Schul­ter- und Ell­bo­gen­im­plan­tate: Low-grade-Infek­tio­nen auf dem Vormarsch

25.10.2019 | Medizin


Da sich Low-grade-Infek­tio­nen erst rela­tiv spät – häufig erst ein Jahr nach der Implan­ta­tion – mani­fes­tie­ren, wer­den sie oft gar nicht erkannt oder zunächst falsch behan­delt. Noch dazu ist die kli­ni­sche Mani­fes­ta­tion unty­pisch, da die klas­si­schen Sym­ptome einer Infek­tion feh­len. Im Vor­der­grund steht die schmerz­haft eingeschränkte Bewegungsfähigkeit.


Die soge­nann­ten Low-grade-Infek­tio­nen stel­len in der Schul­ter- und Ell­bo­gen­chir­ur­gie eine beson­dere Entität dar. „Ihre Bedeu­tung wird zuneh­mend wich­ti­ger“, erklärt Priv. Doz. Rohit Arora von der Universitätsklinik für Unfall­chir­ur­gie Inns­bruck. Dem­nach liegt die mitt­lere Infek­ti­ons­rate für ana­to­mi­sche Schul­ter­pro­the­sen den Anga­ben in der Lite­ra­tur zufolge bei 1,3 Pro­zent, bei inver­sen Pro­the­sen bei 2,8 Pro­zent und bei Ell­bo­gen­pro­the­sen bei 1,1 Pro­zent. Low-grade-Infek­tio­nen sind pro­ble­ma­tisch, da sie sich rela­tiv spät – häufig erst ein Jahr nach der Implan­ta­tion – manifestieren. 

Meis­tens ist ein mul­ti­fak­to­ri­el­les Gesche­hen ursächlich, wel­ches das Immun­sys­tem des Pati­en­ten, Grund­er­kran­kun­gen und andere Pro­bleme wie Infek­tio­nen im Bereich des Zah­nes oder des Magen-Darm-Trakts ein­schließt, die dann streuen. Außer­dem ist die kli­ni­sche Mani­fes­ta­tion von Low-grade-Infek­tio­nen unty­pisch, da die klas­si­schen Sym­ptome einer Infek­tion wie Überwärmung und Rötung meist feh­len. Statt­des­sen steht die schmerz­haft eingeschränkte Beweg­lich­keit nach einem anfänglich bes­se­ren kli­ni­schen Ergeb­nis im Vor­der­grund. Radio­lo­gisch wird unter ande­rem auch eine früh­zei­tige Pro­the­sen­lo­cke­rung sicht­bar. „Die Low-grade-Infek­tio­nen haben einen sehr hohen Stel­len­wert, weil sie oft nicht erkannt oder falsch behan­delt wer­den“, weiß Priv. Doz. Mathias Glehr von der Universitätsklinik für Orthopädie und Orthopädische Chir­ur­gie Graz. Und wei­ter: „Wahr­schein­lich gibt es eine sehr hohe Dun­kel­zif­fer an Low-grade-Infek­ten, die nie­mals dia­gnos­ti­ziert wer­den und die erst als Locke­rung der Pro­these sym­pto­ma­tisch werden.“ 

Low-grade-Infek­tio­nen ent­ste­hen vor­wie­gend bei Pati­en­ten, deren All­ge­mein­zu­stand in irgend­ei­ner Weise geschwächt ist. „Das Immun­sys­tem eines jun­gen, akti­ven, gesun­den Pati­en­ten kann zum Bei­spiel mit einem Zahn­keim oder mit einer ande­ren Grund­er­kran­kung so gut umge­hen, dass es nicht zu einer Infek­tion im Bereich der Pro­these kommt“, weiß Arora. Ein alter, geschwächter Pati­ent mit diver­sen Grund­er­kran­kun­gen hat vom Immun­sys­tem her hin­ge­gen nicht die not­wen­di­gen Reser­ven, aus­rei­chend gegen den Infekt anzukämpfen, sodass die­ser sich in der Pro­these niederschlägt. 

