Juvenile idiopathische Arthritis: Wandel in der Therapie

25.05.2019 | Medizin


Bei der Behandlung der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis verlieren die Kortikosteroide zunehmend ihre therapeutische Bedeutung, da die Behandlung mit Interleukin 1 oder 6 mehr Erfolg verspricht und auch weniger Nebenwirkungen hat. Darüber hinaus sprechen Kinder auf eine Therapie mit Biologika viel besser an als Erwachsene.


Die juvenile idiopathische Arthritis ist die häufigste rheumatische Erkrankung bei Kindern. Sie beginnt meist im Alter von unter 16 Jahren und betrifft eines von 1.000 Kindern. „Die juvenile idiopathische Arthritis wird gemäß der internationalen Gesellschaft ILAR weltweit in sechs Unterformen kategorisiert“, erklärt Univ. Prof. Wolfgang Emminger von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien. Sie umfasst die systemische juvenile idiopathische Arthritis, die frühkindliche Oligoarthritis, die Polyarthritis, die Psoriasisarthritis und die Enthesitis-bezogene Arthritis. Lässt sich die Erkrankung innerhalb der ersten sechs Monate nicht in eine dieser Unterformen einordnen oder weist Charakteristika von zwei Unterformen auf, wird sie als undifferenzierte Arthritis bezeichnet.

„In der Diagnostik und Therapie von rheumatischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen nehmen Allgemeinmediziner und Pädiater eine Schlüsselposition ein“, erklärt Univ. Prof. Christian Huemer vom Fachbereich für Kinder- und Jugendheilkunde des LKH Bregenz. „Sie können rasch einschätzen, welche Ursachen die Erkrankung haben kann und wann eine Überweisung an eine Spezialklinik notwendig ist“, so der Experte. Leidet ein Kind länger als sechs Wochen unter chronischen Gelenkschmerzen, sei die genaue Abklärung der Ursache und die Überweisung an eine Kinderrheuma-Ambulanz indiziert. Wichtige Differentialdiagnosen, die mit einer Gelenkentzündung einhergehen, sind Infektionen wie die Arthritis im Rahmen einer Borreliose, Tumorerkrankungen (insbesondere Leukämie, Knochentumorerkrankungen), Systemerkrankungen sowie Verletzungen durch Unfälle. Häufiger als die rheumatische Gelenkentzündung sei schließlich eine Verletzung oder Infektion. „Eine breite, zeit- und kostenaufwändige Laboruntersuchung mit Rheumaparametern oder Bilddiagnostik sollte nicht zu früh durchgeführt werden“, erklärt Huemer. Stattdessen empfiehlt der Experte nach einer Zeit von wenigen Wochen die zunächst niederschwellige Vorstellung in einer Rheuma-Sprechstunde an einer Kinderklinik, im Rahmen derer eingeschätzt wird, welche diagnostischen Schritte gesetzt werden sollten.

Meist immunmodulierende Therapie indiziert

„Liegt eine milde Form der Arthritis vor, können nicht-steroidale Antiphlogistika wie Ibuprofen oder Naproxen zu Beginn der Erkrankung schmerz- und entzündungsdämpfend wirken“, erklärt Huemer. In den meisten Fällen der kindlichen rheumatischen Erkrankungen ist eine Basistherapie indiziert, das heißt eine längerfristige immunmodulierende Therapie. Die Behandlung aller Arthritiden erfolgt im Wesentlichen mit Methotrexat, laut Emminger mit einer niedrigen Dosis von 7,5 bis 15 Milligramm pro Quadratmeter und einer Maximaldosis von 20 Milligramm pro Woche, oral oder subkutan. So konnte etwa durch die Anwendung von Methotrexat in der Therapie der Oligoarthritis die hohe Uveitis-Rate von etwa 25 bis 30 Prozent auf unter fünf bis zehn Prozent pro Kind gesenkt werden. „Im gesamten Kollektiv der kindlichen Rheumaerkrankungen können wir damit rechnen, dass circa 70 Prozent der Kinder mit Methotrexat erfolgreich behandelt werden können“, weiß Huemer. „Für die übrigen 30 Prozent kann mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die ergänzende Therapie mit einem Biological anhaltend Entzündungsfreiheit erzielt werden.“ Während die systemische juvenile idiopathische Arthritis früher hauptsächlich mit Cortison und bei Gelenkbeteiligung auch mit Methotrexat behandelt wurde, verlieren die Kortikosteroide zunehmend ihre therapeutische Bedeutung. „Es hat sich gezeigt, dass die Hemmung von Interleukin-1 oder Interleukin-6 erfolgversprechender und nebenwirkungsärmer ist“, weiß Emminger. Bei allen anderen Rheumaformen wird mit Hilfe der Biologika der Tumornekrosefaktor-alpha gehemmt. Dies erfolgt vor allem mit Etanercept oder anderen im Kindesalter zugelassenen Antikörpern, die subkutan verabreicht werden.

