Meno­pause und Harn­in­kon­ti­nenz: Risi­ko­fak­tor Alter

25.11.2019 | Medizin


Bis zu 15 Pro­zent aller Frauen – und zwar in jeder Alters­gruppe – lei­den an Harn­in­kon­ti­nenz. Ent­ge­gen bis­he­ri­ger Annah­men steigt die Häu­fig­keit von Harn­in­kon­ti­nenz wäh­rend der Meno­pause nicht an, son­dern es kommt eher zu einer Abfla­chung. Beson­ders bei älte­ren Frauen kann die Ein­nahme von bestimm­ten Medi­ka­men­ten eine Inkon­ti­nenz auslösen. 

Mit einer Prä­va­lenz von 15 Pro­zent bei Frauen aller Alters­grup­pen gehört die Harn­in­kon­ti­nenz zu den häu­figs­ten Krank­hei­ten über­haupt und wird dafür zu wenig beach­tet“, betont Univ. Prof. Engel­bert Han­zal von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Frau­en­heil­kunde in Wien. Dadurch könne die Lebens­qua­li­tät der Betrof­fe­nen extrem ein­ge­schränkt sein. Wich­tigs­ter Risi­ko­fak­tor dabei ist das Alter: Wäh­rend in jün­ge­ren Alters­grup­pen etwa sechs Pro­zent betrof­fen sind, erreicht die Harn­in­kon­ti­nenz bei den älte­ren Frauen Werte von bis zu 31 Pro­zent. Im Gegen­satz zu der bis­he­ri­gen Annahme, dass es durch die Meno­pause zu einem Anstieg kommt, zeig­ten reprä­sen­ta­tive Stu­dien eher eine Abfla­chung und eine Prä­va­lenz von etwa 20 Pro­zent, so Han­zal. „Die zwei häu­figs­ten For­men der Harn­in­kon­ti­nenz in der Meno­pause sind die Belas­tungs- oder Stres­sin­kon­ti­nenz und die Urge- oder Dran­gin­kon­ti­nenz bezie­hungs­weise über­ak­tive Blase, die circa 80 Pro­zent des Gesamt­spek­trums prä­sen­tie­ren“, erklärt Univ. Prof. Lukas Lus­uardi von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Uro­lo­gie und Andro­lo­gie in Salz­burg. Reflex-Inkon­ti­nenz, extrau­rethr­ale Inkon­ti­nenz oder Misch­for­men kom­men zwar auch vor, jedoch nicht so häu­fig. Von der nas­sen über­ak­ti­ven Blase (over­ac­tive blad­der; OAB wet) ist die tro­ckene Form (OAB dry) abzu­gren­zen, bei der zwar ein stän­di­ger, nicht unter­drück­ba­rer Harn­drang besteht, die Betrof­fe­nen es aber noch auf­grund ihrer erhal­te­nen Becken­bo­den­mus­ku­la­tur recht­zei­tig zur Toi­lette schaffen.

Schwer­wie­gende Ursa­chen ausschließen

Die dia­gnos­ti­schen Schritte sind „sehr ein­fach“ (Han­zal) gehal­ten und die­nen dem Aus­schluss (sel­te­ner) schwe­rer Erkran­kun­gen als Inkon­ti­nenz­ur­sa­che sowie der Ermitt­lung der Inkon­ti­nenz­form. Die Basis­dia­gnos­tik umfasst eine aus­führ­li­che Ana­mnese, die kli­ni­sche Unter­su­chung, einen Harn­be­fund, eine Rest­harn­be­stim­mung und das Bla­sen­ta­ge­buch. Im Rah­men einer geziel­ten Ana­mnese wird erfragt, in wel­chen Situa­tio­nen die Betrof­fe­nen den Harn ver­lie­ren. Ist der Harn­ver­lust mit einem star­ken, schwer unter­drück­ba­ren Harn­drang ver­bun­den, liegt ver­mut­lich eine über­ak­tive Blase vor. Die Häu­fig­keit der Inkon­ti­nenz-Epi­so­den ist ein robus­ter Mar­ker für die Stärke des Harn­ver­lus­tes, anhand des­sen man auch einen The­ra­pie­er­folg able­sen kann. Außer­dem ist es wich­tig, die Medi­ka­men­ten­ein­nahme zu erfra­gen, da viele Phar­maka die Inkon­ti­nenz ver­schlech­tern oder sogar aus­lö­sen kön­nen wie zum Bei­spiel Hyper­ten­siva, Diure­tika oder Hor­mon­er­satz­prä­pa­rate. „Beson­ders bei älte­ren Frauen kommt es nicht sel­ten zu Wech­sel­wir­kun­gen durch Poly­phar­ma­zie“, betont Hanzal. 

