NR-Wahl 2019: Pläne für die Gesundheitspolitik

25.09.2019 | Politik


Im Vorfeld der Nationalratswahl 2019 hat die ÖÄZ die Gesundheitssprecher der im Parlament vertretenen Parteien zu aktuellen gesundheitspolitischen Themen und ihren Plänen für die Gesundheitspolitik der nächsten Jahre befragt.


1. Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um dem Landärztemangel entgegenzusteuern?

Gaby Schwarz, ÖVP: Wir planen ein Bündel von Maßnahmen, um die Ausbildungs-, Arbeits- und Entgeltbedingungen zu verbessern. Zusätzlich wollen wir mit einem Landarztstipendium und einem Facharzt für Allgemeinmedizin mehr junge Ärzte für den ländlichen Raum gewinnen und so eine flächendeckende wohnortnahe Gesundheitsversorgung sicherstellen.

Philip Kucher, SPÖ: Um dem Landärztemangel entgegenzusteuern, ist es wichtig, im ländlichen Raum die Rahmenbedingungen attraktiver zu gestalten. Gesundheitszentren – seien diese nun tatsächlich unter einem Dach angesiedelt oder in Form eines engen Netzwerks – ermöglichen es, dass Hausärzte enger zusammenarbeiten und sich die Ordinationszeiten aufteilen können. Der fachliche Austausch wird vereinfacht und nicht zuletzt wird es für Ärzte zum Beispiel auch einfacher, Familie und Beruf besser zu vereinbaren.

Brigitte Povysil, FPÖ: Es soll in Abstimmung mit der Bundeszielsteuerung und den Landeszielsteuerungsplänen eine verbesserte Förderung von Landarztpraxen stattfinden, damit man es jungen Kollegen ermöglicht, eine neue Kassenvertragsstelle in allen Regionen des Bundesgebietes zu übernehmen. Wir wollen bundesweit eine Vielfalt von Niederlassungsmöglichkeiten verankern, Einzelniederlassungen, Gruppenpraxen, primäre Versorgungseinheiten, erweiterte Vertretungen aber auch die Möglichkeit, im Angestelltenverhältnis zu arbeiten. Die ärztlichen Leistungskataloge müssen modernisiert, die degressive Deckelung abgeschafft und die Ärztehonorare angehoben werden.

Gerald Loacker, NEOS: Die Arbeit als Arzt muss attraktiver gemacht werden. Wir wollen eine Ausbildungsreform mit mehr Lehrpraxen, die Einführung eines Facharztes für Allgemeinmedizin, mehr Kooperationsmöglichkeiten im niedergelassenen Bereich, flächendeckende Primärversorgungsnetzwerke, Umschichtung von finanziellen Mitteln aus den Spitälern in den niedergelassenen Bereich, Honorar-Reform und eine Entbürokratisierung.

Daniela Holzinger-Vogtenhuber, JETZT:

• Attraktivierung von Kassenstellen im ländlichen Bereich (Bezahlung, Bürokratieabbau)
• Stopp der Abwanderung von Kassenärzten ins Wahlarztsystem durch bessere Kassenverträge
• Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz und flexible Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen angepasst an die Bedürfnisse der Familien

2. Wie kann die ärztliche Tätigkeit für junge Ärzte wieder attraktiv gemacht werden, damit sie in Österreich bleiben?

Schwarz, ÖVP: Am Wichtigsten ist es, die Arbeits- und Entgeltbedingungen zu verbessern und die Ärzte von überbordender Bürokratie zu befreien. Gleichzeitig braucht es gezielte Anreize, um die Tätigkeit als Kassenarzt zu attraktivieren.

Kucher, SPÖ: Wir wollen Ärzte durch ein Stipendiensystem unterstützen, das sie im Gegenzug für fünf Jahre an Österreich bindet und für das sie auch Kassenvertragsstellen annehmen müssen.
• Mehr Geld für Allgemeinmediziner durch den Abschluss neuer, leistungsorientierter und zeitgemäßer Honorarvereinbarungen.
• Verstärkte Unterstützung bei der Praxisgründung durch die Schaffung von Übergangspraxen aus der öffentlichen Hand.
• Forcierter Ausbau von Primärversorgungseinheiten (PVE): PVE bieten die Möglichkeit der Vernetzung, der Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen, weniger Bürokratie für den Einzelnen, geteiltes Personal, flexiblere Arbeitszeiten und somit eine bessere Work-Life-Balance.

