Inter­view Robert Körb­ler: Blick nach vorne

10.10.2019 | Politik


Adap­tive Intel­li­genz ist nur eines der Schlag­worte, die im Zusam­men­hang mit der Digi­ta­li­sie­rung in der Medi­zin zuneh­mend an Bedeu­tung gewin­nen. Wie die Digi­ta­li­sie­rung dazu bei­trägt, dass man eine Ver­schlech­te­rung des Gesund­heits­zu­stan­des bei einem Pati­en­ten bis zu 24 Stun­den vor­her erken­nen kann. Robert Körb­ler, Gene­ral­di­rek­tor von Phil­ips Öster­reich, gibt im Gespräch mit Agnes M. Mühl­gas­s­ner Ein­bli­cke in die künf­tige Entwicklung.


Wieso enga­giert sich Phil­ips beim Euro­päi­schen Forum Alp­bach und ist dort sogar Haupt­spon­sor? Phil­ips hat sich in den letz­ten Jah­ren schon ver­stärkt mit Prä­ven­tion und dem Thema gesund leben befasst, aber auch damit, wie man eine chro­ni­sche Erkran­kung coa­chen kann – ich sage bewusst nicht über­wa­chen. Als Phil­ips dann vor etwa vier, fünf Jah­ren gefragt wurde, ob wir uns bei den Gesund­heits­ge­sprä­chen beim Forum Alp­bach stär­ker enga­gie­ren wol­len, war das für uns ganz klar. Alp­bach bie­tet die Mög­lich­keit, das Thema ganz­heit­lich mit den wich­tigs­ten Stake­hol­dern zu dis­ku­tie­ren in einer Offen­heit, die sonst schwer mög­lich ist. Ein zwei­ter Grund: Das Euro­päi­sche Forum ver­folgt einen inter­na­tio­na­len Ansatz und Phil­ips als welt­weit agie­ren­der Kon­zern hat in ande­ren Län­dern schon sehr viele Modelle umge­setzt. Wir wol­len auch auf­zei­gen, was in Öster­reich mach­bar ist.

Wie hat das Enga­ge­ment von Phil­ips im Gesund­heits­sek­tor über­haupt begon­nen? Phil­ips macht in Deutsch­land schon seit eini­gen Jah­ren den Kran­ken­haus­re­port. Dabei wer­den finan­zi­elle Kenn­zah­len von allen Kli­ni­ken in Deutsch­land zusam­men­ge­tra­gen und in die­sem Report ver­öf­fent­licht. Eine ähn­li­che Publi­ka­tion für Öster­reich ist nicht ziel­füh­rend, da diese Kenn­zah­len mit der Abgangs­de­ckung in Öster­reich nichts aus­sa­gen – außer bei den pri­va­ten Häu­sern. In den Gesprä­chen mit Gesund­heits­lan­des­rä­ten oder Hol­ding-Chefs habe ich die Beob­ach­tung gemacht, dass es durch­aus unter­schied­li­che Anfor­de­run­gen in den ein­zel­nen Bun­des­län­dern gibt. Und inter­es­sant ist ja eigent­lich, wel­che Unter­schiede es in den ein­zel­nen Bun­des­län­dern gibt. So sind wir auf die Idee gekom­men, ein­zelne Gesund­heits­de­ter­mi­nan­ten auf der Basis der Bun­des­län­der her­aus­zu­ar­bei­ten. Mag. Maria Hof­mar­cher hat die Stu­die erstellt, Phil­ips spon­sert die Erstel­lung. Die­ses Fact­book ist heuer zum drit­ten Mal erschie­nen und hat auch die­ses Mal wie­der für Auf­se­hen gesorgt. 

Ist der Wech­sel im Spon­sor­ship bei den Gesund­heits­ge­sprä­chen Alp­bach weg von der Phar­ma­in­dus­trie hin zu einem Tech­no­lo­gie­kon­zern ein Sym­ptom für den Trend­wech­sel ganz gene­rell in der Medi­zin? Ich würde es nicht als das eine oder das andere sehen, es wird die Kom­bi­na­tion aus bei­dem sein. Wir haben gerade beim Onco­logy-Board welt­weit eine Koope­ra­tion mit eini­gen Uni­ver­si­tä­ten, wo die Erfolgs­wahr­schein­lich­keit für die ver­schie­dens­ten The­ra­pien berech­net wer­den kann. Diese Infor­ma­tio­nen brin­gen zusam­men mit den Neu­ent­wick­lun­gen im Bereich Pharma im End­ef­fekt eine bes­sere The­ra­pie für die Menschen.

