Koro­nare Herz­krank­heit: Spannungsfeld

10.03.2019 | Medizin


Kar­dio­vas­ku­läre Ereig­nisse tre­ten bei Frauen durch­schnitt­lich zehn Jahre spä­ter auf als bei Män­nern. Da nicht-inva­sive dia­gnos­ti­sche und funk­tio­nelle Unter­su­chun­gen bei Frauen unter 55 Jah­ren gene­rell weni­ger aus­sa­ge­kräf­tig sind, bewe­gen sich Exper­ten hier in einem Span­nungs­feld zwi­schen Über- und Unterbehandlung.


Frauen haben bei einem kar­dio­lo­gi­schen Not­fall nach wie vor schlech­tere Chan­cen auf eine rasche und adäquate inten­siv­me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung als Män­ner. Laut den Daten des Wie­ner Infarkt­re­gis­ters erhal­ten Frauen bei einem aku­ten Myo­kard­in­farkt eine Stunde spä­ter einen Herz­ka­the­ter als Män­ner“, erklärt Univ. Prof. Andrea Podc­zeck-Schweig­ho­fer von der 5. Medi­zi­ni­schen Abtei­lung im Kai­ser-Franz-Josef-Spi­tal in Wien. Die Gründe dafür sind man­nig­fal­tig, jedoch nicht der akut­me­di­zi­ni­schen Ver­sor­gung per se geschul­det, wie Podc­zeck-Schweig­ho­fer betont. Fakt sei viel­mehr, dass Frauen einer­seits oft erst viel spä­ter als Män­ner Hilfe
in Anspruch neh­men. Ande­rer­seits stelle die unklare Sym­pto­ma­tik schon im Vor­feld oft­mals eine Her­aus­for­de­rung dar.

Denn nicht nur in Akut­si­tua­tio­nen bestehen gen­der­spe­zi­fi­sche Dif­fe­ren­zen, wie Priv. Doz. Georg Delle Karth von der 4. Medi­zi­ni­schen Abtei­lung am Kran­ken­haus Hiet­zing mit Neu­ro­lo­gi­schem Zen­trum Rosen­hü­gel in Wien berich­tet. „Tat­säch­lich exis­tie­ren zwi­schen Män­nern und Frauen auch deut­li­che Unter­schiede in der Ver­laufs­form der koro­na­ren Herz­krank­heit.“ Kar­dio­vas­ku­läre Ereig­nisse tre­ten bei Frauen mit nor­ma­lem Hor­mon­sta­tus im Schnitt zehn Jahre spä­ter auf als bei Män­nern. Dafür ist die gefäß­schüt­zende Wir­kung von Östro­gen ver­ant­wort­lich. Post­me­no­pau­sal ver­schlech­tert sich das kar­dio­vas­ku­läre Risi­ko­pro­fil von Frauen aller­dings und gleicht sich immer mehr dem der Män­ner an. „Das führt sicher­lich dazu, dass wir Medi­zi­ner dazu ver­lei­tet sind, eine koro­nare Herz­krank­heit bei jün­ge­ren Frauen, also unter 55 Jah­ren, als weni­ger wahr­schein­lich ein­zu­schät­zen“, so Delle Karth.

Und manch­mal erfolgt diese Ein­schät­zung fälsch­li­cher­weise. So haben For­scher im Rah­men der NHA­NES-Stu­die fest­ge­stellt, dass die Myo­kard­in­farkt-Rate auch bei Frauen zwi­schen 35 und 54 Jah­ren in den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten im Ver­gleich zu jener der Män­ner gestie­gen ist. Den Aus­sa­gen von Delle Karth zufolge ist hier das Ziga­ret­ten­rau­chen der Aus­schlag gebende Fak­tor. „Die Beob­ach­tung, dass immer mehr und vor allem immer mehr jün­gere Frauen zur Ziga­rette grei­fen, ist aus kar­dio­lo­gi­scher Sicht also durch­aus Besorg­nis erre­gend.“ Ebenso sei zu beach­ten, dass die Risi­ko­fak­to­ren Niko­tin­kon­sum, Hyper­to­nie oder Hyper­cho­le­ste­rin­ämie bei Frauen ten­den­zi­ell stär­ker ins Gewicht fal­len als bei Män­nern, ergänzt Podc­zeck-Schweig­ho­fer. So haben Stu­dien im Zusam­men­hang mit gen­der­be­ding­tem Myo­kard­in­farkt-Risiko erge­ben, dass Rau­che­rin­nen im Ver­gleich zu Nicht-Rau­che­rin­nen ein sechs­fach erhöh­tes Infarkt-Risiko haben; ver­gleicht man hin­ge­gen Rau­cher mit Nicht-Rau­chern, ist das Risiko hin­ge­gen „nur“ drei­fach erhöht. Auch Frauen mit einem mani­fes­ten Dia­be­tes mel­li­tus seien laut Delle Karth mehr gefähr­det, einen Myo­kard­in­farkt zu erlei­den, als Män­ner mit Dia­be­tes mellitus.

