The­ra­pie der Mul­ti­plen Skle­rose: Auf der Suche nach neuen Optionen

25.11.2019 | Medizin


Wäh­rend für die Behand­lung der schub­för­mi­gen Phase eine Viel­zahl von Prä­pa­ra­ten ein­ge­setzt wird, gibt es mit Ocreli­zu­mab und Sipo­nimod erst­mals wirk­same The­ra­pie­op­tio­nen für die pro­gre­di­ente Phase.
Laura Scher­ber

Dass der Mul­ti­plen Skle­rose eine gene­ti­sche Prä­dis­po­si­tion zugrunde liegt, ist aus Zwil­lings­stu­dien bekannt. „Wäh­rend das spon­tane Erkran­kungs­ri­siko nur bei 0,15 Pro­zent liegt, haben ein­ei­ige Zwil­linge ein Risiko von 30 Pro­zent, wenn der Index­pa­ti­ent erkrankt ist“, erklärt Univ. Prof. Fritz Leut­me­zer von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Neu­ro­lo­gie in Wien. Dazu kom­men exo­gene Fak­to­ren wie Viren und Infek­tio­nen, die den Aus­bruch einer Mul­ti­plen Skle­rose trig­gern kön­nen. „Die Hypo­these, dass es im Pro­zess des auto­im­mu­no­lo­gi­schen Gesche­hens einen Trig­ger gibt, der dazu führt, dass T‑Zellen klonal expan­die­ren, in das Zen­tral­ner­ven­sys­tem ein­wan­dern und zu Ent­zün­dungs­her­den bei Mul­ti­pler Skle­rose füh­ren, gibt es schon lang und hat auch immer eine Asso­zia­tion zum Epstein-Barr-Virus gehabt“, weiß Assoz. Prof. Priv. Doz. Chris­tian Enzin­ger von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Neu­ro­lo­gie in Graz. Wäh­rend 95 Pro­zent der öster­rei­chi­schen Bevöl­ke­rung Anti­kör­per gegen den Epstein-Barr-Virus haben, sind es bei Pati­en­ten mit Mul­ti­pler Skle­rose 98 Pro­zent, ergänzt Leut­me­zer. Im Ver­gleich zu nord­eu­ro­päi­schen Län­dern kommt die Mul­ti­ple Skle­rose in äqua­tor­na­hen Regio­nen viel sel­te­ner vor. Frühe Migra­ti­ons­stu­dien hät­ten gezeigt, dass Per­so­nen, die vor dem 15. Lebens­jahr aus einem Nied­rig- in ein Hoch­ri­si­ko­land aus­wan­dern, das hohe Risiko des Ziel­lan­des anneh­men, wäh­rend bei einer Migra­tion nach dem 15. Lebens­jahr das nied­rige Risiko des Ursprungs­lan­des weit­ge­hend bei­be­hal­ten wird. Dar­aus einen kau­sa­len Zusam­men­hang auf das Epstein-Barr-Virus zu zie­hen, ist aber wie auch bei ande­ren asso­zi­ier­ten Infek­tio­nen pro­ble­ma­tisch, da das Ereig­nis beim Ein­set­zen der Sym­ptome viele Jahre zurück­liegt. Wei­tere mit der Mul­ti­plen Skle­rose asso­zi­ierte Fak­to­ren sind Hygiene, Ernäh­rung, Niko­tin­ab­usus und Son­nen­ex­po­si­tion. „Auch Wurm­er­kran­kun­gen wer­den dis­ku­tiert, da Wür­mer das Immun­sys­tem so ver­än­dern, dass es tole­ran­ter wird, was man bei der Mul­ti­plen Skle­rose ja gerne errei­chen würde“, erklärt Leut­me­zer. In aktu­el­len Stu­dien wird unter­sucht, wel­che Aus­wir­kun­gen die Ein­nahme von Wurm­ei­ern hat – in der Hoff­nung, dass die Mul­ti­ple Skle­rose dadurch güns­tig beein­flusst wird. „Das Pro­blem ist, dass man auf­grund einer epi­de­mio­lo­gi­schen Beob­ach­tung auf einen kau­sa­len Zusam­men­hang rück­schließt – das kann stim­men oder auch nicht“, warnt der Experte. 

