Porträt Wolfgang Pramendorfer: Helfer auf Abruf

15.08.2019 | Politik


Yes or no? Erscheint diese Frage auf dem Handy von Wolfgang Pramendorfer, bedeutet das,
dass er binnen kürzester Zeit entscheiden muss, ob er zu einem Einsatz als Katastrophenarzt ans andere Ende der Welt aufbricht. Der pensionierte Allgemeinmediziner ist stets ein Retter der ersten Stunden.

Ursula Jungmeier-Scholz

Heute Traismauer in Niederösterreich, morgen Grudja bei Beira in Mosambik. Vorhersehbarkeit gehört nicht zu den charakteristischen Merkmalen im Leben des pensionierten Allgemeinmediziners und noch aktiven Katastrophenarztes Wolfgang Pramendorfer. Und genau so will er es haben. „Meine wichtigste Eigenschaft als Arzt war schon immer die ständige Erreichbarkeit“, resümiert er rückblickend. „Ich wollte nie zu fixen Ordinationszeiten arbeiten. Als Hausarzt war ich immer für meine Patienten erreichbar, egal an welchem Wochentag und zu welcher Uhrzeit. Und ich weiß nicht warum: aber ich arbeite besonders gerne in der Nacht, wenn alle anderen schlafen.“

Pension ohne Ruhestand

Seit Jahresbeginn 2019 ist der 72-jährige Pramendorfer in Pension. Als Allgemeinmediziner. Von Ruhestand kann allerdings keine Rede sein, ist er doch immer noch Landes-Chefarzt des Arbeitersamariterbundes Niederösterreich und leitet die Rettungsschule in Wilhelmsburg. Hätte ihm die Krankenkasse eine Möglichkeit gegeben, seine Praxis weiterzuführen, wäre er auch dort noch aktiv. Einen Vorteil hat sein neuer Lebensabschnitt allerdings: Pramendorfer kann noch spontaner zu internationalen Katastropheneinsätzen aufbrechen. Kürzlich ist er aus Mosambik zurückgekehrt, wo er nach den Wirbelstürmen Idai und Kenneth im Einsatz war. Auf einer Fläche wie Salzburg und Oberösterreich zusammen stand dort meterhoch das Wasser; die Infrastruktur der betroffenen Region ist total zerstört und die medizinische Versorgung entsprechend erst im Wiederaufbau.

HIV im Hinterkopf

Zusammen mit einem Team von Technikern zur Wasseraufbereitung und zur Wiederherstellung der Stromversorgung sowie mit einem Katastrophensanitäter begab sich Pramendorfer im Auftrag der Johanniter Berlin nach Mosambik und versorgte dort die Bevölkerung in den Dörfern mit medizinischen Basisleistungen. „Dadurch, dass der Sturm die Moskitonetze zerrissen hat, war das häufigste gesundheitliche Problem die Malaria“, erzählt er. „Am zweithäufigsten haben wir Durchfallerkrankungen behandelt.“

Um sein eigenes Leben hat er in all den Jahrzehnten noch nie gefürchtet: angefangen von seinem ersten Einsatz nach einem Erdbeben in Anatolien über die Katastrophenhilfe in Syrien und auf den Philippinen bis hin zum Training in Japan. Am liebsten hat Pramendorfer Einsatzorte in Afrika, weil er das heiße, trockene Klima bevorzugt. Eine Gefahr hat er jedoch stets vor Augen: „Wenn man täglich 60 bis 80 Mal Blut abnimmt, denkt man im Hinterkopf schon an eine mögliche HIV-Infektion. Man braucht sich nur einmal zu stechen …“

Ganz grundsätzlich ist er optimistisch: „Ist man sich einer Gefahr bewusst, wird es gleich um die Hälfte weniger gefährlich.“ Von der Bevölkerung habe er sich nie bedroht gefühlt, betont er. Auch die Menschen in Mosambik seien dankbar gewesen, viele von ihnen schwer traumatisiert, aber nett, bescheiden und sehr ruhig. Da er in einer touristisch noch nicht erschlossenen Region tätig war, fiel es ihm und den anderen Helfern zunächst nicht leicht, zur Bevölkerung Kontakt aufzunehmen. „Untereinander verständigt man sich auf Englisch, aber mit den Patienten haben wir mit Händen und Füßen geredet“, erzählt Pramendorfer, der zur Vorbereitung seiner Einsätze schon Spanisch, Französisch und Italienisch gelernt hat. Aber eher wenig Portugiesisch, wie es in Mosambik vonnöten gewesen wäre. Einheimische „translators“, meist gebildete junge Leute mit elementaren Englischkenntnissen, haben sie unterstützt.

