Kinder und Jugendliche: Hypertonie durch Adipositas

10.09.2019 | Medizin


Bis zu fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen sind von Hypertonie betroffen. Bei Jugendlichen stellt zunehmend die primäre Hypertonie ein Problem dar, die eng mit der steigenden Zahl der adipösen Jugendlichen zusammenhängt.

Laura Scherber

Zur Prävalenz der Hypertonie bei Kindern und Jugendlichen gibt es derzeit keine österreichischen Daten. In Analogie zu anderen europäischen Studien geht man von Werten zwischen drei und fünf Prozent aus. „Besonders bei Jugendlichen wird der primäre Hypertonus zunehmend ein Problem, was eng mit der Zunahme der Adipositas verknüpft ist“, erklärt Priv. Doz. Birgit Acham-Roschitz von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz. Die genaue Validierung des Blutdrucks muss bei Kindern und Jugendlichen anhand der aktuellen Perzentile erfolgen, die Körperlänge, Geschlecht und Alter einbeziehen. Wichtig ist in erster Linie, dass der Blutdruck bei Kindern und Jugendlichen überhaupt gemessen und dokumentiert wird. Aus Erfahrung weiß Univ. Prof. Klaus Arbeiter von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Wien, dass in vielen Mutter-Kind-Pässen keine Blutdruckwerte eingetragen sind, obwohl die regelmäßige Messung im Rahmen des Mutter-Kind-Passes gesetzlich vorgeschrieben ist. Dabei ist jedenfalls die richtige Manschettengröße zu verwenden, betont der Experte. „Der erste Wert ist oft erhöht, daher sollten nach einer Weile zwei weitere Messungen durchgeführt und der Durchschnittswert genommen werden“, erklärt Arbeiter. Überschreiten die gemessenen Werte den Normbereich von 20 mmHg, handelt es sich laut dem Experten nicht mehr um eine leichte Erhöhung, sondern um einen krisenhaften Blutdruck, bei dem eine sofortige Überweisung an eine Spezialambulanz erfolgen sollte. Gleichzeitig sind im Rahmen der sogenannten Weißkittelhypertonie in der Ordination viele Messungen zu hoch und können fälschlicherweise als problematisch kategorisiert werden. Laut Acham-Roschitz sollten drei Messungen an drei unterschiedlichen Tagen unter ruhigen Bedingungen erfolgen, bevor ein Verdacht auf eine arterielle Hypertonie in Betracht gezogen wird. „Liegt der Messwert für das Kind beziehungsweise den Jugendlichen über der jeweiligen altersentsprechenden 95. Perzentile, ist der Goldstandard eine 24-Stunden-Blutdruckmessung“, erklärt die Expertin. Damit werden einerseits die Kinder herausgefiltert, die nur unter Einzelmessungen Stress entwickeln, und andererseits diejenigen, bei denen die Symptome vorwiegend in der Nacht auftreten.

Indizierte Basisuntersuchungen

Ist der Blutdruck während der 24-Stunden-Blutdruckmessung weiterhin erhöht, sind eine Reihe von Basisuntersuchungen indiziert, so Arbeiter. Diese umfassen die Sonographie der Nieren (inklusive Doppler-Untersuchung), die Echokardiographie, ein Blutbild inklusive der Zusatzrisikofaktoren wie Blutfette, Blutzucker, Harnanalyse und Funduskopie. Unter Umständen können im nächsten Schritt differenziertere Untersuchungen wie Magnetresonanz-Angiographie und Szintigraphie der Nieren notwendig werden, wenn in der Vergangenheit bereits Harnwegsinfekte aufgetreten sind.