Povysil, FPÖ: Wir müssen zeitliche Ressourcen für die Ausbildung junger Ärzte schaffen. Bereits während der Ausbildung soll den jungen Kollegen das Bild des Allgemeinmediziners vermittelt werden, weitere Förderung der Lehrpraxen, die nach Bedarf erhoben und aufgestockt werden sollen, und ein Mentoring-Programm soll umgesetzt werden. Mit der gesetzlichen Umsetzung des Projekts „Ärzte dürfen Ärzte anstellen“ wurde die Möglichkeit geschaffen, dass es zu einer besseren Kooperation verschiedener Ärzte kommt beziehungsweise dass Jungärzte zuerst als unselbstständige Ärzte bei erfahrenen Berufskollegen mitarbeiten, um dann eine Praxis zu übernehmen. Wir wollen unsere langjährige Forderung umsetzen, Förderstipendien an junge Ärzte zu vergeben, wenn sie für eine bestimmte Zeit in Österreich arbeiten.

Loacker, NEOS: Viele Punkte, die auch die Attraktivierung der Landarzt-Praxen betreffen, spielen auch eine Rolle bei der grundsätzlichen Verbesserung der Situation für Ärzte in Österreich. Jungärzte sollen in ihrem Weg gefördert werden und nicht von einem starren System mit niedrigen Honoraren abgeschreckt werden.

Holzinger-Vogtenhuber, JETZT:
• Verbesserung der Ausbildungsqualität und Rahmenbedingungen für Jungärzte für einen attraktiven Berufseinstieg (Gruppenpraxen und neue Job-Sharing-Modelle im niedergelassenen Bereich).
• Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit des Arztberufes mit Familienleben (häufig fehlende Angebote der Kinderbetreuung am Land schaffen, Rechtsanspruch auf Kinderbetreuungsplatz)

3. Welche konkreten Maßnahmen wollen Sie veranlassen, um die Ambulanzen zu entlasten?

Schwarz, ÖVP: Die flächendeckende wohnortnahe, niedergelassene Versorgung muss verdichtet werden. Auch Akut- oder Portalordinationen haben sich zur Entlastung der Ambulanzen bewährt.

Kucher, SPÖ: Wir fordern den raschen Ausbau von Primärversorgungseinheiten und Gruppenpraxen. Diese ermöglichen das Arbeiten im Team (Hausärzte, Fachärzte und Gesundheitspersonal). Das entlastet Ärzte und Ambulanzen.

Povysil, FPÖ: Spitäler und der niedergelassene Bereich müssen im Sinne einer modernen Gesundheitsversorgung enger verschränkt werden, Ordinationseinheiten können sowohl in den Spitälern, als auch vorgeschaltet, den stationären Betrieb entlasten – bei klarer Regelung der finanziellen Abgeltung. Von entscheidender Bedeutung ist jetzt und in Zukunft eine gezielte Steuerung des Patienten durch den Hausarzt, da die Entwicklung öffentlicher Spitäler immer an die Entwicklung des niedergelassenen Bereichs gekoppelt sein wird.

Loacker, NEOS: Hier wollen wir mit freiwilligen Hausarzt-Einschreibemodellen gegensteuern. Wer sich in solchen Einschreibemodellen registrieren lässt, verpflichtet sich, bei Verletzungen und Krankheiten zunächst zum Hausarzt zu gehen (exkl. Notfälle) und bekommt dafür Beitragsvergünstigungen. Darüber hinaus können mit einem Ausbau der Primärversorgungszentren, die bessere Öffnungszeiten haben, die Ambulanzen entlastet werden.

Holzinger-Vogtenhuber, JETZT: Den Ausbau von Primärversorgungszentren in allen Bundesländern. Aktuell gibt es zu wenige Zentren, um eine echte Entlastung werden zu können. Außerdem müssten diese dann auch, wie die Ambulanzen, rund um die Uhr geöffnet haben.