Der Keim­nach­weis ist Arora zufolge in den meis­ten Fällen nicht ein­fach, sodass Anae­ro­bier­kul­tu­ren mit beson­de­ren Kul­tur­me­dien (Thio­gly­co­lat) für einen Keim­nach­weis ange­legt wer­den müs­sen. Bei den häufigsten nied­rig patho­ge­nen Kei­men, die für Low-grade-Infek­tio­nen ver­ant­wort­lich sind, han­delt es sich um Sta­phy­lo­coc­cus epi­der­mi­dis, Coagu­lase-nega­tive Sta­phy­lo­kok­ken, Cory­ne­bac­te­rium spe­cies, Bacil­lus spe­cies und Pro­pio­ni­bac­te­rium acnes. „Gerade bei den Low-grade-Infek­tio­nen geht man aber davon aus, dass in 20 Pro­zent aller Fälle – obwohl ein Keim vor­han­den ist und die Pro­these punk­tiert wurde – der Keim nicht kul­ti­vier­bar ist und des­halb auch nicht erkannt wird“, weiß Glehr. 

Prä­dis­po­nie­rende Faktoren

Die Dia­gnos­tik zur Erken­nung von Low-grade-Infek­tio­nen an einer Pro­these umfasst labor­che­mi­sche, radio­lo­gi­sche und kli­ni­sche Para­me­ter sowie die Berück­sich­ti­gung von prädisponierenden Risi­ko­fak­to­ren. Prädisponierende Fak­to­ren für die Ent­ste­hung des Infekts sind hohes Alter (über 80 Jahre), Dia­be­tes mel­li­tus, rheu­ma­to­ide Arthri­tis, bereits implan­tierte Endo­pro­the­sen (Hüfte, Knie), vor­aus­ge­gan­gene Ein­griffe am Schul­ter­ge­lenk, Hautläsionen, ein schlech­ter Ernährungszustand sowie intra­ve­nö­ser Dro­genab­usus. Beson­ders gefährdet sind laut Glehr auch onko­lo­gi­sche Pati­en­ten, immun­sup­p­ri­mierte Pati­en­ten, Pati­en­ten mit immun­mo­du­la­to­ri­scher Medi­ka­tion sowie mit einer schlech­ten Nie­ren- oder Leber­funk­tion. Im Rah­men des Blut­bil­des kön­nen Para­me­ter wie CRP, Leu­ko­zy­ten, Pro­cal­ci­to­nin und das Interleukin‑6 auf ein infek­tiö­ses Gesche­hen hin­deu­ten. Wei­tere Hin­weise lie­fern die Punk­tion des Gelenks für die his­to­lo­gi­sche Unter­su­chung oder die Posi­tro­nen-Emis­si­ons-Tomo­gra­phie in Kom­bi­na­tion mit der Com­pu­ter­to­mo­gra­phie zur Detek­tion von Ent­zün­dungs­her­den. „Bei Ver­dacht auf eine Low-grade-Infek­tion wäre es grundsätzlich wich­tig, vor der Explan­ta­tion eine drei­ma­lige Punk­tion zur Keim­ge­win­nung durch­zu­füh­ren“, erklärt Glehr. Ist dann noch immer kein Keim vor­han­den, muss die Pro­these bei der Ope­ra­tion soni­fi­ziert wer­den. Durch die Soni­fi­ka­tion der Pro­these und damit dem Lösen der Bak­te­rien aus dem Bio­film­ver­band ist die Wahr­schein­lich­keit höher, dass man die­sen Keim anzüch­ten und ein Bio­gramm erstel­len kann, um ihn dann suf­fi­zi­ent zu behan­deln, so
der Experte.

