Tag der Allgemeinmedizin: Der Wandel als Chance

10.10.2019 | Politik


Die Allgemeinmedizin befindet sich im Wandel: Das Bild des Hausarztes heute und morgen stand im Mittelpunkt des diesjährigen Tages der Allgemeinmedizin Ende September in Salzburg. Aus ganz Österreich waren langjährige Allgemeinmediziner, Jungärzte und interessierte Studenten zum Gedankenaustausch gekommen.


Die Bundessektion Allgemeinmedizin der ÖÄK hatte dieses Mal zum Tag der Allgemeinmedizin nach Salzburg eingeladen. Der thematische Bogen reichte dabei von der universitären über die postpromotionelle Ausbildung bis hin zum „Hier & Jetzt“, der beruflichen Realität, die Hausärztinnen und Hausärzte vorfinden. Die beiden Repräsentanten der Bundeskurien in der ÖÄK, Johannes Steinhart (Niedergelassene) und Harald Mayer (Angestellte) unterstrichen in ihren Eingangs-Statements die Wichtigkeit des Allgemeinmediziners. Steinhart etwa erinnerte an die Pensionierungswelle bei den Allgemeinmedizinern in den nächsten zehn Jahren, die durch die derzeit in Ausbildung befindlichen Allgemeinmediziner nicht abgedeckt werden könnte. Mayer wiederum stellte im Hinblick auf die künftige Versorgung der Patienten die Frage: „Wieso kann nicht der Arzt derjenige sein, der den Patienten durchs System steuert, lenkt und führt?“ Und dass den Ausbildnern in den Spitälern aufgrund der Verdichtung nicht mehr ausreichend Zeit für die Ausbildung von jungen Ärztinnen und Ärzten bleibe, sei auch schon seit Längerem bekannt. Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin in der ÖÄK, untermauerte angesichts der aktuell laufenden Gespräche rund um die Erstellung eines einheitlichen Leistungskatalogs die Forderung, wonach dieser „so erstellt werden muss, dass es keine Limitierung gibt“. Ein weiterer wichtiger Schritt sei die Einführung des Facharztes für Allgemeinmedizin, so Wutscher.

Lebhafte Diskussionen

In einer bislang völlig neuen Form verlief der weitere Teil der Veranstaltung: Kurzen Impulsreferaten folgten lebhafte und zum Teil durchaus kontroversielle Diskussionen mit dem Publikum. Univ. Prof. Maria Flamm von Institut für Allgemein-, Familien- und Präventivmedizin an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg berichtete im Block „Von der Universität in die Ausbildung“ u.a., dass in der Wahrnehmung der Studierenden der Facharzt einen wesentlich höheren Stellenwert hat als der Allgemeinmediziner – einer der Gründe, wieso bei Medizinstudenten das Interesse an der Allgemeinmedizin so gering ist. Eine lebhafte Diskussion entspann sich im Anschluss daran rund um die Frage, ob der MedAT in der jetzigen Form dazu geeignet ist, die am besten geeigneten Kandidaten für das Medizinstudium und die spätere Tätigkeit als Arzt herauszufinden.

Von ihren Erfahrungen im KPJ (Klinisch praktisches Jahr) berichtete Mona Rituper. „Hier ist ein großer Umfang an Krankheitsbildern gegeben, den man in der Allgemeinmedizin nicht erwartet und ein breites Patienten-Spektrum“, so die Erfahrung von Rituper, die aktuell ihren Turnus in der Landesklinik Hallein absolviert. Was sie jedenfalls aus dem Praktikum im KPJ mitnimmt: „Man kann sich als Arzt verwirklichen“.

Im zweiten Teil der Veranstaltung stand die postpromotionelle Ausbildung im Mittelpunkt. Wolfgang Ziegler, Kurienobmann-Stellvertreter der niedergelassenen Ärzte in der Ärztekammer Oberösterreich, ist seit mehr als 30 Jahren Allgemeinmediziner in Kremsmünster. Der Appell des Lehrpraxis-Inhabers: Es sollten sich mehr Allgemeinmediziner für die Lehrpraxis und auch für das Praktikum im KPJ zur Verfügung stellen. Denn: „Man kann die jungen Kolleginnen und Kollegen wesentlich besser vorbereiten, vor allem aber die Ängste nehmen. Die Allgemeinmedizin heute ist mit der von früher nicht mehr vergleichbar. Hier besteht die Möglichkeit, Einblicke zu gewähren, die man im Studium nicht bekommt.“

