Infektionen muss ein leistungsfähiger niedergelassener Bereich verfügbar sein, fordert Johannes Steinhart, Vizepräsident der ÖÄK und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Dazu braucht es dringend einen Verlustausgleich.
Sascha Bunda

Zum Zeitpunkt des Interviews befinden wir uns am Ende der ersten Welle der Coronavirus-Infektionen. Was nehmen Sie aus den vergangenen Wochen mit? Zuerst einmal muss ich hier festhalten, wie sehr mich die Einsatzbereitschaft der Ärzteschaft beeindruckt hat. Von der ersten Stunde an sind die heimischen Ärzte vorangegangen und haben Verantwortung übernommen – sei es zum Beispiel beim Ärztefunkdienst in Wien, als Epidemieärzte oder schon durch das Offenhalten ihrer Ordinationen trotz widrigsten Umständen. In kürzester Zeit hat sich der Ordinationsalltag grundlegend verändert, doch diese Umstellungen wurden binnen kürzester Zeit angenommen und zum Wohl der Patienten umgesetzt. Auf der negativen Seite bleibt mir aber die bisherige Bilanz der neuen Österreichischen Gesundheitskasse in Erinnerung. Der Blick auf dieses Prestigeprojekt der Zusammenlegung muss nach den ersten Monaten seiner Existenz doch extrem ernüchtert ausfallen – was für uns nicht unerwartet kommt, schließlich hat die Österreichische Ärztekammer schon von Beginn an die Schwachstellen aufgezeigt.

Sie haben Ende April recht scharfe Kritik am Verhalten der ÖGK in der Corona-Krise geübt. Was war hier der Hintergrund? Man könnte von dem berühmten Tropfen sprechen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Schon längere Zeit hat die Bundeskurie auf allen ihr möglichen Wegen versucht, auf eine Lösung für die vielen niedergelassenen Ärzte zu drängen, die wegen bis zu 90 Prozent geringerem Patientenaufkommen teils existenzbedrohende Umsatzeinbrüche zu verzeichnen hatten. Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen konnten diese Ärzte nicht einfach zusperren, sondern haben ihre Ordinationen geöffnet gehalten, damit die niedergelassene Infrastruktur bei laufenden Kosten aufrechterhalten bleibt und damit zum einen wesentlich zur Entlastung der Spitäler beigetragen, aber auch die Versorgung ihrer Patienten sichergestellt. Diese bemerkenswerten Leistungen unter hohem persönlichen Risiko gehen weit über das hinaus, was ein Leistungskatalog abbilden kann. Daher braucht es für diese außergewöhnliche Situation auch eine Lösung, die ihr Rechnung trägt und zwar für alle niedergelassenen Ärzte. Nicht nur Wirtschaftsbetriebe müssen gestützt werden, sondern auch die Arztpraxen. Dabei darf man auch die Funktion der Ärzte als Arbeitgeber nicht außer Acht lassen – über 25.000 Jobs hängen am niedergelassenen Bereich.

Die Forderungen der Ärzteschaft lagen zu diesem Zeitpunkt ja schon längst auf dem Tisch. Wie wurde auf diese Forderungen reagiert? Es gab keine Wertschätzung, keine Unterstützung – nicht einmal ein offenes Bekenntnis oder auch nur Bereitschaft, die Ärzteschaft zu unterstützen. Das war nach all den Wochen, in denen über 90 Prozent der Kassenordinationen geöffnet hatten und die gegenüber der ÖGK immer zu ihrem Wort gestanden sind, ein schwerer Tiefschlag für die gegenseitige Vertrauensbasis. Schließlich darf man nicht vergessen, dass es die Ärztekammern in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und privaten Spendern waren, die die eklatanten Mängel bei der Versorgungsleistung der ÖGK bei Schutzausrüstung so kompensiert haben, dass die Ordinationen auch in der Krisenzeit offengehalten werden konnten.

Wenige Tage später hat sich Dachverbandschef Peter Lehner öffentlich zu dieser Aussendung geäußert. Diese schnelle Rückmeldung hat mich auch überrascht – vor allem angesichts der spärlichen medialen Auftritte der Kassen-Führungsspitze. Da haben wir anscheinend den richtigen Ton getroffen. Das medial dokumentierte Versprechen von Lehner, Ärzte bei ihrer Forderung nach Ausgleichszahlungen voll zu unterstützen, kam spät, war aber ein langersehntes positives Zeichen. Endlich wurde von Kassenseite anerkannt, dass die niedergelassene Infrastruktur aufgefangen und geschützt werden muss.

Welche Folgen erwarten Sie, wenn die Ordinationen jetzt nicht ausreichend aufgefangen werden? Wer jetzt nicht in die niedergelassene Infrastruktur investiert, riskiert ihre Ausdünnung. Wenn man in Betracht zieht, dass es schon vor der Krise über 150 offene Kassenstellen gab, sollte für jeden nachvollziehbar sein, wie sensibel dieser Bereich ist. Sollte es zu einer zweiten Welle von Coronavirus-Infektionen kommen, wie es von den meisten Virologen und Intensivmedizinern prognostiziert wird, wäre es fatal, wenn der niedergelassene Bereich die österreichische Gesundheitsversorgung diesmal nicht mehr in dieser Art stützen könnte. Dabei haben uns internationale Beispiele schon gezeigt, wie elementar wichtig die niedergelassene Infrastruktur in einer solchen Krise ist. Jetzt bei der Versorgung den Sparstift herauszuholen, ist ein brisantes Spiel mit dem Feuer, bei dem die Schwächsten und Hilfsbedürftigsten der Gesellschaft die größten Verlierer sein könnten.

Was können Sie in diesen Tagen den Patienten mitgeben? Wir haben seit dem Wiederhochfahren der Ordinationen bemerkt, dass es noch gewisse Hemmungen seitens der Patienten gibt, wieder in die Ordinationen zu kommen. Ich kann dazu nur betonen, dass es absolut unnötig ist, davor Angst zu haben. Es ist eminent wichtig, Routine-, Kontroll-, Vorsorge- und Nachsorgeuntersuchungen sowie Impfungen jetzt wieder wie gewohnt wahrzunehmen. Es gibt schließlich auch noch andere ernstzunehmende Erkrankungen außer COVID-19. Wenn Krankheiten zu lange unentdeckt bleiben und Patienten in einem unnötig schlechten Zustand medizinische Einrichtungen aufsuchen müssen, drohen dadurch indirekte Folgeschäden der Coronakrise. Dank des vorbildlichen Managements der Ärzte bei telefonischer Terminvereinbarung, bei der Koordination des Verhaltens im Wartezimmer und der strengen Hygienebestimmungen kann bestmöglicher Schutz vor Ansteckung mit dem Coronavirus geboten werden. Allerdings sind auch die Bürger in die Pflicht zu nehmen und daran zu erinnern, wie wichtig jetzt und in Zukunft Präventionsmaßnahmen wie Händehygiene, Abstand halten und, mindestens nach Maßgabe der Vorschriften, das Tragen von Masken sind.

Was erwarten Sie von der Gesundheitspolitik? Ich kann nur erneut unterstreichen: Wir Ärzte waren vor der Krise für unsere Patienten da, wir sind während der Krise für sie da und wir werden weiterhin für sie da sein. Allerdings muss uns die Gesundheitspolitik auch in die Lage versetzen, das zu tun.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2020