Je nach Ursache unterscheidet man zwischen der primären und sekundären Hypertonie. Die primäre (essentielle) Hypertonie ist ebenso wie bei Erwachsenen multifaktoriell bedingt und auf genetische Prädispositionen, Übergewicht und Adipositas sowie generell Lebensstil-assoziierte Faktoren zurückzuführen. „Betroffen sind vorwiegend Jugendliche. Kinder unter zehn Jahren haben eigentlich keine essentielle Hypertonie“, weiß Arbeiter. Der sekundären Hypertonie liegt eine Grunderkrankung zugrunde, ergänzt Acham-Roschitz. Diese ist in 80 Prozent der Fälle renoparenchymatös bedingt, in zehn Prozent renovaskulär und in zehn Prozent unter anderem endokrinologisch  oder kardiologisch. „Chronische Erkrankungen, die die Nierenfunktion in irgendeiner Weise stören, führen oft zu einer Erhöhung des Blutdrucks“, betont Arbeiter. Häufig liegen Erkrankungen wie eine eingeschränkte Nierenfunktion zugrunde, chronisches Nierenversagen, vererbbare Erkrankungen wie polyzystische Nieren, Entzündungen der Nieren wie eine Glomerulonephritis, eine Vaskulitis oder in selteneren Fällen eine Nierenarterienstenose. Besonders bei jüngeren Patienten mit einem sehr hohen Blutdruck haben sich häufig schon Endorganläsionen entwickelt, besonders im Bereich der Augen oder in Form einer linksventrikulären Hypertrophie, hebt Acham-Roschitz hervor und verweist auf die Notwendigkeit des Screenings in diesem Zusammenhang. Der Expertin zufolge ist bei jungen Patienten mit einer sekundären Hypertonie zu bedenken, dass häufig keine positive Familienanamnese gegeben ist. Besonders anfällig für Hypertonie sind außerdem ehemalige Frühgeborene, Patienten mit Systemerkrankungen oder malignen Erkrankungen sowie Kinder, die spezielle Medikamente einnehmen.

Sekundäre Hypertonie: medikamentös therapieren

Normalerweise ist das primäre Ziel, den Blutdruck unter die 95. Perzentile zu senken. „Da aber der arterielle Hypertonus neben der Proteinurie einer der Progressionsfaktoren einer fortschreitenden chronischen Niereninsuffizienz ist, werden diese Kinder mit chronischen Nierenproblemen noch viel forcierter eingestellt als alle anderen Patienten“, betont Acham-Roschitz. In diesen Fällen wird die Senkung des Blutdrucks an die 50. Perzentile gefordert. Die Behandlung der sekundären Hypertonie bedarf in der Regel einer medikamentösen Therapie. Zunächst wird im Rahmen einer Monotherapie versucht, die therapeutischen Möglichkeiten mit ACE-Hemmern, Angiotensin-Rezeptor-Blockern, Kalziumantagonisten oder Betablockern auszureizen, bevor eine duale Therapie initiiert wird. Von einer medikamentösen Therapie profitieren den Aussagen von Arbeiter zufolge auch Kinder mit Diabetes mellitus, die eine – wenn auch – milde Hypertonie und eine Proteinurie haben. Die Therapie der primären Hypertonie umfasst im Wesentlichen eine Lifestyle-Balance-Modifikation, die Ausdauersport, Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung und eine Verringerung des Kochsalzkonsums beinhaltet. Liegen keine linksventrikuläre Hypertrophie oder Fundusveränderungen vor, könne damit eine medikamentöse Therapie umgangen werden, sagt Acham-Roschitz.

An der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Wien werden laut Arbeiter durchschnittlich sechs bis zehn Transplantationen pro Jahr durchgeführt. „Diejenigen, die ein Transplantat bekommen, sind in der Regel dauerhaft auf die Einnahme von mehreren Antihypertensiva angewiesen, da der Blutdruck durch die Gabe der Immunsuppressiva besonders im ersten Jahr nach der Transplantation schwer in den Griff zu bekommen ist“, führt Arbeiter aus. Je nachdem, wie die transplantierte Niere funktioniert, kann die Blutdruckeinstellung auch nach einer gewissen Zeit wieder schwierig werden. Für Kinder unter sechs Jahren sind viele moderne Medikamente nicht zugelassen, während sich für Kinder ab sechs Jahren „viel getan hat“ (Arbeiter). Hier habe sich die Therapie durch eine größere Zahl an Zulassungen erleichtert.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2019