Influenza-Impfung in der Schwangerschaft: Der Paradigmenwechsel

10.10.2019 | Medizin


Viele Schwangere verzichten aus Sorge um ihr ungeborenes Kind auf die Influenza-Impfung. Internationalen Empfehlungen zufolge kann zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft gegen Influenza geimpft werden – ein Paradigmenwechsel, sagen Experten.

Sophie Fessl

Eine Influenza-Prophylaxe ist gerade für Schwangere wichtig, da eine Influenzavirus-Infektion in der Schwangerschaft besonders schwer verlaufen kann,“ erklärt Priv. Doz. Monika Redlberger-Fritz vom Nationalen Influenza-Referenzlabor am Zentrum für Virologie der MedUni Wien. Bei Schwangeren können Influenzavirus-Infektionen vor allem im dritten Trimenon mit schweren Krankheitsverläufen einhergehen, die – im schlimmsten Fall – bis hin zum kompletten Lungenversagen führen können. Redlberger-Fritz weiter: „Daher ist eine Influenza-Erkrankung primär eine Gefahr für die Mutter und erst in zweiter Linie für das Kind.“

Einerseits ist durch die Immunsuppression während der Schwangerschaft die Gefahr erhöht, dass eine Frau an einer schweren Influenza erkrankt. Andererseits kann die Influenza im letzten Trimenon schwer verlaufen, weil durch den steigenden Platzbedarf des Kindes auch die basalen Lungenabschnitte zusammengedrückt werden. „Diese Lungenanteile werden daher schlechter perfundiert und ventiliert und die Influenza-Viren können sich somit besser vermehren“, erklärt Redlberger-Fritz.

Diese Erfahrung wurde besonders während der Influenza-Pandemie 2009 gemacht, wie Univ. Prof. Karl Zwiauer von der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Universitätsklinikum St. Pölten weiter ausführt. „Während der Pandemie sind besonders schwere und heftige Influenza-Infektionen bei Schwangeren aufgetreten. Die Rate an Hospitalisationen und auch die Todesrate war unter ihnen deutlich höher“, so Zwiauer.

Schutz für beide

Antivirale Medikamente wie Oseltamivir können auch in der Schwangerschaft gegeben werden und sind die einzige Therapieoption bei einer schweren Influenza-Erkrankung. Trotzdem ist die Prophylaxe in Form einer Influenza-Impfung während der Schwangerschaft wichtig, wie Redlberger-Fritz erklärt. Durch die Impfung könnten nicht nur schwere Verläufe bei der Mutter verhindert werden; auch der Säugling habe dadurch zwei Vorteile: „Wenn die Mutter, die engste Kontaktperson nach der Geburt, an Influenza erkrankt, wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit die Influenzaviren auch auf das Kind übertragen. Mit einer Impfung können somit beide vor einer Infektion geschützt werden“, so Redlberger-Fritz. Außerdem sei das Kind auch durch die passiv in utero übertragenen Antikörper in den ersten sechs Lebensmonaten vor einer Ansteckung geschützt. Zwiauer bekräftigt dies: „Studien zeigen ganz klar, dass das Neugeborene durch eine Impfung der Mutter geschützt wird. Und das Neugeborene ist ein Individuum, das nicht geimpft werden kann.“

Nachteile einer Influenza-Impfung für die Schwangerschaft gibt es nicht, versichert Redlberger-Fritz: „Die Impfung ist verträglich und sicher. Es gibt kein Indiz für eine erhöhte Sectio- oder Abort-Rate.“ Einzig der Lebendimpfstoff darf in der Schwangerschaft nicht verabreicht werden, warnt Zwiauer. Dies gelte etwa auch für die Masern-Mumps-Röteln-Impfung. Da der Lebendimpfstoff gegen Influenza nur bis 18 Jahre zugelassen ist, betrifft dies nur sehr junge Schwangere. Liegt eine generelle Kontraindikation gegen das Impfen vor – etwa bei einem viralen Infekt – ist die Impfung zu verschieben. Auch bei Allergien oder Unverträglichkeiten ist von einer Impfung abzusehen. Verstärkte Impfreaktionen oder Nebenwirkungen während der Schwangerschaft sind laut den Experten nicht bekannt.

Gemäß den Empfehlungen des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und den US-amerikanischen Centers for Disease Control (CDC) darf zu jedem Zeitpunkt während der Schwangerschaft gegen Influenza geimpft werden. „Das ist ein Paradigmen-Wechsel“, sagt Zwiauer: „Grundsätzlich galt immer das Paradigma, dass man Schwangere nicht impft. Das hat sich allerdings aufgrund der Erfahrungen mit Totimpfstoffen geändert.“ Die Erfahrung mit dem Tetanus-Impfprogramm der WHO, unter dem auch Schwangere geimpft wurden, habe gezeigt, dass werdende Mütter die Impfung sehr gut vertragen und dass mit der Impfung sowohl die Mutter als auch der Säugling geschützt sind. Basierend darauf gelte heute – auch laut österreichischem Impfplan – die klare Empfehlung, dass Schwangere geimpft werden sollen – auch gegen Influenza.

Die frühere Ansicht, im ersten Trimenon nicht zu impfen, hing allerdings nicht mit einer Gefahr durch die Impfung per se zusammen, erklärt Redlberger-Fritz: „Die Abort-Rate im ersten Drittel der Schwangerschaft ist per se erhöht und man wollte keine Inzidenz zwischen einer Impfung und einem möglichen Spontanabort schaffen.“ Wie bei anderen medizinischen Behandlungen rät Redlberger-Fritz dennoch, eine Impfung am besten vor der Schwangerschaft durchzuführen: „Schwangere können aber im Falle einer Influenza-Epidemie auch während der Frühschwangerschaft geimpft werden.“ Obwohl grundsätzlich bis zum Ende der Schwangerschaft gegen Influenza geimpft werden kann, gilt es zu bedenken, dass es bei einer sehr späten Impfung unmittelbar vor der Geburt keinen Nestschutz mehr gibt, erläutert Redlberger-Fritz: „Es braucht mindestens zehn bis 14 Tage, bis der Schutz aufgebaut ist und die Antikörper über die Plazenta auf das Kind übertragen werden können.“ Generell hofft Zwiauer, dass die Durchimpfungsrate unter Schwangeren in Zukunft steigen wird, damit sowohl Mutter als auch Kind von der Schutzwirkung profitieren: „Es wird hoffentlich mehr und mehr ins Bewusstsein rücken, dass Schwangerschaft keine Kontraindikation für die Impfung mit einem Totimpfstoff ist; im Gegenteil, dass die Impfung im Impfplan empfohlen ist.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2019