Karpaltunnelsyndrom: Offenes Verfahren vielfach vorteilhaft

10.11.2019 | Medizin


Auch wenn bei der Behandlung des Karpaltunnelsyndroms die Bestrebungen immer mehr hin zum minimalinvasiven Verfahren gehen, hat sich herausgestellt, dass diese Vorgangsweise nicht so wirksam ist wie das offene Verfahren. Nach der Operation sollte das Ruhigstellen der Hand verhindert werden, damit es nicht zu Verklebungen kommen kann. 
Laura Scherber

Es gibt bestimmte Bindegewebserkrankungen oder hormonelle Störungen, die zu einem Anschwellen des Gebiets führen, das durch den Nervus medianus versorgt wird“, erklärt Univ. Prof. Klaus Leber von der Universitätsklinik für Neurochirurgie in Graz. Dadurch wird der Nervus medianus eingeklemmt, was sich vor allem nachts im Ruhezustand bemerkbar macht, zunehmend aber auch tagsüber während der Aktivität. Manchmal tritt das Karpaltunnelsyndrom auch beidseitig auf, ist aber auf einer Seite meist stärker ausgeprägt. „Die Symptome sind recht charakteristisch und umfassen Empfindungsstörungen und Kribbelgefühle in den ersten drei Fingern, manchmal auch noch auf der einen Seite des Ringfingers, was besonders auffällt, wenn es die dominante Hand betrifft“, ergänzt Univ. Prof. Christine Radtke von der Universitätsklinik für Chirurgie am Wiener AKH. Eine dadurch verminderte Geschicklichkeit kann dazu führen, dass den Patienten häufig etwas aus der Hand gleitet oder sie Schwierigkeiten haben, Hemd- oder Hosenknöpfe zu schließen. Recht typisch ist außerdem, dass die Patienten nachts von den Symptomen aufwachen und das „Ausschütteln der Hand“ erst nach einer Weile zu einer Besserung führt. Ab einer gewissen Intensität können die Symptome auch in den Oberarm ausstrahlen und sind nicht mehr so genau zuzuordnen, so Leber. „In weiterer Folge kommt es neben diesen Empfindungsstörungen und Schmerzen auch zur Schwäche der Thenar-Muskulatur und in weiterer Folge eventuell zur lateralen Thenar-Atrophie“, erklärt der Experte. Es sei daher wichtig, die Patienten darauf hinzuweisen, dass die Schmerzen zwar verschwinden, die muskuläre Atrophie aber irreversibel und die Parese bedingt reversibel ist. Die Diagnostik umfasst die klinische Untersuchung, die Erhebung der Anamnese, bildgebende Verfahren, die Nervensonographie und die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit. Letztere ist durch die Kompression des Nerven reduziert.

Spezifische Risikofaktoren für das Auftreten des Karpaltunnelsyndroms sind nicht bekannt. Meist handelt es sich laut Radtke um Patienten im fortgeschrittenen Alter. Ein relativ seltenes Phänomen ist das sogenannte Schwangerschaftskarpaltunnelsyndrom, bei dem der Kanal durch die innen liegenden Strukturen im Verhältnis zu eng wird. Auch Verletzungen im Rahmen eines Unfalls, rheumatische Erkrankungen, die die gesamte Handregion betreffen, und Polyneuropathien können die Kompression des Nervus medianus begünstigen. Den Aussagen von Leber zufolge sind Frauen häufiger betroffen als Männer, wobei die hormonellen Schwankungen während der Wechseljahre möglicherweise von Bedeutung sind.

Antiphlogistische Basismedikation plus Analgetika

„Bei komprimierten Nerven ist die Kombination einer antiphlogistischen Basismedikation und der bedarfsorientierten Einnahme eines Analgetikums am wirksamsten“, sagt Leber. Wenn die Patienten berichten, dass die Beschwerden erst wenige Wochen bestehen, soll laut Radtke auf jeden Fall ein konservativer Therapieversuch gestartet werden. Dabei wird eine Schiene für ein bis zwei Wochen angelegt, um die Hand ruhigzustellen. Eine weitere Option stellen sogenannte Nachtlagerungsschienen dar, die nur während der Nacht getragen werden. „Manchmal kann die Schiene wirklich Abhilfe schaffen. Oft wird es dadurch aber langfristig nicht besser, sodass eine Operation indiziert ist“, weiß Radtke. Manche Patienten berichten aber, dass die Beschwerden schon zwei, drei Jahre lang bestehen. „In diesen Fällen muss man besonders hellhörig sein, da der Nerv bei zu langer Einengung langfristige Schäden davontragen kann, die auch durch eine Operation nicht mehr zu beheben sind“, unterstreicht Radtke.

Bei der operativen Nervenfreilegung wird das Retinaculum flexorum durchtrennt, das „funktionell per se nicht von Bedeutung ist“, so Leber. Und weiter: „Wird das Retinaculum flexorum hinreichend durchtrennt, hat der Nerv wieder genug Platz und kann wieder normal funktionieren, ohne dass Beschwerden auftreten“. Rezidive sind extrem selten und treten nur auf, wenn die Spaltung des Retinaculum flexorum unvollständig erfolgt ist. Die Wahl der operativen Methode – klassisch offen oder endoskopisch – hängt einerseits von der Präferenz des Patienten und der Narkoseart ab sowie andererseits vom Schweregrad der Einengung. „Bemerkenswert ist, dass es wie auch in anderen medizinischen Fachbereichen immer mehr Bestrebungen hin zu minimalinvasiven Verfahren gegeben hat – diese sich aber als nicht so wirksam herausgestellt haben wie die offene Operation“, fasst Leber zusammen. In bestimmten Fällen können endoskopische Verfahren mehr Vorteile mit sich bringen.

Ruhigstellung unbedingt vermeiden

„Die Ruhigstellung der Hand über mehrere Wochen nach der Operation sollte unbedingt vermieden werden, da es sonst zu Verklebungen kommen kann“, erklärt Radtke. Die Finger sollten frühzeitig wieder bewegt werden; eine Schiene ist nicht unbedingt notwendig. „In der Regel reicht ein sperriger Schutzverband aus, damit die Patienten in Erinnerung haben, dass sie operiert worden sind und nicht gleich ihren häuslichen Tätigkeiten nachgehen“, weiß Leber. Dadurch wird verhindert, dass es zu Stürzen oder einer Überbeanspruchung der Narbe und in der Folge zum Aufplatzen kommt. Nach der Nahtentfernung sollten sich die Patienten noch so lange schonen, bis die Wundheilung abgeschlossen ist.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2019