USA: Lebens­ri­siko Schwangerschaft

15.08.2019 | Politik


In Indus­trie­na­tio­nen ist das Risiko, bei der Geburt zu ster­ben, gering. Die Müt­ter­sterb­lich­keit ist in den ver­gan­ge­nen Jah­ren sogar kon­ti­nu­ier­lich gesun­ken. Nicht so in den USA. Dort ster­ben heut­zu­tage mehr Frauen bei der Geburt als frü­her.

Nora Schmitt-Sau­sen

Afgha­ni­stan, Leso­tho, Swa­si­land, USA: Es kommt nicht häu­fig vor, dass die Namen die­ser Län­der in einem Atem­zug genannt wer­den. Doch beim Blick auf die Müt­ter­sterb­lich­keit ist dies so. Alle genann­ten kämp­fen mit dem zuneh­men­den Risiko, dass Frauen bei oder kurz nach der Geburt ver­ster­ben – im Gegen­satz zur glo­ba­len Ent­wick­lung. Hier sind diese Zah­len rück­läu­fig, vor allem in nahezu allen Indus­trie­na­tio­nen. Die Tages­zei­tung USA Today titu­lierte nach einer umfas­sen­den Ana­lyse zur Pro­ble­ma­tik, dass die USA „der gefähr­lichste Ort in der ent­wi­ckel­ten Welt ist, um ein Baby auf die Welt zu bringen”.

Mit die­ser Behaup­tung scheint die Zei­tung nicht unrecht zu haben: Offi­zi­el­len Anga­ben der Cen­ters for Dise­ase Con­trol and Pre­ven­tion (CDC) zufolge ster­ben in den USA jedes Jahr circa 700 Frauen bei oder kurz nach der Geburt. Bei 3,8 Mil­lio­nen Gebur­ten im Jahr erscheint das zwar auf den ers­ten Blick wenig; doch der Ver­gleich zeigt, dass eines der höchst ent­wi­ckel­ten und wohl­ha­bends­ten Län­der der Welt mit einem Pro­blem kämpft, das andere west­li­che Natio­nen nicht haben. So ster­ben in den USA 26,4 Frauen je 100.000 Lebend­ge­bur­ten. Zum Ver­gleich: In Öster­reich sind es vier, in Deutsch­land neun Frauen. Groß­bri­tan­nien liegt bei 9,2. Schwe­den bei 4,4 (alle Zah­len für 2015). Stu­dien zei­gen außer­dem, dass Todes­fälle in Ver­bin­dung mit Schwan­ger­schaf­ten in den USA zwi­schen 2000 und 2014 um fast 27 Pro­zent gestie­gen sind.

Über die Gründe die­ser „scho­ckie­ren­den Zahl” (Washing­ton Post) wird in den USA der­zeit viel dis­ku­tiert – auch in der Poli­tik. Ver­ant­wort­lich gemacht wer­den die weit ver­brei­tete Armut im Land, unbe­han­delte chro­ni­sche Erkran­kun­gen, Män­gel beim Zugang zur Gesund­heits­ver­sor­gung, zu späte Dia­gno­sen, Defi­zite in Auf­klä­rung und Kom­mu­ni­ka­tion sowie schlecht vor­be­rei­tete Kli­ni­ken und nur unzu­rei­chend wei­ter­ge­bil­dete Ärzte und Krankenschwestern.

Unter­schied­li­che Zeitpunkte

Laut den aktu­el­len Zah­len des CDC ver­ster­ben von den 700 Todes­fäl­len in Ver­bin­dung mit einer Schwan­ger­schaft fast 31 Pro­zent wäh­rend der Schwan­ger­schaft, 36 Pro­zent wäh­rend der Geburt oder inner­halb der Woche danach und 33 Pro­zent noch bis zu einem Jahr spä­ter. Drei von fünf der Ster­be­fälle in Ver­bin­dung mit einer Schwan­ger­schaft gel­ten als ver­meid­bar. Nicht nur für Gesund­heits­exper­ten scho­ckie­rend ist fol­gende Tast­sa­che: Es ist belegt, dass in den USA im Kreiß­saal die Haut­farbe einen Unter­schied macht. Bei dun­kel­häu­ti­gen Frauen ist die Wahr­schein­lich­keit, in Ver­bin­dung mit einer Schwan­ger­schaft zu ster­ben, drei Mal höher als bei wei­ßen Frauen. 

Die Pro­ble­ma­tik rückt erst seit ver­gleichs­weise kur­zer Zeit in den Blick­punkt. Und das hat laut einer Ana­lyse im Jour­nal der Ame­ri­can Medi­cal Asso­cia­tion (JAMA) vom März 2019 einen Grund: Jahre mit unver­läss­li­chen Daten zur Müt­ter­sterb­lich­keit in den USA hät­ten das Thema „unter dem Radar“ gehal­ten, schreibt Autorin Anita Slom­ski. In inter­na­tio­na­len Sta­tis­ti­ken fehl­ten Anga­ben aus den USA regel­mä­ßig. Erst in der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit sta­bi­li­siere sich die Daten­lage und die vor­lie­gen­den Daten wer­den auch aus­ge­wer­tet. Um die Müt­ter­sterb­lich­keit zu sen­ken, sol­len künf­tig nahezu alle Sek­to­ren, die davon betrof­fen sind, sen­si­bi­li­siert und akti­viert wer­den: Ver­si­che­rer, Kran­ken­häu­ser, lokale Regie­run­gen und wer­dende Mütter.

Vor­bild Kalifornien

Ein Bei­spiel, wie die Ent­wick­lung umge­dreht wer­den kann, lie­fert Kali­for­nien, berich­tete die Washing­ton Post kürz­lich. Mit­ar­bei­ter der Public Health-Abtei­lung erkann­ten dort im Jahr 2006, dass die Müt­ter­sterb­lich­keits-Raten anstie­gen – und haben gegen­ge­steu­ert. Eine umfas­sende Ursa­chen­for­schung begann, eine neu neu auf­ge­setzte Daten­bank, die heute von Gesund­heits­ein­rich­tun­gen in Kali­for­nien für Reports genutzt wird, holte Ärzte, Kli­nik­ver­tre­ter, For­scher und andere Fach­leute an einen Tisch. Gemein­sam wur­den etwa meh­rere Gui­de­lines erstellt, wie mit Kom­pli­ka­tio­nen wäh­rend der Geburt umzu­ge­hen ist und den Geburts­ein­rich­tun­gen zugäng­lich gemacht.

Durch die gemein­sa­men Anstren­gun­gen gelang es dem Bun­des­staat nach eige­nen Anga­ben, die Müt­ter­sterb­lich­keits­rate um 55 Pro­zent zu ver­rin­gern. Sie fiel im Zeit­raum von 2006 bis 2013 von 16,9 auf 7,3 auf 100.000 Lebend­ge­bur­ten. Kali­for­nien gilt lan­des­weit als viel beach­te­tes Vor­bild. Ein Pro­blem hat aber auch der Staat an der US-ame­ri­ka­ni­schen West­küste – noch – nicht gelöst: jenes der Ungleich­heit. Auch in Kali­for­nien ist es für Afro-Ame­ri­ka­ne­rin­nen drei bis vier Mal wahr­schein­li­cher, dass sie an einer Schwan­ger­schafts­kom­pli­ka­tion ster­ben als für weiße Frauen.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 15–16 /​15.08.2019