4. Welche Rolle kommt Ärzten beim Klimaschutz zu?

Schwarz, ÖVP: Das stärkste und wirksamste Mittel gegen den Klimawandel ist und bleibt die freie Entscheidung jedes Einzelnen, bewusster zu leben und nachhaltiger zu konsumieren. Die Politik muss sicherstellen, dass jeder Mensch in Österreich diese Möglichkeit hat. Den entscheidenden Schritt muss aber jeder von uns selbst machen, wenn wir gemeinsam Erfolg haben wollen.

Kucher, SPÖ:
Wir verzeichnen in Österreich bereits mehr Hitze- als Verkehrstote, und Krankheitserreger, die es zuvor bei uns nicht gab, breiten sich in Mitteleuropa aus. Die globalen Auswirkungen auf den Gesundheitssektor sind ungleich drastischer, da durch die Erderwärmung die Häufigkeit von Dürren, Flutkatastrophen und Wasserknappheit steigt. Da die Klimakrise eine große gesundheitliche Herausforderung bedeutet, ist es wichtig, dass Ärzte in dieser Frage gehört und einbezogen werden.

Povysil, FPÖ: Im Rahmen einer Gesamtstrategie des Gesundheits- und Umweltschutzes sollte der Arzt vor Ort eingebunden werden, um seinen Beitrag zum Schutz des Klimas zu leisten und etwa auch Bau- und Infrastrukturmaßnahmen auf seine Auswirkung auf das Groß- und Kleinklima in einem Ort oder einer Region zu beurteilen und Vorschläge zu einer Verbesserung aus gesundheitlicher und medizinischer Sicht beizutragen. Auf Grund des Klimawandels und der Migration werden wir in Zukunft in Österreich zunehmend mit bereits ausgerotteten oder unbekannten Krankheiten konfrontiert werden. Ärzte spielen eine besondere Rolle bei der aktiven Förderung des Impfschutzes; der elektronische Impfpass soll ehest möglich umgesetzt werden.

Loacker, NEOS: Gerade der Fokus auf eine wohnortnahe Versorgung verhindert viele unnötige umweltschädliche Wege – beispielsweise in weiter entfernte Spitalsambulanzen.

Holzinger-Vogtenhuber, JETZT: Sehr viele Folgen des Klimawandels betreffen unmittelbar die Gesundheit der Bevölkerung und damit auch die Ärzte. Chronische Leiden, Allergien, Infektionskrankheiten durch Erreger, die es in unseren Breiten bis dato noch nicht gab uvm. können durch den Klimawandel zunehmen und es ist zu begrüßen, dass die Ärzteschaft hier ein Warnsignal an die Politik sendet, um mehr Mühen zu ergreifen und in die Vorsorge zu investieren.

5. Welche Rahmenbedingungen wollen Sie schaffen, damit Ärzte Beruf und Familie besser vereinbaren können?

Schwarz, ÖVP: Durch die bereits geschaffene Möglichkeit der Kassen-verrechenbaren Anstellung von Ärzten bei Ärzten erwarten wir eine effektive Entlastung. Darüber hinaus braucht es natürlich auch einen Ausbau der Kinderbetreuung speziell in ländlichen Regionen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.

Kucher, SPÖ: Gute, flächendeckende Elementarpädagogik und der zügige Ausbau der Ganztagsschulen sind wichtige Schlüssel für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir fordern einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr und ganztägige Betreuungsangebote für Familien im Umkreis von 20 km bis 2025. Spezifische Maßnahmen für Ärzte sind der Ausbau der Primärversorgungseinheiten, die
Anstellung von Ärzten bei Ärzten und geteilte Kassenverträge.

Povysil, FPÖ: Viele der bereits genannten Maßnahmen zielen auf dieses Problem hin. Team, Gruppenbildung bei niedergelassenen Ärzten, Teilzeitangebote im Angestelltenverhältnis und die Möglichkeit der arbeitsnahen Kinderbetreuung.

Loacker, NEOS: Hier müssen im niedergelassenen Bereich die entsprechenden Anstellungsmöglichkeiten (Teilzeit) forciert werden. In Team-Praxen und in Primärversorgungszentren können lebensnahe Arbeitszeitlösungen gefunden werden.