In 24 Stunden vor Ort

Dass Pramendorfer für Rettungsorganisationen mit derart unterschiedlichem Hintergrund tätig ist, war noch nie ein Thema; im Moment der Katastrophe ist ausschließlich seine Expertise gefragt. Und seine Einsatzbereitschaft.

Wenn ein Notfall-Team zusammengestellt wird, erhalten alle geeigneten Einsatzkräfte aus der Berliner Johanniter-Zentrale eine Anfrage. Wer verfügbar ist und sich zum Einsatz bereit erklärt, fliegt sofort nach Frankfurt, wo auch schon die Sachen gepackt sind. Ist die Transportmaschine noch nicht beladen, wartet auch ein „Bett für ein paar Stunden“ auf das Einsatzteam. Denn vor Ort müssen alle bei Kräften sein. „Wenn ein Land einen Request stellt, also um Katastrophenhilfe ansucht, ist innerhalb von 24 Stunden das erste Response Team dort, um sich ein Bild zu machen“, erklärt Pramendorfer.

Die Emergency Medical Teams EMT, denen er angehört, sind von der WHO in drei Stufen klassifiziert: EMT 1 kümmert sich um die medizinische Basisversorgung, EMT 2 führt schon Standard-Eingriffe wie eine Sectio durch oder eine Appendektomie. Längerfristig stationiert bleibt dann EMT 3. Pramendorfer ist stets ein Retter der ersten Stunden.

Einfachste Bedingungen

Vor Ort läuft sein Alltag unter einfachsten Bedingungen ab: mit Schlafen im Zelt, Essen aus Dosen und selbst aufbereitetem Wasser, eigener Müllverbrennung und kilometerweiten Märschen samt Gepäck, wenn die Straßen selbst für den Geländewagen unpassierbar sind. Doch das macht Pramendorfer nichts aus. Schließlich ist er in bescheidenen Verhältnissen im Pinzgau aufgewachsen. Über die Tätigkeit als Bergretter, zu der er mit 14 Jahren über Freunde gekommen ist, hat er zur Medizin gefunden und schließlich in Wien studiert. „Wir waren eine Gruppe von Salzburgern im Studentenheim. Da fühlt man sich nicht so allein. Aber die Berge sind mir schon furchtbar abgegangen.“ Schon bald nach dem Turnus, in dem er sich auch grundlegende Anästhesie-Kenntnisse angeeignet hat, eröffnete Pramendorfer im Jahr 1975 eine Kassenordination. Rund 40 Jahre hat er dort mit seiner Frau zusammengearbeitet. „Sonst hätten wir einander wahrscheinlich nicht oft gesehen, so häufig wie ich unterwegs war. Aber sie hat mir immer den Rücken freigehalten.“ Und die vier gemeinsamen Kinder großgezogen. Ihr erzählt Pramendorfer auch, wenn er im Einsatz Belastendes erlebt hat.

Solange man ihn braucht

Nach seiner Kraftquelle gefragt, die ihm eine psychisch wie physisch derart anstrengende Tätigkeit ermöglicht, fällt Pramendorfer zunächst nichts ein. „Ich brauch´ gar nicht so viel Kraft“, antwortet er spontan. „Jedenfalls brauche ich wenig Schlaf.“ Nach ein paar Momenten des Nachdenkens nennt er dann doch seine Frau als Kraftquelle. Im Katastrophendienst möchte er bleiben, solange man mich braucht“. Bis dorthin ist er stets bereit, falls sein Handy wieder piepst und es für ihn heißt: yes or no?

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2019