Porträt Gerald Rockenschaub: Gesundheitsdiplomat der WHO

25.05.2019 | Politik


Als Leiter des WHO-Büros in Jerusalem unterstützt der steirische Chirurg Gerald Rockenschaub die medizinische Versorgung in den Palästinenser-Gebieten etwa mit dem Ausbau von mobilen Trauma-Stabilisierungsposten in Gaza. Eine gewisse Frustrationstoleranz, Flexiblität, viel Geduld und einen technischen Hintergrund – so beschreibt der Public Health-Experte die Anforderungen an diese Tätigkeit.

Ursula Jungmeier-Scholz

Eigentlich wollte der Chirurg und Public Health-Experte Gerald Rockenschaub Journalist werden – immer mitten im Geschehen. Nach der Matura am Gymnasium in Bruck an der Mur entschied er sich dann aber doch für die Medizin. „Das war zunächst nicht mein Herzenswunsch, aber mir war bewusst, dass das Schreiben eine brotlose Kunst ist.“ Was ihn an der Medizin jedoch schon immer fasziniert hat, war die Möglichkeit eines internationalen humanitären Einsatzes. In diesem Bereich Fuß zu fassen hat sich zwar als schwieriger herausgestellt als zunächst gedacht, doch was zählt ist, dass er es geschafft hat.

Traumata mobil stabilisieren

Seit 2014 leitet Rockenschaub die Länderrepräsentanz der WHO für Palästina mit Hauptsitz in Jerusalem, Zweigstellen in Ramallah sowie im Gaza-Streifen und rund 60 Mitarbeitern. Mitten im Geschehen ist er gelandet – nur eben als Arzt. Oder eher als „Gesundheitsdiplomat“, wie er selbst sagt, denn zu seinem Job gehört auch die Vermittlertätigkeit zwischen den Konfliktparteien in Gesundheitsbelangen. Die spezielle Expertise von Rockenschaub liegt im Bereich von Public Health und Gesundheitsmanagement – speziell für Krisengebiete. Einer seiner Erfolge für die palästinensische Bevölkerung besteht im Ausbau von mobilen Trauma-Stabilisierungsposten in Gaza. Sie sind in Containern und Zelten untergebracht und werden dorthin transportiert, wo das Patientenaufkommen gerade am höchsten ist. „Diese Posten gab es schon zuvor, aber früher wurden mehr oder weniger nur Verbände angelegt.“

Im Zuge des Great March of Return, der palästinensischen Demonstrationszüge ab März 2018, wurden diese Erste-Hilfe-Einheiten so aufgerüstet und die Mitarbeiter dahingehend geschult, dass schon vor Ort intubiert werden kann und andere lebensrettende Maßnahmen gesetzt werden können. Das Personal der Trauma-Stabilisierungsposten leistet so viel Vorarbeit, dass ausschließlich Schwerstverletzte in die Spitäler eingeliefert werden. Denn dort herrscht ohnehin Mangel an allem: Oft funktioniert die Stromversorgung nur sieben Stunden am Tag, es fehlt an Medikamenten und medizinischen Verbrauchsgütern. Internationale Hilfsorganisationen versuchen, die Lücken zu füllen. Erschwert wird die Situation dadurch, dass das Gesundheitspersonal nur mehr einen Bruchteil des vereinbarten Gehaltes ausbezahlt bekommt.

Neben den Akut-Interventionen behält Rockenschaub stets auch grundlegende Maßnahmen wie Infektionsprävention und Hygiene im Fokus. „Bei uns gibt es keine Masern“, erzählt er nicht ohne Stolz. Eines der ambitioniertesten WHO-Projekte ist der Aufbau eines Public Health-Institutes in Ramallah, das Informationen für eine Evidenz-basierte Gesundheitspolitik liefern soll. „Es ist als unabhängige palästinensische Institution für einen zukünftigen Staat gedacht“, erzählt Rockenschaub, stellt aber auch klar: „Wir als WHO halten uns aus dem Politischen heraus. Uns liegen ausschließlich die Patienten am Herzen.“ Denn diese drohen im politischen Konflikt unterzugehen. Besonders dramatisch ist die Situation von onkologischen Patienten, die zur Chemotherapie aus den besetzten Gebieten nach Ost-Jerusalem fahren müssen. Dazu benötigen sie ein israelisches Permit, das jedoch viel zu selten gewährt wird. Rockenschaub und sein Team setzen sich unermüdlich für eine Verbesserung ein: Erhielten im Jahr 2017 nur 54 Prozent die ersehnte Erlaubnis, waren es im heurigen März schon 68 Prozent. „Wenn wir konkrete Erfolge vorweisen können, fällt es auch leichter, Hilfsgelder aufzutreiben.“

