USA: His­to­ri­scher Tief­stand bei Geburten

10.06.2019 | Politik


Die US-ame­ri­ka­ni­sche Frauen bekom­men weni­ger Kin­der. Das Phä­no­men zieht sich quer durch alle Bevöl­ke­rungs­schich­ten und wird in Städ­ten genauso deut­lich wie auf dem Land. Das Resul­tat: Die Zahl der Gebur­ten ist aktu­ell so nied­rig wie schon seit 30 Jah­ren nicht mehr. Die Suche nach den Ursa­chen hat begon­nen.

Nora Schmitt-Sau­sen

In den USA gibt es eine Ent­wick­lung, die auch in ande­ren Indus­trie­na­tio­nen bekannt ist: Frauen bekom­men weni­ger Kin­der und wenn sie dies tun, gebä­ren sie erst sehr viel spä­ter als in der Ver­gan­gen­heit. Als Ein­wan­de­rungs­land waren die USA vom Phä­no­men der rück­läu­fi­gen Gebur­ten­zah­len lange Zeit nicht so stark betrof­fen wie andere Natio­nen – nun holt es wohl auch sie ein. 

Fer­ti­li­täts­rate gesunken

Nach den Berech­nun­gen des Natio­nal Cen­ter for Health Sta­tis­tics ist die Fer­ti­li­täts­rate zwi­schen 2007 und 2017 im zwei­stel­li­gen Bereich zurück­ge­gan­gen. Die Sta­tis­ti­ker erhe­ben diese theo­re­ti­sche Zahl durch Pro­gno­sen, wie viele Kin­der eine Frau ent­spre­chend ihres Alters in ihrem Leben haben könnte. 

Der Rück­gang betrifft Frauen in allen Regio­nen der USA. In Metro­pol­re­gio­nen ging die Fer­ti­li­täts­rate im genann­ten Zeit­raum um 18 Pro­zent zurück, in klei­ne­ren Städ­ten um 16 Pro­zent und auf dem Land um zwölf Pro­zent. Ein ähn­li­cher Gleich­klang zeigt sich laut Berech­nun­gen mit Blick auf die Eth­nie der Frauen: Weiße, afro-ame­ri­ka­ni­sche und Frauen mit his­pano­ame­ri­ka­ni­scher oder spa­ni­scher Her­kunft – sie alle bekom­men weni­ger Kinder. 

Nur beim Blick auf das Jahr 2017 zeigt sich ein deut­li­ches Bild: Die Sta­tis­ti­ken in den USA erfas­sen in die­sem Jahr 3.853.472 Gebur­ten. Das sind nach Anga­ben der Cen­ters for Dise­ase Con­trol and Pre­ven­tion (CDC) um zwei Pro­zent weni­ger als 2016, als bereits ein Rück­gang zu ver­bu­chen war. Es ist „die nied­rigste Zahl seit mehr als 30 Jah­ren“, heißt es sei­tens der Behörde. Es gab ledig­lich 60,2 Gebur­ten auf 1.000 Frauen zwi­schen 15 und 44 Jah­ren. Im Durch­schnitt bekommt eine US-ame­ri­ka­ni­sche Frau nur noch 1,8 Kinder. 

