Leber­zir­rhose: Müdig­keit – typi­scher Schmerz

15.07.2019 | Medizin


Nicht alle Pati­en­ten mit erhöh­ten Leber­wer­ten haben auch eine Leber­zir­rhose. Daher sollte auch auf andere Para­me­ter wie etwa eine ver­min­derte Throm­bo­zy­ten­zahl, die als indi­rek­ter Para­me­ter für eine Leber­zir­rhose gilt, geach­tet wer­den. Da das zen­trale Sym­ptom der Leber­zir­rhose die Müdig­keit ist, wird sie als „typi­scher Schmerz“ der Leber bezeich­net.

Laura Scher­ber

Das Krank­heits­bild der Leber­zir­rhose resul­tiert de facto aus allen chro­ni­schen Leber­er­kran­kun­gen und wie­der­keh­ren­den Leber­schä­di­gun­gen und ist einer­seits durch die Fibrose und ande­rer­seits durch eine Funk­ti­ons­ein­schrän­kung der typi­schen Leber­auf­ga­ben wie Ent­gif­tung und Stoff­wech­sel cha­rak­te­ri­siert“, erklärt Assoc. Prof. Priv. Doz. Tho­mas Rei­ber­ger von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin III der Med­Uni Wien. Die Leber­zir­rhose ist eine häu­fige Erkran­kung in Öster­reich – mit stei­gen­der Ten­denz. Dies ist wie in den meis­ten west­li­chen Län­dern vor allem auf den Alko­hol­kon­sum, die nicht-alko­ho­li­sche Fett­le­ber­ent­zün­dung (Steato­he­pa­ti­tis oder NASH) sowie eine Virus­he­pa­ti­tis B oder C zurück­zu­füh­ren. „Bei den Pati­en­ten mani­fes­tiert sich eine Leber­zir­rhose häu­fig mit unspe­zi­fi­schen Sym­pto­men“, weiß Univ. Prof. Heinz Zol­ler von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin I an der Med­Uni Inns­bruck. „Da die Müdig­keit das zen­trale Sym­ptom ist, wird sie als der typi­sche Schmerz der Leber bezeich­net“, so Zol­ler. Wei­tere Sym­ptome sind Appe­tit­lo­sig­keit, unkla­rer Gewichts­ver­lust, Abnahme der Mus­kel­masse, Zunahme des Bauch­um­fangs, Span­nungs­ge­fühl und Ödem­nei­gung. Spe­zi­fi­schere Krank­heits­zei­chen sind der Ikte­rus, Leber­haut­zei­chen wie Spi­der naevi, Lack­lip­pen, Lack­zunge oder Trom­mel­schlä­gel­fin­ger. Zusätz­lich kommt es in den Spät­sta­dien der Leber­zir­rhose zu Aszi­tes, zum Leber­koma oder schwe­ren inne­ren Blu­tun­gen (Öso­pha­gus­va­ri­zen-Blu­tun­gen).

Stu­fen­weise Diagnostik

Bei der Dia­gnos­tik der Leber­zir­rhose ist laut Zol­ler ein stu­fen­wei­ses Vor­ge­hen zu emp­feh­len. Der erste Schritt dient dem Aus­schluss einer chro­ni­schen Virus­he­pa­ti­tis, vor allem der chro­ni­schen Virus­he­pa­ti­tis B und C. „Die zweite, sehr häu­fige Erkran­kung, die zu einer Leber­zir­rhose füh­ren kann, ist die Hämochro­ma­tose, wes­halb der Eisen­sta­tus durch die Trans­ferrin­sät­ti­gung über­prüft wer­den sollte“, erklärt Zol­ler. Die dritte zu über­prü­fende Gruppe sind Erkran­kun­gen, die mit Fett­ab­la­ge­run­gen in der Leber asso­zi­iert sind, ent­we­der bedingt durch Alko­hol oder im Rah­men der nicht-alko­ho­li­schen Steato­he­pa­ti­tis durch das meta­bo­li­sche Syn­drom. Die vierte Gruppe umfasst die auto­im­mu­nen und cho­le­sta­ti­schen Leber­er­kran­kun­gen, also die Auto­im­mun­he­pa­ti­tis sowie Auto­im­mun­erkran­kun­gen an den Gal­len­we­gen, die soge­nannte pri­mär biliäre Cho­lang­i­tis und die pri­mär skle­ro­sie­rende Cho­lang­i­tis, so der Experte.

