Verunreinigungen von Antihypertensiva: Keine Toleranz

25.04.2019 | Medizin


Nachdem im Juli 2018 die erste Rückrufaktion des aus chinesischer Produktion stammenden Antihypertensivums Valsartan gestartet wurde, war im November darauf Valsartan aus indischer Produktion betroffen. Im März dieses Jahres wiederum wurden bei aus Indien stammendem Losartan Verunreinigungen gefunden.

Neben Valsartan, das im Juli 2018 wegen Verunreinigungen weltweit in Verruf geraten ist, war kürzlich auch Losartan aus indischer Produktion betroffen. Verunreinigte Präparate wurden vor allem in den USA und teilweise auch in europäischen Ländern – darunter auch Deutschland – gefunden; Österreich ist, anders als bei Valsartan, bislang nicht betroffen. Im Gegensatz zu Valsartan, das auch in Österreich teilweise stark mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) verunreinigt war, geht es bei Losartan offenbar um die Nitrosaminvariante NMBA (N-Nitroso-N-methylamino-Buttersäure). Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat in diesem Fall nun zu eher drastischen Maßnahmen gegriffen: Sie gestattet für den Zeitraum von sechs Monaten den Verkauf von Losartan-Präparaten mit einem NMBA-Gehalt von mehr als 0,96 ppm (beziehungsweise 0,096 Mikrogramm je 100 mg Tablette), aber unter 9,82 ppm (0,98 Mikrogramm je 100 mg Tablette). Hintergrund für diese Entscheidung: Die FDA geht davon aus, dass in einem halben Jahr wieder einwandfreies Losartan zur Verfügung stehen wird.

Österreich ist bisher von der Losartan-Affäre unberührt, wie auch Christoph Baumgärtel von der AGES-Medizinmarktaufsicht bestätigt. Im Gegensatz dazu hätte es in Deutschland sehr wohl Chargen mit Verunreinigungen gegeben. Eine Entscheidung wie in den USA, NMBA-Höchstwerte von bis zu 0,98 Mikrogramm zu akzeptieren, schließt Baumgärtel aus. „Sollten zukünftig tatsächlich vereinzelte Chargen mit relevantem NMBA-Gehalt auch in Österreich festgestellt werden, werden wir selbstverständlich unverzüglich auch potentielle NMBA-Verunreinigungen zurückrufen und sofort vom Markt nehmen“. Dies sei auch bei anderen Nitrosamin-Verunreinigungen (NDMA und NDEA) bei anderen Sartanen der Fall gewesen.

Im Fall von Valsartan, ein in der Hochdrucktherapie gängiger Angiotensin-II-Rezeptorantagonist, sind im Juli 2018 verunreinigte Generika des chinesischen Herstellers Zhejiang Huahai Pharmaceutical auch auf den europäischen Markt gelangt. Vom Rückruf betroffen waren insgesamt acht Hersteller mit 54 Mono- und Kombinationspräparaten von insgesamt 179 zugelassenen Produkten. Den Aussagen des AGES-Experten zufolge belief sich der Marktanteil dieser Generika auf rund 40 Prozent aller verkauften Valsartane. Von den rund 500.000 Patienten unter antihypertensiver Therapie erhält ein Drittel davon Valsartan; in Österreich sind schätzungsweise 71.000 Personen betroffen.

Immer weniger Hersteller

„Eines der Grundprobleme der globalen Wirkstoffproduktion, das keineswegs nur Valsartan betrifft, ist die Tatsache, dass es immer weniger Wirkstoffhersteller gibt“, erklärt Christoph Baumgärtel. Während vor zehn bis 15 Jahren viele Firmen ihren eigenen Valsartan-Wirkstoff produziert haben, gibt es jetzt primär Wirkstoffhersteller in Fernost – vor allem in Indien und China. Da Pharmafirmen in Anbetracht der Erstattung durch die Krankenkassen einem hohen Kostendruck ausgesetzt seien, müssten sie Wirkstoffe zu sehr günstigen Konditionen produzieren. Da im Fall von Valsartan der Wirkstoff für fast jedes Generikum aus China bezogen wurde und die Auslieferung durch den Chargenrückruf abrupt gestoppt wurde, war fast die Hälfte der Valsartan-haltigen Medikamente nicht mehr verfügbar. Auch Novartis als Originalhersteller mit einem Marktanteil von rund 50 Prozent konnte die Produktion und Auslieferung so kurzfristig nicht verdoppeln. Bis heute sind von den betroffenen Präparaten 46 noch immer nicht auf dem Markt erhältlich, weswegen weiterhin Engpässe bestehen.

