The­ra­pie der kind­li­chen Migräne: Vor­her­seh­ba­rer Wechsel

10.05.2019 | Medizin


Nach spä­tes­tens zehn Jah­ren medi­ka­men­tö­ser Migrä­ne­a­kut­the­ra­pie ist in vie­len Fäl­len ein Prä­pa­ra­te­wech­sel erfor­der­lich. Zwar steht der wis­sen­schaft­li­che Nach­weis dafür aus, Exper­ten beob­ach­ten die­ses Phä­no­men aber häu­fig in der Pra­xis. Ein Sub­stanz­wech­sel sollte nur erfol­gen, wenn ein Medi­ka­ment bei sechs Migräne-Atta­cken keine Wir­kung gezeigt hat. 


Im Unter­schied zu Erwach­se­nen äußert sich Kopf­schmerz bei Kin­dern auf sehr klare Weise. Bei wie­der­keh­ren­den Kopf­schmer­zen han­delt es sich in den meis­ten Fäl­len um pri­märe Kopf­schmer­zen, denen keine zusätz­li­che Erkran­kung zugrunde liegt. „Kin­der kön­nen ihre Schmer­zen und deren Inten­si­tät zumeist sehr deut­lich aus­drü­cken sowie loka­li­sie­ren“, erklärt Univ. Prof. Çiçek Wöber-Bingöl, Fach­ärz­tin für Neurologie/​Psychiatrie, Kin­der­n­eu­ro­lo­gie und Kin­der­psych­ia­trie in Wien. Im Alter zwi­schen sechs und zehn Jah­ren sind vor allem Übel­keit, Brech­reiz, starke Abge­schla­gen­heit, Licht- und Lärm­emp­find­lich­keit, blaue Ringe unter den Augen und peri-orale Blässe typi­sche Begleit­sym­ptome der Migräne. Bis zu drei­ma­li­ges Erbre­chen sollte kei­nes­falls unter­drückt wer­den, da nach Erbre­chen meist eine deut­li­che Erleich­te­rung des Zustands ein­tritt. „Kin­der im Alter von sechs bis zehn Jah­ren erbre­chen im Zuge von Migräne-Atta­cken recht rasch, zie­hen sich anschlie­ßend zurück oder schla­fen“, so die Exper­tin. Eine beson­dere Form des kind­li­chen Kopf­schmer­zes stellt die abdo­mi­nelle Migräne dar, wie Univ. Prof. Chris­tian Lampl vom Kopf­schmerz­zen­trum Sei­ler­stätte in Linz erklärt. Diese werde – da sie einem gas­tro­in­testi­na­len Infekt glei­che – oft verkannt. 

Die wohl häu­figste Form des Kopf­schmer­zes im Kin­des- und Jugend­al­ter stellt laut Wöber-Bingöl die Migräne dar. Die Migrä­ne­häu­fig­keit hat bei Schul­kin­dern in den letz­ten Jahr­zehn­ten deut­lich zuge­nom­men: Im kli­ni­schen All­tag prä­sen­tie­ren sich seit 2000 immer mehr Kin­der mit Migräne und immer weni­ger mit Spannungskopfschmerz.