Labor­pa­ra­me­ter erheben

Im Rah­men der Dia­gnos­tik wer­den Rei­ber­ger zufolge Labor­pa­ra­me­ter erho­ben, um Pati­en­ten mit einer höhe­ren Vor­test­wahr­schein­lich­keit für eine Leber­zir­rhose her­aus­zu­fil­tern. Her­an­ge­zo­gen wer­den nicht-inva­sive Fibro­ses­cores (FIB-4-Score, NAFLD-Fibrose-Score oder APRI-Score), Ultra­schall oder bild­ge­bende Ver­fah­ren sowie die Elas­to­gra­phie, mit der die Stei­fig­keit des Leber­ge­we­bes und damit indi­rekt auch der Fibro­se­grad gemes­sen wer­den kann. „Außer­dem kom­men labor­ba­sierte Para­me­ter wie der MELD-Score und der Child-Pugh-Score zur Pro­gno­se­ein­schät­zung zum Ein­satz; ebenso funk­tio­nelle Tests, zum Bei­spiel Atem­tests, mit denen man indi­rekt die Stoff­wech­sel­funk­tion der Leber abbil­den kann“, ergänzt Rei­ber­ger. Durch die gezielte Ana­mnese kann ein unge­sun­der Lebens­stil erho­ben wer­den: Hierzu zäh­len das Ernäh­rungs­ver­hal­ten und das Akti­vi­täts­ni­veau, der Alko­hol­kon­sum, Adi­po­si­tas und sons­tige Sym­ptome des meta­bo­li­schen Syn­droms. Gleich­zei­tig deu­ten erhöhte Labor­pa­ra­me­ter wie das Gamma-GT und GPT auf eine chro­ni­sche Leber­er­kran­kung hin. „Nicht alle Pati­en­ten mit erhöh­ten Leber­wer­ten haben auch eine Leber­zir­rhose“, betont Rei­ber­ger. Daher emp­fehle es sich, auf andere Para­me­ter wie eine nied­rige Throm­bo­zy­ten­an­zahl zu ach­ten, „die als indi­rek­ter Para­me­ter für eine Leber­zir­rhose bezie­hungs­weise einen erhöh­ten Pfort­ader­druck gilt“. Ein Pati­ent mit erhöh­ten Leber­wer­ten und ernied­rig­ter Throm­bo­zy­ten­an­zahl hat prin­zi­pi­ell eine erhöhte Vor­test­wahr­schein­lich­keit für eine Leberzirrhose.

Für die Wahl der The­ra­pie ist das Sta­ging der Erkran­kung essen­ti­ell. Hier wird der MELD-Score her­an­ge­zo­gen, der objek­tiv und repro­du­zier­bar ist und sich aus den Para­me­tern Krea­ti­nin, INR und Bili­ru­bin errech­net, so Zol­ler. „Liegt der Wert unter zwölf bis 15, spricht man von einem kom­pen­sier­ten Sta­dium der Leber­zir­rhose. Es ist dadurch cha­rak­te­ri­siert, dass kein Aszi­tes und keine Enze­pha­lo­pa­thie vor­lie­gen“, erklärt der Experte. Die dekom­pen­sierte Leber­zir­rhose ist hin­ge­gen mit dem Auf­tre­ten einer Enze­pha­lo­pa­thie, von Aszi­tes, Öso­pha­gus­va­ri­zen und/​oder Blu­tun­gen assoziiert.

