Raynaud-Phänomen: Ursache abklären

15.12.2019 | Medizin


Beim Raynaud-Phänomen geht es vor allem darum, zugrundeliegende Erkrankungen festzustellen. So findet sich bei 60 Prozent der über 60- jährigen Betroffenen eine Arteriosklerose als Ursache. Rund 50 Prozent aller Arbeiter an vibrierenden Maschinen erleiden Vibrationstraumata. Bei den Medikamenten, die ein Raynaud-Syndrom auslösen oder verstärken, stehen Betablocker
an erster Stelle.
Irene Mlekusch

Wenn Patienten, vornehmlich junge Frauen, über ein Abblassen der Fingerspitzen oder der gesamten Finger klagen, aber auch, wenn nur einzelne Finger betroffen sind, sollte man an ein Raynaud-Phänomen denken”, erklärt Univ. Prof. Marianne Brodmann von der  Klinischen Abteilung für Angiologie an der Universitätsklinik in Graz. Die Prävalenz für das Raynaud-Phänomen schwankt stark und wird je nach geographischer Lage mit bis zu 20 Prozent angegeben. Frauen sind generell wesentlich häufiger betroffen als Männer. Obwohl die Erstmanifestation oft schon in jungen Jahren auftritt, gilt die Prävalenz für alle Altersgruppen als relativ konstant. „Die anfallsartigen vasospastischen Ischämien der Akren führen zu Blässe, Blauverfärbung und post-ischämischer Hyperämie mit Rötung”, beschreibt Univ. Prof. Michael Gschwandtner von der Klinischen Abteilung für Angiologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin II in Wien. Diese Abfolge wird als Tricolore-Phänomen bezeichnet, tritt aber nicht unbedingt bei jedem Patienten auf. Etwa ein Drittel der Patienten mit primärem Raynaud-Phänomen und zwei Drittel aller Patienten mit sekundärem Raynaud-Phänomen im Zusammenhang mit einer systemischen Sklerose zeigen die klassischen Farbveränderungen. Es sind sowohl mono- als auch biphasische Attacken möglich. Die scharf begrenzten Farbveränderungen beginnen an der Fingerspitze und breiten sich weiter aus, allerdings nicht proximal des Grundgelenks. Zusätzlich kann es während einer Attacke auch zu Hypästhesien, Dysästhesien, Schmerzen und Taubheitsgefühlen kommen.

Das Raynaud-Phänomen ist nicht auf die Finger beschränkt, da bei etwa 20 Prozent der Betroffenen auch die Zehen mitbetroffen oder selten sogar isoliert betroffen sind. Die Vasospasmen können ebenso im Bereich der Ohren, Nase, Zunge, der Knie oder im Bereich von Brustwarzen und Skrotum auftreten. Die ischämische Phase dauert bis zu 20 Minuten und die Patienten beschreiben oft ein generelles Kältegefühl oder Kälteschauer. Als Reaktion auf Kälte kann sich außerdem eine Livedo reticularis zeigen.

Abgrenzung primär vs. sekundär

Jeder Patient mit einem Raynaud-Phänomen sollte sorgfältig untersucht werden, um das primäre Raynaud-Phänomen vom sekundären abzugrenzen. Bei der primären Form handelt es sich um eine funktionelle reversible Störung mit symmetrischem Vasospasmus. Gschwandtner nennt folgende prädisponierende Faktoren beim primären Raynaud-Phänomen: weibliches Geschlecht, niedriger BMI, Hypotonie, positive Familienanamnese, Leben in kalten Regionen oder exponiertes Arbeiten und Nikotinabusus. „Nikotinkonsum ist prinzipiell für die Gefäße sehr schädlich,” betont Brodmann und verweist darauf, dass es im Fall eines Raynaud-Phänomens die Gefäßspastizität erhöht. Bei zugrundeliegendem Gefäßverschluss fördert der Nikotinkonsum wie bei den Beinarterien das Auftreten von Ulzera auch an den Fingern. Trophische Veränderungen finden sich beim primären Raynaud-Phänomen in der Regel nicht; sollten solche vorliegen, muss nach einer zugrundeliegenden Ursache geforscht werden. „Da der Vasospasmus aufgrund erhöhter Kälteempfindlichkeit erfolgt, es aber nicht zu einer fixierten Minderdurchblutung kommt, die in weiterer Folge zu einem Gefäßverschluss führt, entstehen auch keine Nekrosen an den Fingern”, fasst Brodmann zusammen.

