Chro­ni­sche Über­las­tungs­schä­den: Auf die Kin­der hören

10.06.2019 | Medizin


Wäh­rend bei Erwach­se­nen Über­las­tungs­schä­den typi­scher­weise an Seh­nen auf­tre­ten, füh­ren plötz­li­che oder dau­er­hafte Über­las­tun­gen bei Kin­dern zu Knor­pel- und Kno­chen­schä­den. Für eine Abgren­zung etwa zu Schmer­zen durch Kno­chen­tu­more gilt es, auf die Kin­der zu hören. Details dazu gibt es in einem Semi­nar bei den Ärz­te­ta­gen Vel­den Mitte August. 


Kin­der kön­nen selbst beschrei­ben, was ihnen fehlt und was gesche­hen ist. Man muss ihnen nur zuhö­ren und die Behand­lung mit ihnen bespre­chen“, erklärt Univ. Prof. Anne­lie-Mar­tina Wein­berg von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Ortho­pä­die und Trau­ma­to­lo­gie an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz. Im Rah­men der 22. Ärz­te­tage Vel­den, die von 18. bis 24. August 2019 statt­fin­den, hält die Kin­der­chir­ur­gin einen Semi­nar­block zu chro­ni­schen Über­las­tungs­schä­den bei Kin­dern und Jugend­li­chen ab; in zwei wei­te­ren Blö­cken geht es um Unfälle und Sportschäden.

Über­las­tungs­schä­den tref­fen zwei ganz unter­schied­li­che Grup­pen. „Wenn ein Kind ein Couch-Potato ist, sich kaum bewegt, und die Eltern eine lange Wan­de­rung beschlie­ßen, gibt es eine hohe Chance, dass es nach sechs Stun­den Wan­dern zu einer Über­be­an­spru­chung und einem Über­las­tungs­scha­den kommt“, erklärt Wein­berg. Aber auch Kin­der und Jugend­li­che, die viel trai­nie­ren oder Leis­tungs­sport betrei­ben, kön­nen sol­che Schä­den tref­fen. „Beson­ders in einem Wachs­tums­schub sind diese Kin­der vul­nerabel. Mus­ku­lär ist die Länge zwar da, aber die Seh­nen kom­men nicht nach. Hier kann es vor­kom­men, dass bereits bei einer ein­ma­li­gen Anspan­nung der knö­cherne Ansatz der Sehne ausreißt.“

Darin liegt der große Unter­schied zwi­schen Erwach­se­nen und Kin­dern bezie­hungs­weise Jugend­li­chen. Wäh­rend bei Erwach­se­nen Über­las­tungs­schä­den typi­scher­weise an Seh­nen auf­tre­ten, sind bei Kin­dern Kno­chen und Knor­pel betrof­fen, sagt Wein­berg. „Bei Kin­dern reißt der Kno­chen in der Fuge oder der knö­cherne Ansatz der Sehne aus. Bei Jugend­li­chen, die viel Fuß­ball spie­len, kommt es etwa zu einem Abriss an der Hüfte. Denn Über­las­tungs­schä­den sind im Grunde repe­ti­tive Mikro­trau­mata, an die sich der Kör­per nicht anpas­sen kann.“ Der Scha­den zeigt sich durch Schmer­zen, die oft plötz­lich, ohne lange vor­her­ge­hende Schmerz­pe­ri­ode auf­tre­ten. „Es gibt häu­fig keine Vorwarnzeichen.“

Die Gründe für einen Über­las­tungs­scha­den sind sowohl extrin­sisch als auch intrin­sisch zu suchen. Schlecht sit­zen­des Schuh­werk, fal­sche Schlä­ger, aber auch der Belag, auf dem trai­niert wird, kön­nen zu Schä­den füh­ren. Auch die Sta­tik des Kör­pers, die Kör­per­achse oder die Füße kön­nen aus­lö­sende Reize sein. Ver­kürzte Seh­nen sind spe­zi­ell bei Jugend­li­chen im Wachs­tum häu­fig. „Beim spon­ta­nen Län­gen­wachs­tum soll­ten Jugend­li­che eigent­lich weni­ger trai­nie­ren. Denn obwohl die Länge durch die Mus­keln zwar da ist, müs­sen die Seh­nen erst nach­kom­men und die Ver­kür­zung der Seh­nen aus­ge­gli­chen wer­den“, erläu­tert Wein­berg. Doch in sol­chen Situa­tio­nen kür­zer zu tre­ten, sei oft nicht leicht. „Genau in die­ser Alters­klasse, in denen Wachs­tums­schübe auf­tre­ten, sind viele Sport­ar­ten bereits leis­tungs­ori­en­tiert. Geld und Spon­so­ren spie­len zeit­nah eine Rolle.“ 