Bei allen chro­ni­schen Leber­er­kran­kun­gen, die noch nicht zur Leber­zir­rhose geführt haben, zielt die The­ra­pie pri­mär dar­auf ab, den aus­lö­sen­den Fak­tor zu besei­ti­gen – das heißt etwa eine Virus­he­pa­ti­tis zu behan­deln, den patho­lo­gi­schen Alko­hol­kon­sum zu redu­zie­ren oder bei einer nicht-alko­ho­li­schen Steato­he­pa­ti­tis den zugrunde lie­gen­den Dia­be­tes mel­li­tus und die Hyper­to­nie zu behan­deln sowie die Lebens­stil-asso­zi­ier­ten Fak­to­ren zu ver­bes­sern. Die The­ra­pie rich­tet sich im All­ge­mei­nen nach dem Aus­maß der Leber­dys­funk­tion und nach der Aus­prä­gung des Pfort­ader­hoch­drucks. „Die Behand­lung der por­ta­len Hyper­ten­sion stellt einen ent­schei­den­den Bestand­teil im Manage­ment der Pati­en­ten mit Leber­zir­rhose dar“, betont Rei­ber­ger. Zum­Ein­satz kom­men vor allem nicht-selek­tive Beta­blo­cker, die Endo­sko­pie mit Gum­mi­band­li­ga­tur bei Vari­zen im Öso­pha­gus oder im Magen sowie Maß­nah­men zur Sen­kung des Ammo­niak-Spie­gels. „Bei Pati­en­ten mit Aszi­tes steht für die sym­pto­ma­ti­sche Behand­lung eine diure­ti­sche The­ra­pie im Vor­der­grund, idea­ler­weise mit Aldos­te­ron-Ant­ago­nis­ten wie zum Bei­spiel Spi­ro­no­lac­ton in Kom­bi­na­tion mit einem Schlei­fen­di­ure­ti­kum wie Furo­se­mid“, führt Zol­ler näher aus. Bei The­ra­pie-refrak­tä­ren Aszi­tes sollte die Implan­ta­tion eines trans­ju­gu­lä­ren intra­he­pa­ti­schen por­to­sys­te­mi­schen Shunts (TIPS) in Erwä­gung gezo­gen werden.

Bei der Behand­lung von Pati­en­ten mit Öso­pha­gus­va­ri­zen ist eine Blu­tungs­pro­phy­laxe indi­ziert. Dies kann pri­mär pro­phy­lak­tisch vor dem Auf­tre­ten der ers­ten Blu­tung erfol­gen, wenn große Öso­pha­gus­va­ri­zen vor­han­den sind, indem nicht-selek­tive Beta­blo­cker wie Pro­pra­no­lol oder Car­ve­di­lol ein­ge­setzt wer­den oder eine endo­sko­pi­sche Gum­mi­band­li­ga­tur. Ist es bereits zu Blu­tun­gen infolge von Öso­pha­gus­va­ri­zen gekom­men, stellt die Kom­bi­na­tion der endo­sko­pi­schen Gum­mi­band­li­ga­tur und eines nicht-selek­ti­ven Beta­blo­ckers die The­ra­pie der Wahl dar, so Zoller.

Da ein Risiko von etwa einem Pro­zent für die Ent­wick­lung eines hepa­to­zel­lu­lä­ren Kar­zi­noms besteht, sollte bei jedem Pati­en­ten mit Leber­zir­rhose alle sechs Monate eine abdo­mi­nelle Sono­gra­phie durch­ge­führt wer­den. Einige Fach­ge­sell­schaf­ten emp­feh­len zudem die regel­mä­ßige Kon­trolle des Tumor­mar­kers Alpha-Fetoprotein. 