Die kli­ni­sche Unter­su­chung und der Harn­be­fund die­nen dem Aus­schluss einer Mikro­hä­ma­tu­rie, neu­ro­lo­gi­schen Erkran­kun­gen sowie von Bla­sen­stei­nen, Bla­sen­tu­mo­ren und Harn­wegs­in­fek­ten. Dar­über hin­aus äußern sich akute Bla­sen­ent­zün­dun­gen im höhe­ren Alter nicht mehr durch die klas­si­sche Sym­pto­ma­tik, son­dern ver­mehrt über Schmerz und Zei­chen einer über­ak­ti­ven Blase. „Die ein­fa­che Harn­ana­lyse ist wich­tig, da wir genau wis­sen, dass sich hin­ter eini­gen Fäl­len von Dran­gin­kon­ti­nenzen Bla­sen­tu­more ver­ste­cken, die häu­fig ver­schleppt wer­den“, betont Lus­uardi. Durch die späte Ent­de­ckung haben Bla­sen­kar­zi­nome bei Frauen gene­rell eine schlech­tere Pro­gnose. Die Sono­gra­phie vor und nach der Mik­tion ermög­licht die Bestim­mung einer chro­ni­schen Rest­harn­bil­dung. „Ein Mik­ti­ons­ta­ge­buch mit Auf­zeich­nung der Urin- und Trink­men­gen mit der jewei­li­gen Uhr­zeit hilft nicht nur, die Harn­bla­sen­ka­pa­zi­tät, son­dern auch das poten­ti­elle Vor­lie­gen eines Dia­be­tes mel­li­tus ein­zu­schät­zen“, so Lus­uardi. Die The­ra­pie der Harn­in­kon­ti­nenz ori­en­tiert sich am Behand­lungs­wunsch der Pati­en­tin und dem Schwe­re­grad der Harn­in­kon­ti­nenz. „Die wich­tigste kon­ser­va­tive The­ra­pie ist die Phy­sio­the­ra­pie mit dem Becken­bo­den­trai­ning. Die­ses ist für alle Inkon­ti­nenz­for­men wirk­sam. Die Erfolgs­quote liegt bei 50 bis 60 Pro­zent“, weiß Han­zal. „Auch wenn es spä­ter zu einer Ope­ra­tion kom­men sollte, pro­fi­tiert jeder Chir­urg von einer stär­ke­ren Becken­bo­den­mus­ku­la­tur“, ergänzt Lus­uardi. Des­halb sei das Becken­bo­den­trai­ning im Rah­men der Phy­sio­the­ra­pie als erste Maß­nahme so wich­tig. Bei Über­ge­wicht kann eine Gewichts­re­duk­tion ziel­füh­rend sein. Eine lokale Östro­gen­the­ra­pie (östro­gen­hal­tige Salbe, vagi­nale Zäpf­chen) kann die Durch­blu­tung der Harn­röhre und der Vagina wesent­lich ver­bes­sern, wodurch die Schleim­häute weni­ger vul­nerabel sind und im Fall einer Ope­ra­tion bes­ser aus­hei­len. Im Gegen­satz zur loka­len Östro­gen­the­ra­pie habe sich die sys­te­mi­sche Hor­mon­er­satz­the­ra­pie in ran­do­mi­sier­ten Stu­dien als kon­tra­pro­duk­tiv erwie­sen, da sie in der Peri- und Post­me­no­pause ent­ge­gen bis­he­ri­ger Annah­men zu einer Ver­schlech­te­rung der Harn­in­kon­ti­nenz führe, weiß Han­zal. Medi­ka­men­töse The­ra­pie­op­tio­nen gibt es in ers­ter Linie für die über­ak­tive Blase, wobei Para­sym­pa­thik­oly­tika bezie­hungs­weise Anti­cho­li­ner­gika oder Sym­pa­thi­ko­mime­tika ein­ge­setzt wer­den. „Es han­delt sich um eine medi­ka­men­töse Lang­zeit­the­ra­pie mit allen Vor- und Nach­tei­len“, betont der Experte. Wird das Medi­ka­ment abge­setzt, wird die Sym­pto­ma­tik in der Regel wie­der schlim­mer. Mit­un­ter kön­nen unan­ge­nehme Neben­wir­kun­gen auf­tre­ten – bei Anti­cho­li­ner­gika vor allem Mund­tro­cken­heit, bei Sym­pa­thi­ko­mime­tika ein Anstieg des Blut­drucks. Eine Anpas­sung der Trink­men­gen kann die The­ra­pie der Harn­in­kon­ti­nenz eben­falls unter­stüt­zen. Aus der Pra­xis weiß Han­zal, dass einige Pati­en­tin­nen mehr als drei Liter Flüs­sig­keit täg­lich zu sich neh­men, was auf die emp­foh­lene Min­dest­menge von 1,5 bis zwei Liter pro Tag ohne Nach­teile für die Gesund­heit redu­ziert wer­den kann. Ring- oder Scha­len­pes­sare wer­den in der Regel vor allem bei Pati­en­tin­nen mit Becken­or­gan­pro­laps ein­ge­setzt und stel­len eine wich­tige Ergän­zung kon­ser­va­ti­ver Maß­nah­men dar. Durch Schu­lun­gen zur Selbst­hand­ha­bung kön­nen nach­tei­lige Effekte wie vagi­nale Infek­tio­nen und Druckul­cera deut­lich redu­ziert wer­den.

