Imp­fen bei Krebs : Kein Ausschlusskriterium

25.06.2019 | Medizin


Bei der Dia­gnose einer Krebs­er­kran­kung sollte der Impf­sta­tus noch vor dem Beginn einer The­ra­pie über­prüft wer­den, um feh­lende Imp­fun­gen so rasch wie mög­lich nach­zu­ho­len. Wegen der erhöh­ten Infekt­an­fäl­lig­keit gilt es, den Impf­schutz der engs­ten Kon­takt­per­so­nen zu prü­fen und bei Bedarf auf­zu­fri­schen.

Laura Scher­ber

Ent­ge­gen der frü­he­ren Annahme bil­den eine Krebs­er­kran­kung und Imp­fen kein gegen­sei­ti­ges Aus­schluss­kri­te­rium“, betont Univ. Prof. Ursula Wie­der­mann-Schmidt vom Insti­tut für Spe­zi­fi­sche Pro­phy­laxe und Tro­pen­me­di­zin und Spe­zi­al­am­bu­lanz für Imp­fun­gen der Med­Uni Wien. Die Impf­be­glei­tung wird im Rah­men des Gesamt­be­hand­lungs­kon­zepts bei Kar­zi­nom­pa­ti­en­ten emp­foh­len, wurde aber in der Ver­gan­gen­heit meist ver­nach­läs­sigt, wie die Exper­tin weiß. Des­halb ver­füg­ten viele Kar­zi­nom­pa­ti­en­ten über kei­nen aus­rei­chen­den Impfschutz.

Nach der Dia­gnose einer Krebs­er­kran­kung ist es essen­ti­ell, früh­zei­tig den Impf­sta­tus der Pati­en­ten zu über­prü­fen und vor Beginn der The­ra­pie bei Bedarf auf­zu­fri­schen. Das gilt beson­ders für Lebend­impf­stoffe wie Masern, Mumps, Röteln oder Vari­zel­len, da wäh­rend der Che­mo­the­ra­pie keine Lebend­impf­stoffe ver­ab­reicht wer­den dür­fen. Tot­impf­stoffe sind zwar erlaubt, erfor­dern aber auf­grund einer poten­ti­ell redu­zier­ten Wirk­sam­keit unter Umstän­den Titer­kon­trol­len. Beson­ders wich­tige Imp­fun­gen, die vor Beginn der The­ra­pie unbe­dingt über­prüft wer­den soll­ten, sind Diph­the­rie, Teta­nus, Per­tus­sis, Masern, Mumps, Röteln und Vari­zel­len. Auch der Hepa­ti­tis B‑Status muss kon­trol­liert wer­den, da Kar­zi­nom­pa­ti­en­ten durch häu­fige Infu­sio­nen oder Port­ka­the­ter-Sys­teme viel­fäl­ti­gen Infek­ti­ons­quel­len aus­ge­setzt sind.

Ein Pneu­mo­kok­ken-Impf­schutz ist beson­ders bei Pati­en­ten mit Lun­gen­kar­zi­nom indi­ziert und bei allen Kreb­pa­ti­en­ten über 50 Jahre. Die jähr­li­che Influ­en­za­imp­fung ist bei allen Krebs­pa­ti­en­ten indi­ziert. „Das Thema Her­pes zos­ter kann ein gro­ßes Pro­blem sein, da Pati­en­ten unter Che­mo­the­ra­pie häu­fig eine Reak­ti­vie­rung haben, wenn sie frü­her eine Vari­zel­len­in­fek­tion durch­ge­macht haben“, weiß Wie­der­mann-Schmidt. Für das gesamte Behand­lungs­kon­zept ist es wich­tig, dass die Kon­takt­per­so­nen – vor allem Fami­li­en­mit­glie­der, Freunde, Berufs­kol­le­gen der Pati­en­ten – aus­rei­chend infor­miert sind, ihren Impf­sta­tus über­prü­fen und gege­be­nen­falls auf­fri­schen. Wie­der­mann-Schmidt dazu: „Wenn eine engere Kon­takt­per­son einen nur unzu­rei­chen­den Impf­schutz auf­weist, kann das für Kar­zi­nom­pa­ti­en­ten im Fall einer Infek­tion sehr gefähr­lich wer­den, da die Krebs­be­hand­lun­gen mit einer deut­li­chen Immun­sup­pres­sion einhergehen“.