Bruck – Boston – Jerusalem

Schon seine Entscheidung für die Chirurgie hat Rockenschaub in Hinblick auf sein künftiges humanitäres Engagement getroffen – wenn auch nicht aus rein fachlichen Gründen: Denn der Primar der Brucker Chirurgie, Professor Hermann, hat das nebenberufliche Auslandsstudium Public Health in Boston von Rockenschaub durch wiederkehrende Karenzierungen organisatorisch unterstützt. Finanzielle Hilfe gab es durch ein Fullbright-Stipendium. Bereits Anfang der 1990er-Jahre, während seiner Zeit als Oberarzt in Bruck, war Rockenschaub als medizinischer Konsulent in Palästina tätig und hat den Aufbau eines Gesundheitszentrums in der Jerusalemer Altstadt begleitet. „Damals herrschte Aufbruchsstimmung durch die Oslo-Verträge. Für die palästinensische Seite hat sich die Lage seither gravierend verschlechtert“, so sein nüchternes Fazit.

Noch einmal wechseln

Durch seine internationalen Engagements – Rockenschaub war auch im Kosovo und in Äthiopien – gelang ihm 2004 der Einstieg in die WHO. Mit 45 Jahren übersiedelte er nach Kopenhagen in das Regionalbüro für die europäische Region, als Manager des Nothilfeprogramms. Von dort aus ist er in pakistanische Katastrophengebiete ausgerückt, zu Grenzscharmützeln in Usbekistan, zur Taifun-Katastrophe auf den Philippinen und zum Ausbruch der Vogelgrippe in der Türkei. Auch zu Beginn der Syrien-Krise war er vor Ort. Im Auswahlverfahren um die palästinensische Länderrepräsentation half ihm nicht nur seine Erfahrung in der Region, sondern auch das gute Einvernehmen mit dem WHO-Regionaldirektor in Kairo.

Die Familie von Rockenschaub ist mit ihm von Station zu Station weitergezogen. Tochter Lisa, heute 20 Jahre alt, hat das Kosmopolitische ihrer Jugend durchaus zu schätzen gelernt. Nun studiert sie in England internationales Recht. Auch den Vater zieht es wieder weiter: „Vor meiner Pensionierung möchte ich schon noch einmal wechseln. In Diskussion war die Euro-päische Region, aber ich finde den mittleren Osten spannender. Auch wenn mit zunehmendem Alter der Appetit auf Herausforderungen abnimmt.“

Mit der Angst umgehen

Für diesen Job benötige man schon eine gewisse Frustrationstoleranz gibt Rockenschaub zu, auch Flexibilität, viel Geduld und einen „technischen Hintergrund“, wie er seine Public Health-Expertise umschreibt. „Man muss für sich selbst eine strategische Richtung festlegen, sich Verbündete suchen und sich nicht von seinen Zielen abbringen lassen.“ In Lebensgefahr fühlt er sich selten, auch wenn er schon ein paarmal während Eskalationen im Gazastreifen war. „Man lernt, mit der Angst umzugehen.“ Außerdem sei er immer nur für kurze Zeiten an den Hot Spots. „Die Kollegen in Gaza sind da ganz anderen Gefahren ausgesetzt.“

Sein Alltag in Jerusalem verläuft ruhiger – trotz langer Arbeitstage. Am Wochenende gönnt er sich gerne einen Restaurantbesuch, fährt nach Tel Aviv oder geht eine Runde laufen. Entspannung findet er auch beim Lesen, wobei sein Repertoire von der österreichischen Gegenwartsliteratur bis zu politischen Werken der Region reicht. Kürzlich hat er das Buch des Fatah-Führers und mittlerweile zum Kulturminister der palästinensischen Autonomiebehörde ernannten Atef Abu Saif „The Drone Eats With Me“ gelesen.

Rockenschaub, der während des Studiums als Lokalreporter für die „Kleine Zeitung“ gearbeitet hat, denkt daran, seine Lebenserfahrungen als „eine Art Selbsttherapie“ literarisch zu verewigen. Womit dann auch sein ursprünglicher Berufswunsch in Erfüllung ginge.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2019