Immun­the­ra­pien für frühe Phase

„Für die frühe, schub­för­mige Phase der Mul­ti­plen Skle­rose gibt es mitt­ler­weile 14 ver­schie­dene Immun­the­ra­pien, sodass der Bedarf für diese Phase medi­ka­men­tös the­ra­peu­tisch eigent­lich gedeckt ist“, sagt Leut­me­zer. Anders ver­hält es sich mit der zwei­ten, spä­ten Phase der Erkran­kung, wenn im Zuge der chro­nisch schlei­chen­den Ent­zün­dungs­re­ak­tion die Ner­ven­zel­len ange­grif­fen und in der Folge zer­stört wer­den und Immun­the­ra­pien schlecht bis gar nicht wirk­sam sind. Die erste wirk­same The­ra­pie­op­tion für diese pro­gre­di­ente Phase bie­tet Ocreli­zu­mab; dadurch kann die schlei­chende Ver­schlech­te­rung um 30 Pro­zent ver­lang­samt wer­den kann. „Dass sich der CD20-Anti­kör­per Ocreli­zu­mab gegen Ober­flä­chen­an­ti­gene auf der B‑Zelle rich­tet und sehr effi­zi­ent anti-inflamm­a­to­risch wirkt, lie­fert eine neue Erkennt­nis, da man bis­her davon aus­ging, dass die Mul­ti­ple Skle­rose eine vor­wie­gend T‑Zell-medi­ierte Auto­im­mun­erkran­kung ist“, betont Enzin­ger. Wäh­rend Ocreli­zu­mab in den USA schon seit län­ge­rer Zeit zuge­las­sen ist, wurde es nun auch vom Haupt­ver­band der öster­rei­chi­schen Ver­si­che­rungs­trä­ger in die Erstat­tungs­fä­hig­keit genom­men. Ein zwei­tes Prä­pa­rat, das in naher Zukunft in der Behand­lung der sekun­där pro­gre­di­en­ten MS ein­ge­setzt wer­den wird, ist Sipo­nimod, wel­ches die Pro­gres­sion um 25 Pro­zent ver­lang­samt. Der Nach­teil bei­der Medi­ka­mente bestehe darin, dass der Effekt eher beschei­den ist und die Wir­kung eigent­lich nur in der frü­hen Phase der Erkran­kung ein­trete, so Leutmezer.

For­schungs­an­sätze für späte Phase

Da für die schub­för­mige Phase aus­rei­chend the­ra­peu­ti­sche Optio­nen zur Ver­fü­gung ste­hen, kon­zen­trie­ren sich aktu­elle For­schungs­an­sätze auf die The­ra­pie der spä­ten Phase, wenn Pati­en­ten schon 15 oder 20 Jahre unter Mul­ti­pler Skle­rose lei­den. „Hilf­reich wären The­ra­pien, die ent­we­der das Abster­ben der Ner­ven­zel­len ver­hin­dern oder beein­träch­tigte Ner­ven­zel­len repa­rie­ren, indem sie die Bil­dung der Mye­lin­scheide vor­an­trei­ben“, fasst Leut­me­zer zusam­men. Wich­tig wären die Erkennt­nisse natür­lich nicht nur für die Mul­ti­ple Skle­rose, son­dern auch für Pati­en­ten mit ande­ren neu­ro­de­ge­nera­ti­ven Erkran­kun­gen wie Demenz oder M. Par­kin­son. Leut­me­zer dazu: „Bis­lang han­delt es sich aber nur um expe­ri­men­telle Ansätze, sodass es noch einige Jahre dau­ern wird, bis The­ra­pien in diese Rich­tung ver­füg­bar sein werden“. 

Eine wich­tige Neue­rung ist Enzin­ger zufolge, dass die Viel­zahl der ver­füg­ba­ren Prä­pa­rate nun nach ihrer Wirk­stärke in drei Grup­pen ein­ge­teilt wird. „In Zukunft wird man ver­su­chen, die The­ra­pie­ziele mit den Pati­en­ten schon sehr früh fest­zu­le­gen und den Grad der Akti­vi­tät der Erkran­kung so ein­zu­stu­fen, dass man rasch zu einer hoch effi­zi­en­ten The­ra­pie kommt.“ Bei mil­de­ren Ver­läu­fen kön­nen Sub­stan­zen ein­ge­setzt wer­den, die etwas weni­ger wirk­sam, dafür aber auch mit weni­ger Neben­wir­kun­gen ver­bun­den sind. „Vie­les davon wird schon in der Pra­xis durch­ge­führt, aller­dings wird mit der neuen Leit­li­nie in den deutsch­spra­chi­gen Län­dern ein Regel­werk zur Ver­fü­gung ste­hen, das rela­tiv stan­dar­di­siert ange­wen­det wird und das regel­mä­ßige MRT-Kon­trol­len vor­sieht, um etwa­ige resi­du­elle Krank­heits­ak­ti­vi­tät zu erfas­sen“, resü­miert Enzinger.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 22 /​25.11.2019