Im Allgemeinen sind Patienten mit einem primären Raynaud-Phänomen üblicherweise gesund. Zu den Komorbiditäten, die die Anfälle beim primären Raynaud-Phänomen verstärken können, zählen Hypertonie, Arteriosklerose, kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes mellitus. Die Daumen bleiben beim primären Raynaud-Phänomen meist ausgespart. Die Attacken werden entweder durch Kälte-Exposition oder emotionalen Stress ausgelöst; spontane Remissionen sind möglich. Gschwandtner gibt zu bedenken, dass die jährliche Transition vom primären zum sekundären Raynaud-Phänomen etwa ein Prozent beträgt.

Beim sekundären Raynaud-Phänomen besteht eine kausale Verbindung zu einer Grundkrankheit, Medikamenteneinnahme oder einem mechanischem Auslöser. Verdächtig für die sekundäre Form ist das erstmalige Auftreten nach dem 40. Lebensjahr, Anfälle bei Männern, sehr schmerzhafte Attacken mit Anzeichen von Ischämie und Ulzera, asymmetrische Anfälle oder Symptome anderer Erkrankungen. Auch bei sehr schweren Anfällen von sehr jungen Kindern, sollte eine Bindegewebserkrankung ausgeschlossen werden. „Das sekundäre Raynaud-Syndrom findet sich häufig bei rheumatologischen Erkrankungen, Arteriosklerose, Nervenerkrankungen, Krebserkrankungen Diabetes mellitus sowie als Nebenwirkung von verschiedenen Medikamenten, Chemikalien, vibrierenden Maschinen oder bei Schäden durch Erfrierungen”, sagt Gschwandtner. Viele Kollagenosen wie Sklerodermie, Systemischer Lupus erythematodes, Dermatomyositis oder das Sjörgen-Syndrom gehen mit einem Raynaud-Phänomen einher. Die frühe Diagnose eines Raynaud-Phänomen ermöglicht somit auch die frühzeitige Erkennung einer zugrundeliegenden Bindegewebserkrankung, da das Raynaud-Phänomen bei Patienten mit Sklerodermie in mehr als 90 Prozent der Fälle ein initiales Symptom darstellt.

Von den Medikamenten, die als Auslöser oder Verstärker für ein Raynaud-Phänomen in Frage kommen, stehen Betablocker an erster Stelle. Als weitere Substanzen die die sekundäre Form auslösen können, gelten Ergotamine, Sympathomimetika, Amphetamine, Interferone, Zytostatika, Kokain, Nikotin, Polyvinylchlorid und Arsen. Cirka 50 Prozent aller Arbeiter an vibrierenden Maschinen erleiden Vibrationstraumata, die zu einem sekundären Raynaud-Phänomen in Form des Vibration-White-Finger-Syndrom führen. Das Hypothenar-Hammer-Syndrom, ein Thoracic-Outlet-Syndrom oder Karpaltunnelsyndrom gelten ebenfalls als mögliche Ursachen der sekundären Form, außerdem auch einige Infektionen wie zum Beispiel Parvovirus B19, Cytomegalovirus, Hepatitis B und C. Dagegen findet sich bei etwa 60 Prozent der über 60-jährigen Patienten mit einem Raynaud-Syndrom als Ursache eine Arteriosklerose. Auch bariatrische Operationen werden als Auslöser für das Raynaud-Phänomen diskutiert. Prinzipiell ist eine multifaktorielle Genese ebenfalls möglich, so dass die Aufklärung eines Auslösers nicht unbedingt  einen weiteren ausschließt.

Differentialdiagnosen sind Akrozyanose, übermäßige Kälteempfindlichkeit ohne Hautveränderungen, Erfrierungen, externe Kompression der Gefäße, periphere Neuropathie, ein komplexes regionales Schmerzsyndrom, okklusive Erkrankungen, paroxysmales Fingerhämatom, aber auch das Achenbach-Syndrom und Erythromelalgie.