Scho­nung und wei­tere Abklärung

Das Haupt­sym­ptom bei Über­las­tungs­schä­den bei Kin­dern und Jugend­li­chen ist Schmerz. Als The­ra­pie emp­fiehlt Wein­berg daher die Gabe von Schmerz­mit­teln, vor allem aber Scho­nung. „Das kann bis hin zur Ruhe­stel­lung durch einen Gips gehen. Wich­tig ist die Scho­nung.“ Bei einem ein­ma­li­gen Über­las­tungs­scha­den, der durch plötz­li­che Bewe­gung aus­ge­löst wird, rei­che dies laut Wein­berg aus. Für eine Abgren­zung etwa zu Schmer­zen durch Kno­chen­tu­mo­ren müsse man auf die Kin­der hören. „Wenn die Schmer­zen durch Ruhig­stel­len nicht nach drei bis vier Tagen deut­lich bes­ser sind, sollte man sich das genauer anschauen. Aber die Kin­der wis­sen und sagen selbst, ob es ihnen noch weh tut oder eben nicht.“ Auch die Beschrei­bung der Schmerz­stelle sowie der Vor­ge­schichte geben wich­tige Infor­ma­tio­nen, erklärt Wein­berg. „Erzählt ein Kind, dass es plötz­lich viel gewan­dert ist? Hum­pelt das Kind oder kann es nicht mehr gehen? Ist die Stelle des Schmer­zes logisch? Man kann mit einer guten Ana­mnese und einer kli­ni­schen Unter­su­chung viel her­aus­be­kom­men.“ Wäh­rend an einer Uni­ver­si­täts­kli­nik zur Abklä­rung Rönt­gen und fall­weise auch MRT zum Ein­satz kom­men, emp­fiehlt Wein­berg den Haus­ärz­ten: den Betrof­fe­nen ruhig­stel­len und abwar­ten. „Wenn es wei­ter­hin schmerzt, soll­ten die Pati­en­ten zum Spe­zia­lis­ten ver­wie­sen wer­den. Aber kurz­zei­ti­ges Ruhig­stel­len ist in 95 Pro­zent der Fälle erfolg­reich. Bei Leis­tungs­sport­lern ist eine genauere Ana­mnese empfehlenswert.“

Beson­ders bei jun­gen Sport­lern soll­ten Ärzte mit ihren Pati­en­ten zusam­men­ar­bei­ten und sie ein­be­zie­hen. Tre­ten Schä­den häu­fi­ger auf, kann Phy­sio­the­ra­pie hel­fen, um etwaig vor­lie­gende Ver­kür­zun­gen aus­zu­glei­chen. Gemein­sam mit dem betrof­fe­nen Kind oder Jugend­li­chen muss nach den genauen Ursa­chen gesucht wer­den. Das „Nie­der­sprit­zen“ der Schmer­zen ist weder ange­bracht noch zeit­ge­mäß, erklärt Wein­berg. „Hier arbeite ich mit dem Kind. Auf die Frage, ob ein ver­letz­ter Sport­ler gewin­nen würde, ant­wor­ten sie ‚Nein‘. Dann frage ich, warum sie den­ken, dass es bei ihnen anders sein sollte. Da sehen sie es oft ein und ver­ste­hen, dass es bes­ser ist, abzu­war­ten und das Ganze aus­hei­len zu las­sen.“ Wein­berg sieht das auch als einen Teil des Ent­wick­lungs­pro­zes­ses der Kin­der als Sport­ler. „Wir müs­sen die Kin­der erwach­sen machen in ihren Ent­schei­dun­gen. Sie müs­sen ler­nen, mit ihren Ver­let­zun­gen umzu­ge­hen, dafür müs­sen wir sie selbst­si­cher machen. Denn das Kind ist unser Pati­ent, nicht die Eltern, nicht die Trainer.“ 

Die Trai­ner nimmt Wein­berg bei der Prä­ven­tion von gesund­heit­li­chen Schä­den in die Pflicht. Sie soll­ten auf extrin­si­sche Fak­to­ren wie Boden­be­lag oder Schuhe ach­ten, und Trai­nings­pläne adäquat gestal­ten. „Trai­ner sehen auch, ob die Kin­der gut gedehnt sind. Kommt ein Kind mit den Hän­den zum Boden? Kann es im Lotus­sitz sitzen?“ 

Wenn Couch-Pota­toes ein­ma­lige Schä­den erle­ben, seien diese kaum zu ver­hin­dern. Sie hin­ter­las­sen auch keine Spu­ren. „Eine ein­ma­lige Ver­let­zung heilt aus. Denn anders als bei den Seh­nen, kommt es an den Kno­chen zu kei­ner Nar­ben­bil­dung. Daher sind bei knö­cher­nen Schä­den eigent­lich keine Lang­zeit­schä­den zu erwar­ten“, so das Fazit der Exper­tin. (sf)

Details zum Kon­gress:
22. Ärz­te­tage Vel­den
18. bis 24. August 2019
Infor­ma­tion und Anmel­dung:
www.arztakademie.at/velden

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2019