Digi­tale Sys­teme kön­nen bei­spiels­weise Haut­lä­sio­nen bes­ser dia­gnos­ti­zie­ren als ein Arzt. Wird die künst­li­che Intel­li­genz zuneh­mend zu einer Bedro­hung für Ärzte? Es wird ein star­kes Mit­ein­an­der. Erst die Ergän­zung der adap­ti­ven Intel­li­genz mit dem Wis­sen des kli­ni­schen Per­so­nals macht aus der nor­ma­len künst­li­chen Intel­li­genz die adap­tive Intel­li­genz. Ein zwei­ter Punkt: Wir arbei­ten sehr stark im Bereich Work­flow. So haben wir vor einem Jahr eine neue Angio­gra­phie-Anlage vor­ge­stellt. Dabei wur­den die Fuß­wege durch eine andere Anord­nung der Kom­po­nen­ten ver­rin­gert und rund 25 bis 30 Pro­zent Zeit gewon­nen, weil die ganze Pro­ze­dur ins­ge­samt beschleu­nigt wurde. Drit­tens: der Ser­vice­be­reich. Wir erhal­ten von allen Groß­ge­rä­ten welt­weit über Remote-Ver­bin­dun­gen Infor­ma­tio­nen, wenn ein Netz­teil die Spe­zi­fi­ka­tio­nen nicht mehr genau lie­fert. Hier kommt es prä­ven­tiv zu einem Ser­vice, damit es nicht zu einem uner­war­te­ten Still­stand eines Geräts kommt.

Haben Sie noch ein ande­res Bei­spiel aus der Pra­xis?
Beim Tho­rax­rönt­gen bei­spiels­weise wer­den mit einer Art Wär­me­bild­ka­mera die Kon­tu­ren des Pati­en­ten erfasst. Durch die Ver­knüp­fung mit einem Ana­to­mie­at­las erhält man gewisse ana­to­mi­sche Land­marks und kann auto­ma­tisch die Rönt­gen­röhre in die Posi­tion brin­gen, in der die ganze Lunge erfasst wird. Ein ande­res Bei­spiel aus die­sem Bereich: Bevor das Bild­ma­te­rial einer Unter­su­chung ins Archiv geht, läuft im Hin­ter­grund ein Algo­rith­mus, der auf gewisse Auf­fäl­lig­kei­ten ach­tet. Ist das der Fall, wird dies durch ein Lämp­chen ange­zeigt und es schaut noch ein Radio­loge drauf. Man benö­tigt kei­nen zwei­ten Ter­min, keine noch­ma­lige Unter­su­chung, was natür­lich den Work­flow effi­zi­en­ter macht.

Wie sehr ist denn das Thema Digi­ta­li­sie­rung im öster­rei­chi­schen Gesund­heits­we­sen Ihrer Ansicht nach schon ange­kom­men? Wir haben vor drei Jah­ren begon­nen, über das Thema Digi­ta­li­sie­rung zu reden. Die­ses Jahr hat jeder in Alp­bach über adap­tive Intel­li­genz, Digi­ta­li­sie­rung und E‑Health gespro­chen. Mir fehlt in Öster­reich die Umset­zungs­ge­schwin­dig­keit. Im Ver­gleich zu ande­ren euro­päi­schen Län­dern haben wir ELGA doch sehr schnell eta­bliert, aber wir haben noch sehr, sehr viele Ein­zel­lö­sun­gen, die nicht mit­ein­an­der ver­bun­den sind.

