BKNÄ: Ärzte unter Druck – Online-Befragung

15.07.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


Eine österreichweite Online-Befragung der Bundeskurie niedergelassene Ärzte in Kooperation mit der Medizinischen Universität Innsbruck widmet sich der mentalen Gesundheit niedergelassener Ärzte während der COVID-19-Pandemie. Es werden neben der Belastung auch die Befindlichkeit und ein mögliches Burnout-Risiko während und ein Jahr nach der Pandemie erfasst.
Ilsemarie Kurzthaler und Alex Hofer*

Im Rahmen der aktuellen COVID-19-Pandemie weist der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Ausgabe von „World Psychiatry“ vom Juni dieses Jahres ausdrücklich auf die außerordentliche Stressbelastung aller derzeit in die Patientenversorgung eingebundenen Gesundheitsberufe hin. Zusätzlich betont er die Wichtigkeit von protektiven Maßnahmen und allgemeiner Unterstützung für diese Personengruppen. 

Der Arztberuf gehört grundsätzlich zu den gesundheitsgefährdenden Tätigkeiten – ein Paradoxon. Diese Tatsache ist seit langem bekannt und zwischenzeitlich auch wissenschaftlich belegt. Die neueste Fassung der Genfer Deklaration vom Oktober 2017 beschreibt als bedeutende Weiterentwicklung des Hippokratischen Eides in klaren Worten und moderner Sprache die Grundsätze des ärztlichen Berufes: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können“ – ist einer der wesentlichen Grundsätze. Allerdings muss die Bedeutung dieses Satzes großteils erst noch im Bewusstsein der Ärzteschaft verankert werden.

Die Gesundheit und Zufriedenheit von Ärzten sind zentrale Faktoren einer effektiven und qualitativ hochwertigen Patientenversorgung und müssen somit im Zentrum des gesellschaftspolitischen Interesses stehen. Es ist eine Tatsache, dass gesunde, motivierte Ärzte eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für uns alle gewährleisten. Aufgrund der beruflichen Belastungssituationen sind Ärzte besonders gefährdet, psychische Probleme bzw. eine Burnout-Symptomatik zu entwickeln. Der Begriff „Burnout-Symptomatik“ beschreibt emotionale und körperliche Erschöpfung, Gleichgültigkeit, Zynismus, verringerte Leistungszufriedenheit und sozialen Rückzug. Dieser Zustand ist neben inneren Faktoren durch Arbeitsüberlastung, den Mangel an Kontrollmöglichkeit, unzureichende Belohnung, einen Zusammenbruch der Gemeinschaft, das Fehlen von Fairness und durch widersprüchliche Werte bedingt. Beispielsweise wiesen in einer im Jahr 2017 von der Universitätsklinik für Psychiatrie I der Medizinischen Universität Innsbruck in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer für Tirol durchgeführten Studie über die Burnout-Gefährdung von Allgemeinmedizinern fünf Prozent der Teilnehmer ein hohes und sieben Prozent ein deutliches Burnout-Risiko auf. Frauen zeigten dabei eine signifikant höhere Ausprägung an emotionaler Erschöpfung als Männer. Auf die Frage, ob sie sich wieder für das Studium der Humanmedizin entscheiden würden, antworteten 41 Prozent mit „nein“. Noch stärker alarmierende Zahlen kommen aus anderen Studien, denen zufolge die Burnout-Rate bei Ärzten in westlichen Ländern ca. 20 Prozent beträgt und die Hälfte der Mediziner als diesbezüglich gefährdet gilt. Untersuchungen zur Arbeitsbelastung und -situation niedergelassener Allgemeinmediziner in ländlichen versus städtischen Praxislagen aus Deutschland ergaben, dass Ärzte in ländlichen Gebieten und mit einer Einzelpraxis signifikant mehr arbeiten (gemessen an ihrer wöchentlichen Arbeitszeit) und eine noch höhere Arbeitsbelastung fürchten, der sie sich nicht gewachsen fühlen.

Spezialfall Pandemie

Pandemien sind unvorhersehbar und stellen für das gesamte Gesundheitssystem eine extreme Herausforderung dar. Von allen, den Bürgern, den Entscheidungsträgern und den Ärzten, wird in diesen Zeiten ein sicherer Umgang mit Unsicherheit gefordert, um Handlungsoptionen im Sinne der eigenen und der allgemeinen gesundheitssystemischen Gegebenheiten setzten zu können. Neben angestellten Ärzten sind niedergelassene Allgemeinmediziner und Fachärzte das Rückgrat der medizinischen Versorgung und stellen gerade in Zeiten einer Pandemie unverzichtbare Stützen des Gesundheitswesens dar. Als Primärbehandler mit Koordinationsfunktion nehmen sie eine Schlüsselrolle ein und sind besonderen Belastungen ausgesetzt. Dazu gehören die Konfrontation mit einer deutlich erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrate, das isolierte Arbeiten in einem Quarantänegebiet und die Einbindung in Triagesysteme, die sie mit ethischen Fragestellungen konfrontieren. Zusätzlich besteht neben einem deutlich erhöhten Risiko einer Selbstinfektion auf Grund des engen Kontaktes mit infizierten Personen die Gefahr einer sozialen Stigmatisierung. Neben diesen unmittelbaren Belastungen sind die vor Ort tätigen Ärzte aber auch mit wirtschaftlichen Problemstellungen konfrontiert:

