Inter­view Johan­nes Stein­hart: „Völ­lig unnö­tig gekippt“

15.08.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


Im Inter­view zieht Johan­nes Stein­hart, ÖÄK-Vize­prä­si­dent und Bun­des­ku­ri­en­ob­mann der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte, Bilanz über die The­men der ver­gan­ge­nen Wochen. Das Ende der tele­fo­ni­schen Krank­schrei­bung hält er für eine fal­sche und unnö­tige Maß­nahme.
Sascha Bunda

In den ver­gan­ge­nen Wochen gab es zahl­rei­che The­men, die Sie bear­bei­tet haben. Über­ra­schen­der­weise hat die ÖGK per Rund­schrei­ben infor­miert, dass die tele­fo­ni­sche Krank­schrei­bung mit Ende August aus­lau­fen soll. Was ist davon zu hal­ten? Aus mei­ner Sicht: nicht viel. Diese Ent­schei­dung kommt viel zu früh und ist zudem sehr kurz­sich­tig. Warum sollte man gerade im Sep­tem­ber, wenn die ent­schei­dende Phase in der COVID-19-Pan­de­mie beginnt, auf die­ses Ser­vice ver­zich­ten? Eine zweite Welle ist nach wie vor kei­nes­falls aus­zu­schlie­ßen und gerade bei küh­le­ren Tem­pe­ra­tu­ren wer­den auch andere Infek­ti­ons­er­kran­kun­gen und Erkran­kun­gen der Atem­wege zurück­keh­ren. Gerade dann ist es ent­schei­dend, dass wir unsere Pati­en­ten, unsere Mit­ar­bei­ter und auch uns selbst opti­mal schüt­zen. Die tele­fo­ni­sche Krank­schrei­bung hat sich aus unse­rer Sicht bes­tens bewährt und sollte kei­nes­falls aus­lau­fen. Die gelun­gene Stra­te­gie, die War­te­zo­nen in Ordi­na­tio­nen frei­zu­hal­ten, wird völ­lig unnö­tig gekippt. Zudem besteht auch kein wirt­schaft­li­cher Grund, die­ses Ser­vice aus­lau­fen zu las­sen. Unsere Erfah­run­gen haben gezeigt, dass die tele­fo­ni­sche Krank­schrei­bung kei­nes­wegs zu mehr Krank­schrei­bun­gen geführt hat.

Wei­ter gibt es Auf­re­gung um das Thema Imp­fen in Apo­the­ken. Minis­ter Anscho­ber teilte mit, dass er dazu Gesprä­che mit der Apo­the­ker­kam­mer füh­ren will. Was mei­nen Sie dazu?
Dazu gibt es keine zwei Mei­nun­gen: Imp­fun­gen durch Apo­the­ker wären ein Irr­weg und eine poten­zi­elle Gefähr­dung der Pati­en­ten­si­cher­heit. Zur Impf­leis­tung gehört näm­lich deut­lich mehr als nur der Stich mit einer Nadel. Dazu gehört auch die Risi­ko­ab­schät­zung, die Kennt­nis und Berück­sich­ti­gung der indi­vi­du­el­len Kran­ken­ge­schichte und The­ra­pien, das Aus­wäh­len des indi­vi­du­ell geeig­ne­ten Impf­stoffs, das rich­tige Reagie­ren bei uner­wünsch­ten Impf­re­ak­tio­nen, die Mel­de­pflicht, die Haf­tung bei Impf­ne­ben­wir­kun­gen. Wer kann das, wenn nicht Ärzte, die dafür aus­ge­bil­det sind? Die kom­mer­zi­el­len Inter­es­sen der Apo­the­ker sind ja ver­ständ­lich, aber dafür sind sie ein­fach nicht aus­ge­bil­det. Zudem fehlt in einer Apo­theke jeg­li­che Pri­vat- und Vertrauenssphäre. 

Wie ste­hen Sie zur zuletzt ein­ge­führ­ten Ver­schär­fung der Mas­ken­pflicht? Die­ser Schritt war drin­gend nötig, die Dis­zi­plin hatte davor lei­der schon deut­lich spür­bar nach­ge­las­sen. Es ist jetzt aber noch lange nicht an der Zeit, dass wir uns in Sicher­heit wie­gen kön­nen. Wir hat­ten im nie­der­ge­las­se­nen Bereich durch­aus die Pro­ble­ma­tik, dass sich Pati­en­ten gewei­gert haben, in den Ordi­na­tio­nen eine Maske zu tra­gen und muss­ten in Wien dazu auf­ru­fen, Pati­en­ten, die trotz Auf­for­de­rung kei­nen Mund-Nasen-Schutz im Ordi­na­ti­ons­be­reich tra­gen woll­ten, von der wei­te­ren Behand­lung aus­zu­schlie­ßen und ihnen den Zutritt zur Ordi­na­tion zu ver­wei­gern. Daher ist die gesetz­li­che Rege­lung der Mas­ken­pflicht in den Ordi­na­tio­nen beson­ders zu begrü­ßen. Wir alle müs­sen ver­hin­dern, dass die zweite Welle auf uns zu rollt.

Zur Schutz­aus­rüs­tung: Sind die Ordi­na­tio­nen aus Ihrer Sicht für den Herbst gewapp­net? Wir haben uns als Ärz­te­kam­mern in puncto Schutz­aus­rüs­tung schon von Beginn an ganz mas­siv bemüht, da wir von Bun­des­be­hör­den, Län­dern und Sozi­al­ver­si­che­rung, die wir hier in einem sol­chen Pan­de­mie­fall ganz klar in der Ver­ant­wor­tung sehen, lange Zeit im Stich gelas­sen wur­den. Hät­ten hier nicht die Lan­des­ärz­te­kam­mern inner­halb kür­zes­ter Zeit aus eige­nem Antrieb und teils auf eigene Kos­ten Schutz­aus­rüs­tung bereit­ge­stellt, wäre es tat­säch­lich zu einer gefähr­li­chen Aus­dün­nung des extra­mu­ra­len Ver­sor­gungs­be­reichs mit Hot Spots in Ordi­na­tio­nen gekom­men. Ich kann nur wei­ter an die Län­der appel­lie­ren, alles zu tun, die Ärzte mit der ent­spre­chen­den Aus­rüs­tung zu ver­sor­gen und sie opti­mal zu schüt­zen. Vor­bild­lich hat Wien agiert, das die Ver­ant­wor­tung für sich gese­hen hat und einen ent­spre­chen­den Vor­rat für die nächs­ten Monate ange­legt hat. Auch die Ärz­te­kam­mern wer­den wei­ter­hin sehr tätig sein, um die Ver­sor­gung für die Ärzte sicherzustellen.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 15–16 /​15.08.2020