Zu den Trig­ger­fak­to­ren im Kin­des- und Jugend­al­ter gibt es nur wenige wis­sen­schaft­lich fun­dierte Daten, wie die Exper­tin betont. Als Haupt­aus­lö­ser wer­den Ver­än­de­run­gen des Schlaf-Wach-Rhyth­mus, zu geringe Flüs­sig­keits­zu­fuhr, eine ver­zö­gerte Auf­nahme oder das Weg­las­sen von Mahl­zei­ten, Reiz­über­flu­tung durch elek­tro­ni­sche Ein­flüsse, Schul­stress, Kon­flikte in der Fami­lie sowie psy­chi­sche Ängste ange­se­hen. „Unge­ach­tet ihrer Trig­ger­fak­to­ren ist die Migräne per se gene­tisch bedingt“, betont Wöber-Bingöl. Die inten­sivs­ten Atta­cken sind bei Mäd­chen knapp vor Beginn der Puber­tät zu beob­ach­ten. Schwer­wie­gende aty­pi­sche neu­ro­lo­gi­sche Begleit­sym­ptome sind Läh­mun­gen, Con­fu­sio­nal State sowie eine vor­über­ge­hende, teils erheb­li­che expres­sive Sprach­stö­rung. „Eltern sowie Ärz­tin­nen und Ärzte soll­ten Kin­der und Jugend­li­che bei sol­chen Beschwer­den immer ernst neh­men“, betont Lampl. Hell­hö­rig sollte man immer dann wer­den, wenn der kind­li­che Kopf­schmerz erst­ma­lig oder ohne plau­si­ble Erklä­rung auf­tritt. Die häu­figs­ten Ursa­chen für sekun­däre Kopf­schmer­zen bei Kin­dern sind nicht oder zu spät dia­gnos­ti­zierte Sinu­s­it­i­den oder Ton­sil­lit­i­den sowie ver­schleppte Infek­tio­nen im Kopf­be­reich. Oft­mals kön­nen auch Augen­er­kran­kun­gen, nicht erkannte oder nicht kor­ri­gierte Seh­stö­run­gen zu Kopf­schmer­zen füh­ren. Bei der Behand­lung von Kopf­schmer­zen im Kin­des- und Jugend­al­ter gilt es, alters­ad­ap­tiv vor­zu­ge­hen. „Drei- bis Sechs­jäh­rige brau­chen in den meis­ten Fäl­len kei­ner­lei medi­ka­men­töse The­ra­pie“, so Wöber-Bingöl. Denn viele Kin­der in die­sem Alter „schla­fen die Migräne ein­fach weg“. Wich­tig dabei sind aus­rei­chend Flüs­sig­keits­zu­fuhr in Form von Was­ser oder Oran­gen­saft (wegen des Kali­um­ge­halts). Übel­keit oder Erbre­chen dürf­ten nicht mit Hilfe von Anti­eme­tika unter­bun­den wer­den. Es handle sich dabei näm­lich nicht um ein gas­tro­in­testi­na­les Pro­blem, son­dern ein Pro­blem, das vom Hirn­stamm aus­gehe. Erbricht ein Kind jedoch mehr als drei­mal, ist Ond­an­se­tron (off-label-Gebrauch, chef­ärzt­li­che Bewil­li­gung) am bes­ten verträglich.

Mono­prä­pa­rate einsetzen

Zu Beginn der Behand­lung rät Wöber-Bingöl dazu, Mono­prä­pa­rate – auf­grund ihrer per­sön­li­chen Erfah­rung vor­zugs­weise Mefen­amin­säure – ein­zu­set­zen und nicht ver­schie­dene Medi­ka­mente zu ver­wen­den. „Mit der Gabe von unter­schied­li­chen Prä­pa­ra­ten läuft man Gefahr, dass sich die Wirk­sam­keit ver­schlech­tert“, wie die Exper­tin betont. Erst wenn ein früh­zei­tig ver­ab­reich­tes und aus­rei­chend hoch dosier­tes Medi­ka­ment nach sechs Atta­cken nicht anschlägt, sollte man eine andere Sub­stanz wäh­len. Was Wöber-Bingöl außer­dem betont: „Gene­rell nützt sich ein Medi­ka­ment nach etwa spä­tes­tens zehn Jah­ren ab. Dann muss man zu einer ande­ren Sub­stanz wech­seln.“ Dabei handle es sich zwar um ein „wis­sen­schaft­lich uner­klär­li­ches Phä­no­men“, so Wöber-Bingöl, das sich jedoch in der Pra­xis bewahrheite.

Eine medi­ka­men­töse The­ra­pie ist den Aus­sa­gen der Exper­ten zufolge ab dem zehn­ten Lebens­jahr sinn­voll – und auch wir­kungs­voll. Dabei sollte das jewei­lige Prä­pa­rat so früh wie mög­lich und alters­ad­äquat dosiert ver­ab­reicht wer­den: Bei Migräne ent­spricht die rich­tige Dosie­rung immer der nächs­ten Alters­stufe des Kin­des. Zum Bei­spiel: 200 Mil­li­gramm bei einem Zehn­jäh­ri­gen mit Fie­ber ent­spre­chen 400 Mil­li­gramm bei einem Zehn­jäh­ri­gen mit Migräne. Für die medi­ka­men­töse Kupie­rung von Atta­cken kom­men – nach Mefen­amin­säure – pri­mär Par­acet­amol und dann Ibu­profen zum Ein­satz. Ace­tyl­sa­li­cyl­säure sollte auf­grund der Gefahr des Reye-Syn­droms bis zum zwölf­ten Lebens­jahr ver­mie­den wer­den. Unter den Trip­ta­nen ist in Öster­reich Zol­mit­rip­tan-Nasen­spray ab dem zwölf­ten Lebens­jahr zuge­las­sen. (lt)

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 8 /​25.04.2019