  • Rückgang der Patientenzahlen (insbesondere bei langfristiger Terminplanung) mit entsprechend geringeren Einnahmen bei gleichbleibenden Vorhaltekosten,
  • Schließung der Praxisräumlichkeiten aufgrund von Lieferengpässen für Produkte des medizinischen Bedarfs bei Großhändlern, zum Beispiel Atemmasken, Desinfektionsmittel oder Schutzkleidung,
  • Schließung oder teilweise Schließung der Praxisräumlichkeiten, weil der Betrieb durch Erkrankungen oder Quarantäneauflagen nicht mehr (vollständig) aufrechterhalten werden kann.

Aus der Fachliteratur geht eindeutig hervor, dass das häufige Erleben eigener und fremder Gefährdung und ungünstige arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen mit einer hohen Burnout-Gefährdung der Betroffenen einhergehen. Besonders Situationen, in denen die eigene körperliche Unversehrtheit gefährdet ist, sowie Situationen mit extrem erlebter Handlungsunfähigkeit sind Risikofaktoren für die Entwicklung von psychischen Problemen.

Kurze Online-Befragung

Bisher gibt es nur sehr wenige Untersuchungen darüber, mit welchen spezifischen Problemen niedergelassene Ärzte während einer Pandemie konfrontiert sind. Insbesondere existieren bis dato keine Untersuchungen über die Befindlichkeit und über eine mögliche Burnout-Gefährdung dieser Gruppen in bzw. nach Pandemiezeiten. Die Relevanz dieses Themas unterstreicht eine erste im Frühjahr dieses Jahres in Deutschland durchgeführte Umfrage zum Thema „Erfahrungen und Belastungserleben niedergelassener Neurologen und Psychiater während der COVID-19 Pandemie“. Sie ergab, dass etwa 60 Prozent der Ärzte sich stark bis sehr stark eingeschränkt fühlen, und dass ein Drittel sich große bzw. sehr große Sorgen macht und zudem eine hohe bzw. sehr hohe Gefahr einer eigenen Infektion sieht. Ein Drittel fühlt sich auch persönlich finanziell bedroht und erwartet Umsatzverluste der Praxis. 18  Prozent der Befragten macht die Corona-Pandemie große bis sehr große Angst. Die Autoren betonen ausdrücklich die Notwendigkeit weiterer Studien, um differenzierte Ergebnisse zur ambulanten fachärztlichen Versorgung unter Pandemiebedingungen zu erhalten und diese zu optimieren. Die Befragung wies allerdings eine Rücklaufquote von unter 20 Prozent auf. Auch wurden in dieser ersten orientierenden Kurzbefragung keine validierten Messinstrumente verwendet.

Um aus der COVID-19 Pandemie durch umfangreiche und spezifische Information zu lernen, werden nun in einer wissenschaftlichen Untersuchung der Universitätsklinik für Psychiatrie I der Medizinischen Universität Innsbruck und der Österreichischen Ärztekammer neben dem Belastungsprofil auch die Befindlichkeit und ein mögliches Burnout-Risiko aller niedergelassenen Ärzte während und ein Jahr nach der Pandemie erfasst. Hierfür erhalten alle in Österreich niedergelassenen Ärzte über die Ärztekammer zeitnah einen Link via E-Mail zugesandt. Die Online-Befragung erfolgt anonym und dauert ca. 15 Minuten. Anschließend werden die Daten an der Medizinischen Universität Innsbruck statistisch aufbereitet und ausgewertet. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse können einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung von spezifischen Unterstützungsmaßnahmen in Österreich leisten und gleichzeitig zur besseren Wahrung der Ärztegesundheit in künftigen Pandemiezeiten beitragen. Da ausschließlich repräsentative Daten als Grundlage für die Etablierung von präventiven Maßnahmen herangezogen werden können, ist eine hohe Teilnehmerzahl für uns Ärzte, unsere Patienten und die politischen Entscheidungsträger wesentlich.

*) Ilsemarie Kurzthaler und Alex Hofer arbeiten am Department für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Univ.-Klinik für Psychiatrie I, Medizinische Universität Innsbruck. Die Literatur liegt bei den Verfassern.

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2020