USA und Kli­ma­wan­del: Erste Maßnahmen

15.12.2019 | Politik


Auch wenn der US-ame­ri­ka­ni­sche Prä­si­dent bezwei­felt, dass es den Kli­ma­wan­del tat­säch­lich gibt: Die Ärz­tin­nen und Ärzte in den USA zwei­feln nicht daran. Sie enga­gie­ren sich zuneh­mend für den Schutz des Kli­mas und der Gesund­heit, auch erste Medi­cal Schools reagie­ren.
Nora Schmitt-Sau­sen

Stei­gende Beschwer­den durch Hit­ze­wel­len. Zuneh­mende Pro­bleme für All­er­gi­ker durch ver­län­gerte Pol­len­flug­zei­ten. Mehr Atem­wegs­er­kran­kun­gen durch ver­schmutzte Luft. Men­tale Gesund­heits­pro­bleme nach Extrem­ereig­nis­sen wie Über­flu­tun­gen, Stür­men und Wald­brän­den. Die Zunahme von Infek­ti­ons­krank­hei­ten, die durch Insek­ten über­tra­gen wer­den. Es gibt in den USA nur noch wenig Zwei­fel: Die US-ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger – und beson­ders ver­letz­li­che Bevöl­ke­rungs­grup­pen wie Kin­der, Senio­ren, chro­nisch Kranke und sozial Schwa­che – sind von den Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels betrof­fen. Schon jetzt und lan­des­weit. Und: Die medi­zi­ni­sche Com­mu­nity hat ver­stan­den, dass sie nicht län­ger taten­los zuse­hen kann. 

Im Som­mer die­ses Jah­res haben sich mehr als 70 Medi­zin- und Public Health-Orga­ni­sa­tio­nen in einer „Call to Action“ zusam­men­ge­schlos­sen, um mit gebün­del­ter Kraft mehr Druck auf die Poli­tik aus­zu­üben und Han­deln im Kampf gegen die Erd­er­wär­mung ein­zu­for­dern. Der Kli­ma­wan­del sei „ein medi­zi­ni­scher Not­fall“, der mutige Lösun­gen erfor­dere. „Die Gesund­heit, Sicher­heit und das Wohl­erge­hen von Mil­lio­nen von Men­schen in den USA ist bereits durch den vom Men­schen ver­ur­sach­ten Kli­ma­wan­del geschä­digt wor­den, und ohne kraft­volle Maß­nah­men sind die Gesund­heits­ri­si­ken in Zukunft gra­vie­rend“, heißt es in dem State­ment der Koali­tion. Zu den Unter­zeich­nern gehö­ren unter ande­rem die Ame­ri­can Medi­cal Asso­cia­tion (AMA), die Ame­ri­can Heart Asso­cia­tion (AHA), Phy­si­ci­ans for Social Respon­si­bi­lity (PSR) oder die Ame­ri­can Public Health Asso­cia­tion. Es ist nicht die erste Erklä­rung die­ser Art; doch in einer Zeit, in der an der Spitze der Regie­rung in Washing­ton viele Kli­ma­wan­del-Skep­ti­ker sit­zen, nimmt die Vehe­menz zu. 

Die Ärzte rich­ten ihren Apell nicht nur nach außen, son­dern auch nach innen. Denn im Land hat sich die – von inter­na­tio­na­len Exper­ten schon lange gefor­derte – Erkennt­nis breit­ge­macht, dass Mit­glie­der der Gesund­heits­be­rufe einen signi­fi­kan­ten Bei­trag im Kampf um Klima und Gesund­heit leis­ten kön­nen; viel­leicht sogar müs­sen: als Akti­vis­ten, Auf­klä­rer und Behand­ler.

Grund­wis­sen zum Klimawandel

So hat die Ame­ri­can Medi­cal Asso­cia­tion erst kürz­lich beschlos­sen, dass Medi­zin­stu­den­ten und Ärz­ten ein „Grund­wis­sen über die wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nisse zum Kli­ma­wan­del und ein Bewusst­sein für die damit ver­bun­de­nen Gesund­heits­ri­si­ken“ ver­mit­telt wer­den muss. Es sol­len Stan­dard­in­for­ma­tio­nen ent­wi­ckelt wer­den, die zur Schu­lung genutzt wer­den kön­nen. „Es ist wich­tig, dass aktu­elle und künf­tige Ärzte die Risi­ken des Kli­ma­wan­dels für die mensch­li­che Gesund­heit beschrei­ben kön­nen, damit sie ihre Pati­en­ten bera­ten kön­nen, wie sie sich vor den Gesund­heits­ri­si­ken des Kli­ma­wan­dels schüt­zen“, kom­men­tierte AMA-Vor­stands­mit­glied Bobby Muk­ka­mala in einem Statement.