Bei Vor­han­den­sein einer chro­ni­schen Low-grade-Infek­tion geht man davon aus, dass ein Bio­film vor­liegt, sodass das Implan­tat explan­tiert wer­den muss. Alter­na­tiv ist nur das Anle­gen einer Fis­tel mög­lich, wenn das Implan­tat belas­sen wer­den soll, was aber mit nega­ti­ven Effek­ten der Fis­tel wie regelmäßigem Ver­bands­wech­sel und einem rela­tiv auf­wen­di­gen Hygie­ne­ma­nage­ment ver­bun­den ist. Bei der Explan­ta­tion selbst unter­schei­det man zwi­schen dem ein­zei­ti­gen und dem zwei­zei­ti­gen Vor­ge­hen. Bei einem ein­fa­chen Keim­spek­trum und einer ver­schlos­se­nen Wunde ist das ein­zei­tige Vor­ge­hen und damit die sofor­tige Implan­ta­tion einer Pro­these mög­lich. „Bei kom­ple­xe­ren, mul­ti­re­sis­ten­ten oder schwer the­ra­pier­ba­ren Kei­men wird hin­ge­gen emp­foh­len, eine Spa­cer-Pro­these anzu­le­gen, also ein Platz­hal­ter mit Anti­bio­tika-aug­men­tier­tem Zement, und zumeist Short-time nach zwei bis maximal sechs Wochen eine Revi­si­ons­pro­these zu implan­tie­ren“, erklärt Glehr. Die Ver­wen­dung von loka­len Anti­bio­tika wie imprägnierten Kno­chen­chips, Anti­bio­tika ver­setz­tem, resor­bier­ba­rem Zement oder oberflächlich zusätzlich mit Anti­bio­tika beschich­te­tem Zement ist bei der Implan­ta­tion einer Revi­si­ons­pro­these essen­ti­ell. Den Aus­sa­gen von bei­den Exper­ten zufolge ist es wich­tig, schnell zu reagie­ren, wenn Pati­en­ten mit einem pro­the­ti­schen Ersatz Schmer­zen, Fie­ber oder andere Ent­zün­dungs­zei­chen haben. „Bei lie­gen­der Pro­these, gerade bei Risi­ko­pa­ti­en­ten, sollte auch bei klei­nen Infek­ti­ons­her­den wie im Hals-Nasen-Ohren-Bereich, in der Lunge oder am Zahn zeit­nah eine anti­bio­ti­sche Abschir­mung ver­an­lasst wer­den“, so Glehr.

Dass Low-grade-Infek­tio­nen nie ganz ver­mie­den wer­den kön­nen, darin sind sich beide Exper­ten einig. Neben der hämatogenen Streu­ung, die bei der Ent­wick­lung von Low-grade-Infek­tio­nen von größ­ter Bedeu­tung ist, kann sich auch bei der Primärimplantation ein Keim fest­set­zen, meh­rere Jahre in einem Bio­film auf der Pro­these über­dau­ern und erst später sym­pto­ma­tisch wer­den, so Glehr. Wei­tere typi­sche Infek­ti­ons­quel­len sind beher­dete Zähne, Infek­tio­nen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich oder sons­tige Infek­ti­ons­herde im Kör­per. „Natür­lich gibt es stan­dar­di­sierte Ver­fah­ren wie die präoperative Abklärung des Zahn­sta­tus bei einer geplan­ten Pro­these“, so Arora. Bei Frak­tu­ren oder Unfällen bei­spiels­weise ist das im Vor­feld jedoch nicht mög­lich. „In den letz­ten Jah­ren ist auch hier gerade der Darm in den Fokus vie­ler Unter­su­chun­gen gerückt, weil ange­nom­men wird, dass durch eine feh­lende Darm­bar­riere Keime in die Blut­bahn gelan­gen und sich auf der Pro­these fest­set­zen kön­nen“, erklärt Glehr. Obwohl in der Orthopädie durch indi­vi­du­ell adap­tierte The­ra­pie­sche­mata große Fort­schritte erzielt und bes­sere Ergeb­nisse bei peri­pro­the­ti­schen Infek­tio­nen erreicht wer­den, wird das gene­relle Out­come nicht bes­ser. „Ins­ge­samt ist unser Out­come noch immer gleich, obwohl wir unsere Behand­lungs­sche­mata und unsere Vor­ge­hens­weise in den letz­ten Jah­ren deut­lich opti­miert haben. Schuld daran sind vor allem Low-grade-Infek­tio­nen, die immer häufiger wer­den und die Zunahme der nur schwer zu behan­deln­den Keime“, unter­streicht Glehr. (LSc)

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2019