Anamnese und klinische Untersuchung

Eine zielgerichtete Anamnese und sorgfältige klinische Untersuchung sind grundlegend für eine weitere apparative Diagnostik. Die Dauer und Häufigkeit der Attacken sollte dabei ebenso erhoben werden wie deren Erstmanifestation und die Medikamenten-Anamnese. Ergänzend zur klinischen Untersuchung der Haut auf trophische Veränderungen ist die Pulspalpation unerlässlich. Liegt beispielsweise eine irreversible Livedo reticularis vor, besteht der Verdacht auf ein sekundäres Raynaud-Phänomen mit einem Antiphospholipid-Syndrom, einer Vaskulitis, Kälteagglutininen oder einer peripheren vaskulären Erkrankung als Ursache. Brodmann sieht in der akralen Puls-Oszillographie bei Raumtemperatur mit Kälte- und nachfolgender Wärmeprovokation eine wichtige Untersuchung: „Somit kann eine fixierte Minderdurchblutung, das heißt ein zugrundeliegender Gefäßverschluss, ausgeschlossen beziehungsweise bestätigt werden.” Gschwandtner nennt die Kapillarmikroskopie als wichtigen Schritt in der Raynaud-Diagnostik, um Kollagenosen als Ursachen
für das sekundäre Raynaud-Syndrom frühzeitig festzustellen. „Eine pathologische Kapillarmikroskopie ist neben antinukleären Antikörpern der beste Prädiktor für die Transition zum sekundären Raynaud-Syndrom,” so Gschwandtner. Bei Verdacht auf ein sekundäres Raynaud-Phänomen wird die Diagnostik durch labormedizinische Blutuntersuchungen ergänzt, um hämatologische Erkrankungen, eine Hypothyreose, inflammatorische Prozesse und Kollagenosen auszuschließen. Trotz der hohen Spezifität der antinukleären Antikörper sollte die Diagnosestellung immer in Zusammenschau von Klinik, Kapillarmikroskopie und serologischer Untersuchung erfolgen.

Die initale Behandlung beim Raynaud-Phänomen beginnt mit der Aufklärung des Patienten und der Vermeidung von Triggerfaktoren. „Wichtig ist die Aufklärung beim primären Raynaud-Syndrom, um den meist jungen Menschen die Sorge zu nehmen”, verdeutlicht Gschwandtner. Ziel der Therapie sollte es sein, die individuelle Lebensqualität zu verbessern und beim sekundären Raynaud-Phänomen vor allem Gewebsverluste zu vermeiden. Gschwandtner nennt als allgemeine Maßnahmen das Vermeiden von Kälte, Nässe und Verletzungen, das Tragen von geeigneter Kleidung, Nikotinabstinenz und eventuell eine Umstellung der Medikamente. Taschenwärmer sowie beheizbare Handschuhe und Schuheinlagen können vor allem in kalten Jahreszeiten Anfälle verringern. Außerdem sollten die Betroffenen sich generell warm halten und vasokonstriktive Pharmaka vermeiden. Psychischen Stress gilt es weitestgehend zu reduzieren und individuell angepasste Entspannunsgstrategien einzusetzen.

Medikamentöse Therapie möglich

Patienten, die auf allgemeine Maßnahmen allein und gegebenenfalls die Behandlung der Grunderkrankung beim sekundären Raynaud-Phänomen nicht ausreichend ansprechen, benötigen eine medikamentöse Therapie. Kalziumantagonisten wie Nifedipin und Amlodipin können bei beiden Formen die Anfallshäufigkeit und die Schwere der Attacken reduzieren. Aufgrund der zahlreichen Nebenwirkungen der Substanzen und der Tatsache, dass einige Patienten auf die Therapie schlecht oder gar nicht ansprechen, wird die Behandlung oft wieder abgesetzt. Ein Therapieversuch mit Phosphodiesterase Typ 5-Inhibitoren wie Sildenafil kann ebenso unternommen werden wie der Einsatz von Nitrosalben. Allerdings sollten diese Substanzen nicht kombiniert werden, um eine Hypotonie zu vermeiden. „Nitrosalben werden international häufiger verwendet. Sildenafil sollte nur bei Ulcera zum Einsatz kommen und wird in der Regel kaum von der Kasse ersetzt”, betont Gschwandtner. Auch die Einnahme von  Fluoxitin kann zu einer signifikanten Reduktion von Anzahl und Dauer der Anfälle führen, wobei eine gleichzeitig vorliegende Depression mitbehandelt wird. Des Weiteren können Behandlungsversuche mit dem Angiotensin-II-Rezeptorblocker Losartan unternommen werden. „Bei Nekrosen finden Prostanoide, Phosphodiesterasehemmer und Endothelinrezeptorantagonisten Verwendung”, sagt Gschwandtner. Brodmann sieht Hoffnung in Therapieansätzen der zugrundeliegenden Erkrankungen wie zum Beispiel bei der Sklerodermie, die sich auch auf die beteiligten Gefäße auswirken.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2019