Wo sollte man denn im Gesund­heits­sys­tem rasch anset­zen und etwas ändern?
Wenn ich heute eine Reise mache, habe ich am Smart­phone das Flug­ti­cket, die Hotel­be­stä­ti­gung und die Daten für das Miet-Auto. Bei einer Auf­nahme ins Kran­ken­haus sind es je nach Haus zwi­schen fünf und zwölf For­mu­la­ren. Phil­ips bie­tet auch ein Pati­en­ten­por­tal, wo man einer­seits den gan­zen Auf­nah­me­pro­zess elek­tro­nisch erle­di­gen kann – ent­we­der über eine App oder über ein Por­tal. Sobald das gesche­hen ist, kann man vie­les machen: Ter­mine für Vor­un­ter­su­chun­gen ver­ein­ba­ren, alle Infor­ma­tio­nen im Vor­feld wie etwa ein Merk­blatt zur Ver­fü­gung stel­len, die ganze Dia­gnos­tik und The­ra­pie erfas­sen und bei der Ent­las­sung nach einer OP Tipps für das wei­tere Ver­hal­ten mitgeben. 

Wohin geht denn die digi­tale Ent­wick­lung? Wel­che prak­ti­schen Anwen­dun­gen gibt es jetzt schon? Stel­len Sie sich fol­gende Situa­tion vor: Es kommt zu einer unbe­merk­ten Ver­schlech­te­rung des Pati­en­ten auf der Nor­mal­sta­tion. Als Ange­hö­ri­ger ist man eigent­lich immer erleich­tert, wenn der Pati­ent von der Inten­siv­sta­tion auf die Nor­mal­sta­tion kann. Bei den Pfle­ge­run­den wer­den ja nur wenige Vital­pa­ra­me­ter erfasst: Tem­pe­ra­tur, Atem­fre­quenz, Blut­druck. Wir erfas­sen diese Werte pro Pfle­ge­schicht und ein Algo­rith­mus dahin­ter ermit­telt je nach Sta­tion einen Tem­pe­ra­tur­an­stieg, den Anstieg der Atem­fre­quenz etc. Diese Para­me­ter wer­den im Hin­ter­grund erfasst und im Ver­lauf­s­trend beob­ach­tet, wie sie sich in der Kon­stel­la­tion zuein­an­der ver­än­dern. Ab einer bestimm­ten Kon­stel­la­tion gibt es einen stil­len Alarm: Der Zustand die­ses Pati­en­ten ver­schlech­tert sich. Und je nach Ereig­nis kann man heute acht bis 24 Stun­den vor­her schon die ers­ten Anzei­chen sehen. 

Wel­che neuen Tech­no­lo­gien wer­den den All­tag in der Medi­zin noch ver­än­dern? Wir haben die­ses Jahr ein neues MR-Gerät vor­ge­stellt, das mit sie­ben Liter Helium aus­kommt. Bis­lang haben diese Geräte rund 1.500 Liter Helium benö­tigt. Außer­dem hat die­ses Gerät eine völ­lig neue Tech­no­lo­gie. Wenn beim Magnet­feld eines MR etwas nicht stimmt und sich ein Über­druck auf­baut, wer­den über ein Ven­til 1.500 Liter Helium in die Luft gebla­sen. Helium ist ein sehr teu­res Edel­gas und nur als natür­li­che Res­source vor­han­den. 1.500 Liter ver­sus sie­ben Liter ist durch­aus ein Bei­trag in Sachen Umwelt­öko­lo­gie. Bei unse­rem neuen Gerät blei­ben die sie­ben Liter Helium im Sys­tem – eine bahn­bre­chende Inno­va­tion in der Gerä­te­tech­nik.

Wenn wir in drei Jah­ren wie­der bei einem Inter­view zusam­men­sit­zen: Über wel­che The­men wer­den wir dann reden?
Ich denke, wir wür­den über die erfolg­rei­che Ein­füh­rung von Pati­en­ten­por­ta­len in eini­gen Lan­des­hol­dings in Öster­reich reden und auch über ein durch­gän­gi­ges Infor­ma­ti­ons- und Doku­men­ta­ti­ons­sys­tem für kar­dio­lo­gi­sche und onko­lo­gi­sche Pati­en­ten. Und das ist ver­mut­lich nur der Anfang.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 19 /​10.10.2019