Wenn die Sym­ptome bei einem klas­si­schen Myo­kard­in­farkt bei Män­nern und Frauen sehr ähn­lich sind, kann es schon in der prä­sym­pto­ma­ti­schen Phase zu deut­li­chen Unter­schie­den kom­men. „Bei Frauen ist die Sym­pto­ma­tik oft weit weni­ger cha­rak­te­ris­tisch, eher vaso-vege­ta­tiv“, erklärt Delle Karth. Oft mach­ten sich nur unschein­bare Sym­ptome wie anhal­tende Übel­keit oder Ober­bauch­schmer­zen bemerk­bar; typi­sche Herz­schmer­zen, Druck oder Enge­ge­fühl blei­ben in vie­len Fäl­len kom­plett aus. „Diese unty­pi­sche, schein­bar nur wenig ein­drucks­volle Sym­pto­ma­tik erschwert natür­lich die Dia­gno­se­fin­dung“, bestä­tigt auch Podc­zeck-Schweig­ho­fer. In Stu­dien zeige sich dar­über hin­aus immer wie­der, dass die kli­ni­sche Erst­ma­ni­fes­ta­tion der koro­na­ren Herz­krank­heit bei Män­nern meist einem Myo­kard­in­farkt ent­spre­che. Im Gegen­satz zu Män­nern, bei denen häu­fig keine Prä­sym­pto­ma­tik zu regis­trie­ren ist, kün­digt sich bei Frauen ein poten­ti­el­ler Herz­in­farkt oft schlei­chend an. Dar­über hin­aus sind bei Frauen die gro­ßen epi­kar­dia­len Gefäße häu­fig nicht der­art hoch­gra­dig ver­engt, was zu einer mil­de­ren Dia­gnose ver­leite, in Wahr­heit jedoch „genauso schlechte Pro­gno­sen“ mit sich bringe, betont Podczeck-Schweighofer.

Bei Frauen hell­hö­rig sein

„Allem voran All­ge­mein­me­di­zi­ner und Inter­nis­ten soll­ten im Zusam­men­hang mit der koro­na­ren Herz­krank­heit bei Frauen hell­hö­rig sein“, unter­streicht Podc­zeck-Schweig­ho­fer. „Klagt eine Pati­en­tin bei­spiels­weise über unklare Ober­bauch­schmer­zen, ist zusätz­lich fami­liär vor­be­las­tet, Rau­che­rin oder hat mit einer Hyper­to­nie zu kämp­fen, sollte man jeden­falls an eine koro­nare Herz­krank­heit den­ken“, so Podc­zeck-Schweig­ho­fer. Nicht inva­sive dia­gnos­ti­sche funk­tio­nelle Unter­su­chun­gen bei Frauen unter 55 Jah­ren sind laut Delle Karth gene­rell weni­ger aus­sa­ge­kräf­tig: „Wir bewe­gen uns also in einem Span­nungs­feld zwi­schen Über- und Unter­be­hand­lung“. Mit dem weit ver­brei­te­ten Ein­satz der nied­rig dosier­ten Com­pu­ter­to­mo­gra­fie werde die Bedeu­tung der Koro­nar-Com­pu­ter­to­mo­gra­fie inklu­sive Kal­zium-Scoring wei­ter zuneh­men. Delle Karth dazu: „Das wird dazu bei­tra­gen, die Treff­si­cher­heit bei der Indi­ka­ti­ons­stel­lung für eine inva­sive Dia­gnos­tik zu ver­bes­sern und die Sekun­där­prä­ven­tion geziel­ter zu steu­ern.“ (lt)

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 5 /​10.03.2019