Als ärztlicher Direktor des Uniklinikums Salzburg ist Univ. Prof. Jürgen Köhler für mehr als 1.700 Betten sowie 800 Ärztinnen und Ärzte an den Salzburger Landeskliniken sowie an der Christian Doppler-Klinik zuständig. Wie beurteilt er die postpromotionelle Ausbildung? „Auch in den Kliniken herrscht zwischen den Abteilungen ein Wettbewerb, Ärztinnen und Ärzte zu gewinnen“, sagte Köhler. Was die Allgemeinmedizin anlangt, sollte diese „in der Klinik als spezielles Fach erlebbar gemacht werden“. Dabei sollte vor allem auf Bereiche, die man als Allgemeinmediziner benötigt, eingegangen werden. Dafür seien auch nicht alle Fächer notwendig, so seine Überzeugung. „Besser wären weniger Fächer, aber dafür länger.“

Den Turnus hat Johannes Eibensteiner erst kürzlich beendet; seit sechs Monaten ist er – in Teilzeit – Allgemeinmediziner in der 2.400 Einwohner zählenden Gemeinde Schlins in der Nähe von Feldkirch. Zusätzlich ist er auch als Notarzt am Krankenhaus Feldkirch tätig. Sein Fazit: „Die Lehrpraxis trägt einen wesentlichen Anteil der Ausbildung, denn in den Kliniken fehlt ja auch großteils die Kenntnis, wie es in der allgemeinmedizinischen Praxis abläuft.“

Mit einem Impulsreferat über die unterschiedlichen Zusammenarbeitsformen im niedergelassenen Bereich eröffnete Stefan Rauchenzauner, stellvertretender Kammeramtsdirektor der Ärztekammer Salzburg, den dritten Teil der Veranstaltung, der sich mit der beruflichen Realität im „Hier & Jetzt“ befasste. In der anschließenden Podiumsdiskussion berichtete Reingard Glehr von ihren Anfängen als Allgemeinmedizinerin im steirischen Hartberg, wo ihr Vater Reinhold 40 Jahre lang Allgemeinmediziner war. Reingard Glehr erlebt besonders die Zusammenarbeit im Netzwerk mit vier anderen Allgemeinmedizinern als bereichernd, wobei jeder der vier Allgemeinmediziner wirtschaftlich eigenständig agiert.

Stephanie Poggenburg – sie hat in Deutschland Medizin studiert und in Österreich die praktische Ausbildung absolviert – ist Fachärztin für Allgemeinmedizin. Nicht nur das: Poggenburg war an der Uni Graz tätig und hat sich nach einigen Jahren der theoretischen Auseinandersetzung mit der Berufsmotivation von Allgemeinmedizinern – so lautete eines ihrer Forschungsprojekte – dazu entschlossen, sich ganz der Allgemeinmedizin zu widmen. „Es ist der schönste Beruf. Man kann vieles selbst gestalten, ist flexibel – es lohnt sich.“

„Lehrpraxis ist absolut notwendig“

Christoph Dachs, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM), hat in den 1990er-Jahren als Wahlarzt begonnen, einen Kassenvertrag erhalten, aktuell Lehrpraxisinhaber – übrigens: eine seiner früheren Lehrpraktikantinnen arbeitet jetzt mit ihm in der Ordination zusammen – und er plant mit 1. Jänner 2020 eine Gruppenpraxis. „Es war mir immer wichtig, mit anderen zusammenzuarbeiten“, erklärt Dachs die unterschiedlichen Formen seiner bisherigen Tätigkeit. Seine Motivation, eine Lehrpraxis anzubieten, erklärt er wie folgt: „Die Lehrpraxis ist absolut notwendig, denn die Anforderungen an die Allgemeinmedizin haben sich in den letzten 30 Jahren wesentlich verändert. Heute ist sie absolutes Spezialistentum.“

Für die Bundessektion Allgemeinmedizin in der ÖÄK stellte Wutscher fest: „Wir müssen die Allgemeinmediziner dort ausbilden, wo Allgemeinmedizin praktiziert wird. Nur dort können Allgemeinmediziner den Beruf in seiner ganzen Breite erlernen, die er zweifellos zu bieten hat“.

Einen flammenden Appell, sich zu engagieren und mitzugestalten, wie das System im Allgemeinen und die Allgemeinmedizin im Speziellen aussehen sollen, richtete der Präsident der Ärztekammer Tirol, Artur Wechselberger, an die Teilnehmer: „Warten Sie nicht, bis das System Ihnen etwas vorgibt, sondern entwickeln Sie das System weiter! Ich bin fest davon überzeugt, dass wir viele Wege anbieten können und sich der Trend wieder hin zur Allgemeinmedizin richtet. Aber wir müssen das machen – traut euch!“ (AM, BF)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2019