An meh­re­ren Medi­cal Schools fließt das Thema Kli­ma­wan­del und Gesund­heit inzwi­schen in die Lehre ein – eine schon lange im Raum ste­hende For­de­rung. Zu den Für­spre­chern einer sol­chen Anpas­sung der Lern­in­halte gehö­ren vie­ler­orts nicht zuletzt die­je­ni­gen, die mit den Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels bei ihrer täg­li­chen Arbeit in Zukunft ver­stärkt kon­fron­tiert sein wer­den: die nächste Ärz­te­ge­ne­ra­tion in den USA. Bis vor kur­zem erfolgte in der medi­zi­ni­schen Aus­bil­dung nur wenig oder gar keine Wis­sens­ver­mitt­lung über die bevor­ste­hende Kli­ma­ka­ta­stro­phe, so die Kri­tik von vie­len ange­hen­den Ärz­ten. Nun sei ein „gesun­der und will­kom­me­ner Trend“ in die rich­tige Rich­tung zu erken­nen, kom­men­tierte die Orga­ni­sa­tion Phy­si­ci­ans for Social Respon­si­bi­lity unlängst. 

Ver­ei­ni­gun­gen wie das Ame­ri­can Col­lege of Phy­si­ci­ans oder The Medi­cal Society Con­sor­tium on Cli­mate and Health pochen schon seit lan­gem dar­auf, dass sich etwas ändern muss – und geben Ärz­ten kon­krete Hil­fen für den Arbeits­all­tag an die Hand. Sie stel­len Fak­ten­samm­lun­gen, Gra­fi­ken und Videos zur Ver­fü­gung, um sie über die Fol­gen des Kli­ma­wan­dels auf­zu­klä­ren und zu moti­vie­ren, mit ihren Pati­en­ten über Risi­ken und Hand­lungs­op­tio­nen zu spre­chen. Denn Ärzte hät­ten eine „beson­dere Ver­ant­wor­tung“, die Gesund­heit zu schüt­zen und Lei­den zu lindern.

Auf­klä­rung der Patienten

Doch Ange­hö­rige von Gesund­heits­be­ru­fen in der Breite zu moti­vie­ren, sich in Sachen Kli­ma­wan­del ein­zu­schal­ten, ist kein ein­fa­ches Unter­fan­gen, auch das wis­sen Exper­ten und Akti­vis­ten. Ein wei­te­res Fak­tum: Noch suchen nicht viele US-ame­ri­ka­ni­sche Ärzte das direkte Gespräch mit Pati­en­ten. Der US-Radio­sen­der NPR nannte kürz­lich in einem Bericht erst „eine sehr kleine, aber wach­sende Zahl von Ärz­ten und Kran­ken­schwes­tern, die diese Zusam­men­hänge mit Pati­en­ten dis­ku­tie­ren“. Ein mög­li­cher Grund dafür: Um ein kom­ple­xes Thema wie den Kli­ma­wan­del zu adres­sie­ren, fehlt vie­len Ärz­ten die Zeit. Außer­dem den­ken noch immer viele Ame­ri­ka­ner, dass sie vom Kli­ma­wan­del nicht per­sön­lich berührt sein wer­den und sind für Auf­klä­rung ent­spre­chend nicht emp­fäng­lich. Eine Beson­der­heit in den USA ist außer­dem, dass das Thema als poli­tisch auf­ge­la­den gilt – und auch des­halb im Ver­hält­nis von Arzt und Pati­ent nicht leicht anzu­spre­chen ist. 