Etwa ein Zehntel der Fälle einer juvenilen idiopathischen Arthritis entfallen auf den systemischen Lupus erythematodes. Im Vergleich zu Erwachsenen ist er bei Kindern mit einem schwereren Krankheitsverlauf, einer höheren Nebenwirkungsrate durch die Medikamente und einer höheren Mortalitätsrate verbunden. Die Therapie erfolgt laut Emminger vorwiegend mit Kortikosteroiden: Bei der lebensbedrohlichen Form wird Cyclophosphamid eingesetzt, bei der weniger lebensbedrohlichen Form das Mycophenolat-Mofetil oder Hydroxychloroquin sowie Antikörper zur Hemmung der B-Zellfunktion. Die Therapie der deutlich selteneren juvenilen Dermatomyositis erfolgt in der Regel durch anfänglich hohe Dosen von Kortikosteroiden, gefolgt von niedrigen Dosen Kortikosteroiden und Methotrexat sowie monatlich verabreichten, hochdosierten Immunglobulin-Präparaten. Bei einem frühzeitigen Beginn der immunsuppressiven Therapie sind Ansprechen und Outcome laut Emminger gut. Eine unzureichende Therapie hingegen ist mit Verknöcherungen in der Muskulatur und Subkutis sowie einer gestörten Gelenkfunktion assoziiert, die chirurgisch kaum behoben werden kann. Schwere Folgen können zudem eintreten, wenn der Gastrointestinaltrakt betroffen ist und eine massive Resorptionsstörung bedingt.

Biologika im Vormarsch

Grundsätzlich entwickelt sich die Behandlung der kindlichen rheumatischen Erkrankungen zunehmend von den Zytostatika-Therapien in Richtung der Biologika-Therapien. Klinische Studien haben laut Emminger gezeigt, dass Kinder auf die Biologika-Therapien noch viel besser ansprechen als Erwachsene. Das Ziel in der Kinder-Rheumatologie sei nicht, Besserungssäulen von 20, 30 oder 50 Prozent zu erzielen, sondern komplette Entzündungsfreiheit zu erreichen. „Wir haben nicht wenige Kinder, die völlig von allen Medikamenten wegkommen und viele Jahre, wenn nicht sogar lebenslang in Remission bleiben“, weiß Emminger. Der Erfolg der Rheumatherapie habe sich in den letzten zehn bis 20 Jahren revolutioniert. Mit Abschluss des körperlichen Wachstums seien deutlich weniger rheumaorthopädische Operationen im Vergleich zu früher notwendig. Gleichzeitig sei auch die Rate an psychiatrischen Erkrankungen durch den Erfolg der Therapie massiv gesunken, wie die Experten betonen.

Die medikamentöse Therapie ist laut Huemer aber nur ein Segment der Behandlung kindlicher Rheumaerkrankungen. Auch Physio- und Ergotherapie nehmen als rehabilitative Maßnahmen einen großen Stellenwert ein. „Zum einen geht es darum, die Entzündung an den Gelenken unter Kontrolle zu bringen. Zum anderen braucht es gute Physiotherapie, um eine normale Funktion an den Gelenken zu erreichen“, betont Huemer. Bei der Ergotherapie geht es vor allem um die Schienenversorgung: Tagsüber kommen hier schmerzentlastende Schienen zum Einsatz, nachts Schienen, die der Korrektur von Fehlstellungen dienen, so Emminger.

Therapiebegleitung entscheidend

Die Begleitung und Unterstützung der Patienten während der immunmodulierenden Therapie ist laut den Experten entscheidend. „Alle Medikamente zur Rheumatherapie sind sehr potent; das Nebenwirkungsspektrum macht daher eine klinische Begleitung erforderlich“, weiß Huemer. Einerseits geht es um die Verträglichkeit der Medikamente und die Behandlung möglicher Unverträglichkeitsreaktionen in Form von gastrointestinalen, hepatischen oder infektiösen Symptomen. Andererseits führt die durch die Therapie hervorgerufene Immunsuppression zu einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Infektionen. Dadurch ist bei fieberhaften Infekten eine größere Aufmerksamkeit erforderlich; gegebenenfalls ist auch ein schnellerer Einsatz von Antibiotika nötig. Bei Patienten in Rheumatherapie sei auch das Thema Impfungen zu beachten. Da Lebendimpfstoffe während der Therapiephase nicht angewendet werden sollen, muss vor Therapiebeginn eine ausführliche Erhebung des Impfstatus erfolgen; bei Bedarf sind Impfungen zuvor aufzufrischen. Bezüglich zukünftiger Impfungen wie Influenza-Impfung oder HPV-Impfung im jugendlichen Alter sollte kontinuierlich beraten werden. Ein wesentlicher Beratungsaspekt betrifft auch die Transition, also den Übergang vom Jugendalter ins Erwachsenenalter. Emminger dazu: „Die Kinder müssen lernen, mit ihrer Krankheit zu leben und die Herausforderungen des Lebens wie Berufswahl oder Familiengründung mit einer chronischen Erkrankung zu vereinbaren.“
(las)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2019