Bei der Leber­zir­rhose muss es sich nicht zwangs­läu­fig um ein irrever­si­bles Gesche­hen han­deln. „In frü­hen Sta­dien, im All­ge­mei­nen mit einer Child-Pugh-A-Zir­rhose oder einem MELD-Score von unter zehn bis zwölf Punk­ten, kann die Leber­zir­rhose auch noch rever­si­bel sein und in frü­here oder weni­ger ver­narbte Sta­dien über­ge­hen“, erklärt Rei­ber­ger. Bei Pati­en­ten mit einer bestehen­den Leber­dys­funk­tion, das heißt mit einer Child-Pugh-B- oder Child-Pugh-C-Zir­rhose oder einem MELD-Score von über 15, ist die Erkran­kung zumeist nicht mehr voll­stän­dig heil­bar. Bei allen Pati­en­ten mit einer dekom­pen­sier­ten Leber­zir­rhose sollte über­prüft wer­den, ob eine Leber­trans­plan­ta­tion in Frage kommt, so die Exper­ten uni­sono. „Bei Pati­en­ten mit einer fort­ge­schrit­te­nen Leber­er­kran­kung, einem Child-Pug­h‑C oder MELD-Score von über 15, ist eine Leber­trans­plan­ta­tion oft die ein­zige lebens­ret­tende Maß­nahme“, weiß Reiberger.

Aller­dings kommt nicht jeder die­ser Pati­en­ten für eine Leber­trans­plan­ta­tion in Frage. Eine große Rolle spie­len laut dem Exper­ten das bio­lo­gi­sche Alter und die Com­pli­ance, also die Bereit­schaft des Pati­en­ten, sei­nen Lebens­stil zu ver­bes­sern und sei­nen Alko­hol­kon­sum ein­zu­schrän­ken. „In Öster­reich gibt es drei Trans­plant­zen­tren, an denen ins­ge­samt circa 150 Leber­trans­plan­ta­tio­nen pro Jahr durch­ge­führt wer­den“, so Rei­ber­ger. Die durch­schnitt­li­che War­te­zeit auf ein Leber­trans­plan­tat beträgt etwa sechs Monate. „Die Leber­trans­plan­ta­tion hat selbst ein Mor­ta­li­täts­ri­siko von etwa zehn Pro­zent“, erklärt der Experte: „Danach haben die Pati­en­ten aber ein exzel­len­tes Langzeit-Überleben.“

„Das Ide­al­ziel wäre natür­lich, chro­ni­sche Leber­er­kran­kun­gen zu dia­gnos­ti­zie­ren, bevor es über­haupt zur Ent­wick­lung einer Leber­zir­rhose kommt“, betont Zol­ler. Dabei geht es in ers­ter Linie darum, risi­ko­haf­ten Alko­hol­kon­sum zu erken­nen und Pati­en­ten mit einem meta­bo­li­schen Syn­drom früh­zei­tig auf das Vor­han­den­sein einer Leber­er­kran­kung zu unter­su­chen, um pro­phy­lak­tisch ein­grei­fen zu kön­nen. Durch viel­ver­spre­chende The­ra­pie­op­tio­nen lässt sich die chro­ni­sche Virus­he­pa­ti­tis gut behan­deln, die Hämochro­ma­tose durch die Ader­lass­the­ra­pie hei­len und die immu­no­lo­gi­schen Erkran­kun­gen der Leber durch eine früh­zei­tige immun­sup­pres­sive The­ra­pie güns­tig beein­flus­sen. Beim Scree­ning ist zu beden­ken, dass auch ein Alko­ho­li­ker eine chro­ni­sche Virus­he­pa­ti­tis haben kann und nicht immer das typi­sche Bild vor­lie­gen muss. „Befin­den sich Pati­en­ten bereits im zirr­ho­ti­schen Sta­dium, müs­sen sie adäqua­ten Unter­su­chun­gen und Sta­gings zuge­wie­sen wer­den, um sicher­zu­stel­len, dass Gas­tro­sko­pie und abdo­mi­nelle Sono­gra­phie in regel­mä­ßi­gen Abstän­den durch­ge­führt wer­den“, so Zol­ler abschließend.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2019