Kli­ma­wan­del in der Praxis 

Die Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels machen sich im ärzt­li­chen All­tag bemerk­bar – und das nicht erst seit heute. Schon im Jahr 2015 ver­merkte „eine große Mehr­heit“ der Mit­glie­der der Ame­ri­can Aca­demy of Allergy, Asthma and Immu­no­logy in einer Umfrage, dass ihre Pati­en­ten die gesund­heit­li­chen Effekte des Kli­ma­wan­dels spü­ren. 73 Pro­zent der Ärzte gaben an, bei ihren Pati­en­ten eine Ver­schlech­te­rung von chro­ni­schen Erkran­kun­gen wegen zuneh­men­der Luft­ver­schmut­zung wahr­zu­neh­men. Als wei­tere Pro­bleme wur­den genannt: ver­stärkte All­er­gie­sym­ptome (63 Pro­zent), Ver­let­zun­gen ver­ur­sacht durch Extrem­wet­ter­er­eig­nisse wie Stürme oder Hoch­was­ser (49 Pro­zent), Infek­tio­nen nach Insek­ten­sti­chen oder Insek­ten­bis­sen (36 Pro­zent), Hitze-bedingte Gesund­heits­pro­bleme (34 Pro­zent) sowie Durch­fälle durch ver­un­rei­nig­tes Was­ser oder Lebens­mit­tel (23 Pro­zent). Auch in offi­zi­el­len Sta­tis­ti­ken spie­geln sich diese Ver­än­de­run­gen wider. Ein Bei­spiel: Von Mücken, Zecken und Flö­hen über­tra­gene Krank­hei­ten wie Lyme-Bor­re­liose und West-Nil-Virus haben sich in den USA zwi­schen 2004 und 2016 ver­drei­facht. Dies erfor­dert von Ärz­ten, die bis­lang mit sol­chen Erkan­kun­gen nicht in Berüh­rung gekom­men sind, ein Umdenken.

US-Gesund­heits­we­sen ist CO2-Killer

Die US-Gesund­heits­bran­che gehört in den USA zu den größ­ten Ener­gie­ver­brau­chern des Lan­des. Sie ist für circa zehn Pro­zent der Treib­haus­gas-Emis­sio­nen im Land ver­ant­wort­lich. Damit hin­ter­lässt das US-ame­ri­ka­ni­sche Gesund­heits­we­sen selbst einen immensen öko­lo­gi­schen Fuß­ab­druck. Das US-Gesund­heits­sys­tem ist nach Anga­ben des Com­mon­wealth Fund der sie­bent größte Koh­len­di­oxid­pro­du­zent der Welt und trägt damit wesent­lich zur Luft­ver­schmut­zung bei. Die Bran­che steht bei Kli­ma­schüt­zern des­halb durch­aus in der Kri­tik – und wird auf­ge­for­dert, durch Ener­gie­spar­maß­nah­men und Müll­ver­mei­dung selbst einen Bei­trag zum Kli­ma­schutz zu leis­ten. Einige tun dies bereits. Eines der Vor­zei­ge­bei­spiele ist der Gesund­heits­dienst­leis­ter Kai­ser Per­ma­nente, der zwölf Mil­lio­nen Ame­ri­ka­ner betreut. In den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren hat er seine Treib­haus­gas-Emis­sio­nen um gut ein Drit­tel gesenkt und den Was­ser­ver­brauch in sei­nen Ein­rich­tun­gen deut­lich redu­ziert. Kai­ser Per­ma­nente zählt zu den größ­ten Nut­zern von erneu­er­ba­rer Ener­gie in den USA – vor allem der Solar­ener­gie. Ganz in die­sem Sinne ist auch die Har­vard Uni­ver­sity mit ihrer Medi­cal School unter­wegs. Die Elite-Uni­ver­si­tät an der Ost­küste hat für sich das Ziel aus­ge­ru­fen, bis zum Jahr 2050 gleich auf dem gesam­ten Cam­pus keine fos­si­len Brenn­stoffe mehr zu nut­zen. Der ver­brauchte Strom soll bis dahin aus sau­be­ren erneu­er­ba­ren Ener­gie­quel­len wie Son­nen­en­er­gie und Off­shore-Wind­kraft stam­men. Fahr­zeuge der Uni­ver­si­tät sol­len ohne fos­sile Brenn­stoffe betrie­ben wer­den. Zur Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie zäh­len außer­dem Initia­ti­ven gegen Ver­schwen­dung von Was­ser und Müll. Die Har­vard Medi­cal School ist Teil des Gan­zen: Sie konnte allein ihre Treib­haus­gas­emis­sio­nen bereits um fast 20 Pro­zent reduzieren.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 23–24 /​15.12.2019