Das vom chinesischen Hersteller produzierte Valsartan wurde vermutlich 2012 im Zuge einer Änderung in der Synthese des Wirkstoffs mit der potentiell kanzerogenen Substanz N-Nitroso-dimethylamin kontaminiert. „Die meisten Wirkstoffe aus der Valsartan-Klasse haben einen Tetrazol-Ring, wobei es für die Herstellung dieses Wirkstoffrings mehrere Arten der Synthese gibt“, führt Baumgärtel aus. Es bestehe der Verdacht, dass die Verunreinigung in Verbindung mit diesem Tetrazol-Ring durch ein Lösungsmittel entstanden sein könnte, durch das sich Metabolite und in weiterer Folge Nitrosamine gebildet haben. Die Synthesemethode wurde vor ihrer Einführung 2012 durch das Europäische Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln (EDQM) genehmigt. „Laut den Analytikern waren die potentiell kanzerogenen Verunreinigungen nicht vorhersehbar und die Methode hätte bei der Verwendung in Europa die gleichen Folgen gehabt wie in Asien“, so Baumgärtel. „Allerdings kann man davon ausgehen, dass derartige Verunreinigungen in einer europäischen Produktion sicher nicht sechs Jahre lang unentdeckt geblieben wären“, ergänzt er.

Mittlerweile wurde der Synthesemethode das Zertifikat (CEP; Certificate of Suitability of the European Pharmacopoeia) entzogen, sodass kein Hersteller diese mehr verwenden darf. Die momentan verwendeten Synthesemethoden gelten als sicher, allerdings werden auch diese vorsichtshalber untersucht. Ebenfalls in die Untersuchungen einbezogen werden laut dem Experten auch andere Sartane wie zum Beispiel Candesartan und Olmesartan, da auch diese einen Tetrazol-Ring enthalten und eine potentielle Angriffsfläche für vergleichbare Verunreinigungen bieten. In Österreich wurden bei anderen Sartanen bisher keine Verunreinigungen gefunden. Die Europäische Arzneimittel-Agentur kam bei den gefundenen Verunreinigungen von Valsartan grundsätzlich zur Einschätzung eines geringen Krebsrisikos. Mit der täglichen Einnahme der höchsten Dosierung (320 Milligramm) über sechs Jahre hindurch (von Juli 2012 bis Juli 2018) wird ein Lebenszeitrisiko von etwa eins zu 5.000 angenommen beziehungsweise bei kürzerer Einnahme oder geringerer Dosierung noch weniger. Die Schätzungen beruhten auf der durchschnittlichen Menge von N-Nitrosodimethylamin, das in den Chargen des Herstellers gefunden wurde. Neben Zhejiang Huahai waren Chargen weiterer Hersteller von vergleichbaren Kontaminationen betroffen wie beispielsweise die chinesische Firma Zhejiang Tianyu sowie im November 2018 die indische Firma Mylan Laboratory Limited.

Trotz des geringen Risikos „ist eine gewisse Unsicherheit bezüglich der qualitativ hochwertigen Zusammensetzung von Arzneimitteln entstanden“, erklärt Univ. Prof. Robert Zweiker von der Universitätsklinik für Kardiologie an der MedUni Graz. Durch kontaminationsbedingte Rückrufaktionen wie im Fall mit Valsartan geraten Generika in Verruf, „offenbar doch nicht der Qualität von Originalia zu entsprechen trotz oft anders lautender Stellungnahmen“, führt Zweiker weiter aus. Nach Ansicht des Experten sei es grundsätzlich notwendig, ein breites Portfolio an Substanzen zur Verfügung zu haben – konkret lang und gut wirksame Sartane. Neben Valsartan sind Candesartan, Olmesartan und Telmisartan sowie Irbesartan als Alternativen in der Therapie mit Monopräparaten und Zweifachkombinationen in Betracht zu ziehen.

Da bei der Therapie der Hypertonie aus Compliancegründen oft Mehrfachkombinationen benötigt werden und Dreifachkombinationen nur in Form von Valsartan und Olmesartan vorliegen, bietet nur letzteres eine Alternative. Ebenso wie Zweiker sieht auch Baumgärtel in der Verschreibung von anderen Sartanen eine Möglichkeit, die Verunsicherung und die Lieferengpässe zu umgehen. Grundsätzlich empfiehlt Baumgärtel, sich mit den Sartanen generell und bei neuen Patienten auch mit alternativen Substanzklassen auseinanderzusetzen, da beispielsweise auch Olmesartan aufgrund von Nebenwirkungen künftig von den Krankenkassen nicht mehr erstattet wird. Allerdings könne auch Valsartan selbst weiterhin verschrieben werden, denn alle Valsartan-haltigen Arzneien, die derzeit verfügbar sind, sind laut Baumgärtel seit letztem Herbst „sauber“. „Die Originalsubstanz, also das nicht-generische Valsartan, das in Europa produziert wird, ist von den Verunreinigungen nicht betroffen und kann bedenkenlos verschrieben werden“, betont auch Univ. Prof. Andrea Podczeck-Schweighofer vom Sozialmedizinischen Zentrum Süd in Wien. Neben der Originalsubstanz von Novartis ist laut Zweiker auch das Generikum von Krka nicht von den Verunreinigungen betroffen und kann ebenfalls problemlos verschrieben werden. (ls)


Empfohlen wird die Verschreibung der Originalsubstanz oder anderer Sartane, zum Beispiel Candesartan, Olmesartan, Telmisartan und Irbesartan. Bei der Behandlung neuer Patienten ist die zusätzliche Beschäftigung mit anderen Wirkstoffklassen ratsam.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2019