Schwan­kun­gen bei der Zahl der Gebur­ten und bei der Fer­ti­li­täts­rate sind his­to­risch betrach­tet nicht unüb­lich. Viele Aspekte wie etwa die Wirt­schafts­lage haben dar­auf einen Ein­fluss. Doch das aktu­elle Aus­maß über­rascht – und mög­li­che Kon­se­quen­zen für die Bevöl­ke­rungs­struk­tur der USA berei­ten Sor­gen. Die Gründe für den star­ken Rück­gang lie­gen nach Ansicht von Demo­gra­phen nicht allein in der Tat­sa­che begrün­det, dass auch Ame­ri­kas Frauen sich erst spä­ter – wenn über­haupt – für Kin­der ent­schei­den. Wei­tere soziale, wirt­schaft­li­che und Umwelt-bedingte Fak­to­ren wer­den wohl eine Rolle spie­len. Dazu gehört nach Ansicht man­cher Exper­ten auch, dass die USA anders als viele andere Län­der nicht unbe­dingt für eine kin­der- und fami­li­en­freund­li­che Poli­tik bekannt sind. Mut­ter­schutz, Eltern­zeit und Eltern­geld wie in Europa gibt es nicht. Die Dis­kus­sio­nen dar­über wer­den fast aus­schließ­lich von den Demo­kra­ten geführt. Andere füh­ren als Argu­ment an, dass die USA in den ver­gan­ge­nen Jah­ren – erfolg­reich – das Pro­blem der Teen­ager­schwan­ger­schaf­ten bekämpft haben. Denn die Sta­tis­ti­ken zei­gen: Es bekom­men aktu­ell deut­lich weni­ger sehr junge US-Ame­ri­ka­ne­rin­nen ein Kind, als dies lange Jahre der Fall gewe­sen ist. Beson­ders auf­fal­lend und gra­vie­rend ist auch der Rück­gang bei den His­pa­nics: Sie bekom­men tra­di­tio­nell eigent­lich eher viele als wenige Kinder.

Prak­ti­sche Gründe für Rückgang

Die New York Times ermit­telte in einer Umfrage unter US-ame­ri­ka­ni­schen Frauen sehr prak­ti­sche Gründe für den Rück­gang: Der Wunsch nach mehr Frei­zeit und per­sön­li­che Frei­heit, ein feh­len­der Part­ner, die hohen Kos­ten für die Kin­der­be­treu­ung. Bei Befrag­ten, die bereits Kin­der hat­ten oder die­ses fest plan­ten, waren die Sor­gen dar­über, genug Zeit oder Geld zu haben, zen­trale Gründe, warum (wei­tere) Kin­der­wün­sche hint­an­ge­stellt wor­den sind.

Bei der Frage, ob es sich beim Rück­gang der Anzahl der Gebur­ten und der nied­ri­gen Fer­ti­li­täts­rate um ein kurz­zei­ti­ges Phä­no­men oder einen lang­fris­ti­gen Trend han­delt, gehen die Mei­nun­gen aus­ein­an­der. Die Gebur­ten­rate werde sich erho­len, wenn die junge Gene­ra­tion zu einem spä­te­ren Zeit­punkt Kin­der bekomme, sagen die einen. Die USA wer­den noch einen wei­te­ren Rück­gang der Gebur­ten erle­ben – ähn­lich wie andere west­li­che Natio­nen, pro­gnos­ti­zie­ren die anderen. 

Fest steht: Die Gebur­ten­zah­len wer­den als Indi­ka­tor für die soziale und wirt­schaft­li­che Sta­bi­li­tät eines Lan­des her­an­ge­zo­gen. Eine nied­rige Gebur­ten­rate wie aktu­ell hat mas­sive Aus­wir­kun­gen – etwa auf den Fak­tor, dass eine klei­nere Gruppe von Men­schen für die Rente der älte­ren Bevöl­ke­rung auf­kom­men muss. Bei einer Gebur­ten­rate von 2,1 Kin­dern pro Frau gilt der Fort­be­stand der Bevöl­ke­rung als gesichert.

Sollte der Trend zu weni­ger Gebur­ten anhal­ten, müss­ten die USA erst ler­nen, mit die­sen und wei­te­ren Effek­ten des demo­gra­phi­schen Wan­dels umzu­ge­hen. Als Ori­en­tie­rung könn­ten ihnen dabei Län­der wie Deutsch­land und Japan die­nen, die sich bereits vor Jah­ren mit der Tat­sa­che kon­fron­tiert sahen, dass Frauen weni­ger Kin­der zur Welt bringen.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2019