Wird ein unzu­rei­chen­der Impf­sta­tus erst ermit­telt, wenn die Pati­en­ten schon eine Che­mo­the­ra­pie erhal­ten, gibt es auch hier Wege, den Impf­schutz auf­zu­fri­schen. „In die­sen Fäl­len wird rou­ti­ne­mä­ßig emp­foh­len, die Che­mo­the­ra­pie abzu­war­ten“, erklärt Wie­der­mann-Schmidt. Und wei­ter: „Drei Monate nach einer abge­schlos­se­nen Che­mo­the­ra­pie sollte das Immun­sys­tem in der Regel wie­der so fit sein, dass Tot­impf­stoffe gege­ben wer­den kön­nen.“ Beson­ders bei der Influ­en­za­imp­fung geht man jedoch nach der Sai­son, indem die Imp­fung immer ent­we­der kurz vor oder bei Beginn eines Che­mo­the­ra­pie-Zyklus ver­ab­reicht wird. Wie die aktu­elle Daten­lage zeige, ist die Immun­ant­wort auf eine Imp­fung zu Beginn eines Che­mo­the­ra­pie-Zyklus zwar ein­ge­schränkt, aber noch rela­tiv gut, wäh­rend am Ende des drei­wö­chi­gen Zyklus eine Imp­fung nicht mehr Erfolg ver­spre­chend ist. „Diese Vor­gangs­weise ist auch bei ande­ren Tot­impf­stof­fen mög­lich. Es emp­fiehlt sich aber bei allen Imp­fun­gen, bei denen Titer­kon­trol­len mög­lich sind, diese auch durch­zu­füh­ren“, hebt die Exper­tin hervor.

Neben der Titer­kon­trolle kann das Anspre­chen auf eine Imp­fung auch durch eine dia­gnos­ti­sche Imp­fung über­prüft wer­den, indem vor der Imp­fung Blut abge­nom­men wird und neu­er­li­che ein Monat nach der Imp­fung – dies kann bei der DiTet-Per­tus­sis­imp­fung so erfol­gen. Lebend­impf­stoffe wie Masern, Mumps, Röteln und Vari­zel­len dür­fen wäh­rend und bis sechs Monate nach Abschluss der Che­mo­the­ra­pie hin­ge­gen über­haupt nicht gege­ben werden. 

Bei spe­zi­el­len The­ra­pien wie der Anti-B-Zel­len-The­ra­pie vor allem bei Pati­en­ten mit einem Mul­ti­plen Mye­lom oder einem Lym­phom ist eine War­te­zeit von min­des­tens zwölf Mona­ten nach Abschluss der The­ra­pie ein­zu­hal­ten, da das Immun­sys­tem zu geschwächt ist und nicht genü­gend B‑Zellen vor­han­den sind, um eine Impf­ant­wort auf­zu­bauen; die Lebend­imp­fung könnte im Sinne einer Infek­tion gefähr­lich wer­den. Beson­ders bei The­ra­pien mit Bio­lo­gika kann es bei einem Infek­ti­ons­kon­takt eines nicht-immu­nen Pati­en­ten dazu kom­men, dass der Pati­ent nicht mit einem Lebend­impf­stoff post­ex­po­si­tio­nell geimpft wer­den darf. „Hat ein sero­ne­ga­ti­ver Pati­ent zum Bei­spiel mit einem Vari­zel­len-Infi­zier­ten Kon­takt gehabt, gibt es aber die Mög­lich­keit, ein Vari­zel­len-Immun­glo­bu­lin ein­zu­set­zen oder auf anti-virale Mit­tel zurück­zu­grei­fen“, erklärt Wie­der­mann-Schmidt, obwohl es natür­lich bes­ser ist, das Umfeld a priori in das Behand­lungs­kon­zept mit ein­zu­be­zie­hen, sodass es gar nicht zur Erre­ger­trans­mis­sion kom­men kann.

Sti­mu­la­tion des Immunsystems

Wäh­rend Imp­fun­gen bei Kar­zi­nom­pa­ti­en­ten frü­her grund­sätz­lich kri­tisch betrach­tet wur­den, hät­ten neue Stu­dien gezeigt, dass die durch das Tumor­ge­webe bewirkte Immun­sup­pres­sion sogar posi­tiv beein­flusst wird. „Die Imp­fun­gen gegen Infek­ti­ons­krank­hei­ten hel­fen eigent­lich dabei, dass hier eine Sti­mu­la­tion des Immun­sys­tems gesetzt wird, die der immun­sup­pres­si­ven Wir­kung des Tumors ent­ge­gen­wirkt “, weiß die Expertin. 