Bän­der­ope­ra­tio­nen sind Gold­stan­dard

„Die Bän­der­ope­ra­tio­nen sind seit Jah­ren Gold­stan­dard und wer­den mitt­ler­weile auch in fast jeder uro­lo­gi­schen Abtei­lung tages­kli­nisch durch­ge­führt“, erklärt Lus­uardi. In den letz­ten zehn Jah­ren ist vor allem die Sta­tik und damit die Repo­si­tio­nie­rung der Organe mehr in den Fokus gerückt. Der Ein­satz von daVinci-Ope­ra­ti­ons­ro­bo­tern in die­sem Bereich bie­tet laut dem Exper­ten große Vor­teile und hat sich als leich­ter und kom­pli­ka­ti­ons­är­mer im Ver­gleich zur Stan­dard-Lapa­ro­sko­pie erwie­sen. Eine andere Behand­lungs­me­thode, die einen klei­nen ope­ra­ti­ven Ein­griff erfor­dert, ist die sakrale Neu­ro­mo­du­la­tion, bei der ein Bla­sen­schritt­ma­cher implan­tiert wird, der den Mus­cu­lus detru­sor vesi­cae „rela­tiv ver­läss­lich über elek­tri­sche Modu­la­tion der Sakral­ner­ven beru­higt“, so Han­zal. Für die Behand­lung der über­ak­ti­ven Blase gibt es dar­über hin­aus eine wei­tere Methode: die direkte Appli­ka­tion von Botu­li­num-Toxin in den Harn­bla­sen­mus­kel, die eine Wir­kungs­dauer von einem hal­ben Jahr erreicht. 

Die ärzt­li­che Bera­tung für oder gegen einen chir­ur­gi­schen Ein­griff erfor­dert gro­ßes Fin­ger­spit­zen­ge­fühl, betont Han­zal, da in sel­te­nen Fäl­len Kom­pli­ka­tio­nen auf­tre­ten kön­nen, über die die Pati­en­tin­nen genau auf­ge­klärt wer­den müs­sen. „Man darf auch nicht ver­ges­sen, dass die Harn­in­kon­ti­nenz etwas ist, was nicht gefähr­lich ist“, hebt der Experte her­vor. „Daher hat man immer genug Zeit, die Vor- und Nach­teile einer The­ra­pie aus­führ­lich zu bespre­chen.“ (Is)

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 22 /​25.11.2019