Holzinger-Vogtenhuber, JETZT: Häufig fehlende Angebote der Kinderbetreuung am Land schaffen, Rechtsanspruch auf Kinderbetreuungsplatz, flexible Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen, da häufig Ordinationszeiten am Nachmittag/Abend abgehalten werden für die berufstätigen Patienten.

6. Wie sollen Ärzte vom zunehmenden Dokumentations- und Administrationsaufwand entlastet werden?

Schwarz, ÖVP: Wichtige Anliegen sind Vereinfachungen bei chefärztlichen Bewilligungen und bei der Verrechnung mit den Kassen. Auch die praxisorientierte Nutzerfreundlichkeit und Übersichtlichkeit von ELGA muss verbessert werden.

Kucher, SPÖ: In den von uns vorgeschlagenen Gesundheitszentren könnte diese Verwaltungsarbeit von speziell dafür geschultem Personal übernommen werden.

Povysil, FPÖ: Ein unbedingt verbesserungswürdiges und tatsächlich funktionierendes ELGA-System und weitere Maßnahmen und Innovationen im Bereich der Telemedizin könnten hier eine Grundlage sein. Darüber hinaus muss es eine permanente Evaluierung dazu geben, welche Dokumentation im Einklang mit dem Fortschritt der Forschung und Medizin notwendig ist.

Loacker, NEOS: Dokumentation ist wichtig, aber zeitraubend. Dementsprechend müssen die entsprechenden Anwender-freundlichen Dokumentations-Systeme bereitgestellt werden und regelmäßig evaluiert werden.

Holzinger-Vogtenhuber, JETZT: Dokumentation und Datensicherung sind erhebliche Zeitfresser, wenngleich sie rechtlich als auch medizinisch dringend notwendig sind. Zeit, die aber oft für die Patienten dringend benötigt wird. Fortschritte in Richtung Einsatz einer effizienten Dokumentation via Spracherkennung (digitales Diktat mit Transkription) müssen weiter gefördert werden; auch Unterstützungspersonal ist hierfür erforderlich.

7. Welche Erwartungen haben Sie an die Fusionierung der Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse?

Schwarz, ÖVP: Die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger war ein wichtiger Schritt, um durch schlankere Strukturen und Synergieeffekte Geld von der Verwaltung hin zur optimalen Versorgung der Patienten zu verlagern. Außerdem wird es in Österreich endlich für gleiche Beiträge auch gleiche Leistungen geben.

Kucher, SPÖ: Wir lehnen die Fusionierung der Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse ab. Laut Rechnungshof wird der Umbau dem Gesundheitssystem mehrere Milliarden Euro entziehen, die dann in der Gesundheitsversorgung fehlen. Außerdem wird durch die Fusion eine Drei-Klassen-Medizin (Beamte, Selbstständige/Bauern und Arbeiter/Angestellte) etabliert mit ganz unterschiedlichen Leistungen für die drei Versicherungsgruppen.

Povysil, FPÖ: Durch die Reform der Sozialversicherungen, Stichwort Österreichische Gesundheitskasse, wurden organisatorische und finanzielle Rahmenbedingungen geschaffen, so dass ein neuer Gesamtvertrag mit den Ärzten ausverhandelt werden kann. Auf dieser Grundlage werden ein neuer Leistungskatalog und eine neue Honorarordnung eine attraktivere Basis für alle Ärzte schaffen.

Loacker, NEOS: Leider nicht sehr viele. Eine Fusion der einzelnen Gebietskrankenkassen mit den jeweiligen Landesgesundheitsfonds hätte mehr Sinn ergeben, im Sinne der Finanzierung aus einer Hand. Die freie Kassenwahl für die Versicherten ist ebenfalls nicht gekommen und auch vom einheitlichen Leistungskatalog sind wir noch weit entfernt.

Holzinger-Vogtenhuber, JETZT:
Keine medizinischen Verbesserungen zugunsten der Bevölkerung/Patienten. Keine Entlastung für Ärzte. „Fusionierungen“ sind vielfach dort erfolgt, wo dadurch Verbesserungen im Sinne der Arbeitgeber-Vertreter/Wirtschaftsseite lukriert werden können – parteipolitische Umfärbe-Aktionen inklusive. Entmachtung von Arbeitnehmer-Vertretern in der Sozialversicherung (Gefahr für die Selbstverwaltung durch Beitragszahler).

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2019