Auch Aus­lands­rei­sen wer­den häu­fig ein Thema, wenn Kar­zi­nom­pa­ti­en­ten wäh­rend der The­ra­pie einen guten All­ge­mein­zu­stand errei­chen. Der Aus­sage von Wie­der­mann-Schmidt zufolge schlie­ßen sich eine Krebs­er­kran­kung und Rei­sen per se nicht aus, aller­dings ist die aus­führ­li­che Abklä­rung mit einem Rei­se­me­di­zi­ner im Vor­feld einer Reise wich­tig. „Es gibt viele Län­der, die Kar­zi­nom­pa­ti­en­ten pro­blem­los berei­sen kön­nen“, so die Exper­tin. Aller­dings: „Afri­ka­ni­sche oder süd­ame­ri­ka­ni­sche Län­der, in denen unter ande­rem eine Gelb­fie­ber-Imp­fung not­wen­dig ist, soll­ten gemie­den wer­den, da die Gelb­fie­ber-Imp­fung als Lebend­imp­fung wäh­rend der Che­mo­the­ra­pie nicht mög­lich ist.“ Gleich­zei­tig sollte bei einer star­ken Schwä­chung der Leber vor­sich­tig abge­wo­gen wer­den, inwie­fern eine Reise in ein Land sinn­voll ist, in dem eine Mala­ria-Pro­phy­laxe erfor­der­lich ist. Die pro­phy­lak­ti­sche Ein­nahme eines Che­mo­the­ra­peu­ti­kums gegen Mala­ria-Erre­ger kann unter Umstän­den für die Pati­en­ten zu belas­tend sein. „Eine Mala­ria-Erkran­kung stellt in jedem Fall eine schwer­wie­gende Erkran­kung dar, die unbe­dingt ver­mie­den wer­den muss“, so Wiedermann-Schmidt. 


Imp­fun­gen bei Kar­zi­nom­pa­ti­en­ten: Empfehlungen

Imp­fun­gen bei soli­den Tumo­ren

Wäh­rend einer Che­mo­the­ra­pie sowie zumin­dest sechs Monate nach deren Abschluss wird emp­foh­len, keine Lebend­impf­stoffe zu verabreichen.

Dies betrifft die Imp­fun­gen gegen:
MMR, Vari­zel­len, Gelb­fie­ber, Nasale Grip­pe­imp­fung (LAIV bis zum 18. Lebensjahr)

Tot­impf­stoffe kön­nen wäh­rend der The­ra­pie am Beginn eines Che­mo­the­ra­pie-Zyklus ver­ab­reicht wer­den, die Wirk­sam­keit kann jedoch redu­ziert sein. Bevor­zugte Appli­ka­tion vor Beginn der Behand­lung oder > drei Monate nach Abschluss der Chemotherapie.

Dies betrifft die Imp­fun­gen gegen:
Diph­the­rie, Teta­nus, Per­tus­sis, Polio, FSME, Influ­enza (außer LAIV), Hepa­ti­tis A und B, Pneu­mo­kok­ken, Toll­wut, Cho­lera, Typhus, Menin­go­kok­ken, Japan-Enzephalitis

Imp­fun­gen bei häma­to­lo­gi­schen Erkran­kun­gen

Bei einer The­ra­pie mit Anti-B-Zell-Anti­kör­pern (Ritu­xi­mab bezie­hungs­weise auch dem Anti-CD52-Anti­kör­per Alem­tu­zu­mab) wird emp­foh­len, dass Imp­fun­gen vor The­ra­pie­be­ginn oder 

  • min­des­tens sechs Monate nach The­ra­pie­ende im Falle von Boosterimpfungen
  • oder min­des­tens zwölf Monate nach The­ra­pie­ende im Falle von Pri­mo­vak­zi­nie­rung (und jeden­falls bei Lebend­imp­fun­gen) durch­ge­führt werden.

Small Mole­cule Inhi­bi­tors wie Ide­lali­sib oder Ibru­ti­nib inhi­bie­ren die Signal­über­tra­gung über den B‑Zell-Rezep­tor und ihre Ver­wen­dung ist mit einem erhöh­ten Infek­ti­ons­ri­siko ver­bun­den. Imp­fun­gen unter die­sen Sub­stan­zen sind daher ver­mut­lich wir­kungs­los bezie­hungs­weise nicht zu emp­feh­len. Daher sol­len sämt­li­che nöti­gen Imp­fun­gen vor The­ra­pie­be­ginn durch­ge­führt werden.

Wäh­rend einer The­ra­pie mit bestimm­ten Tyro­sin­ki­nase-Inhi­bi­to­ren, die eine sys­te­mi­sche Immun­sup­pres­sion bewir­ken, sind Lebend­imp­fun­gen nicht emp­foh­len. Die emp­foh­lene War­te­zeit nach Abschluss der The­ra­pie vari­iert zwi­schen einem und drei Monaten.

Quel­len: Univ. Prof. Ursula Wie­der­mann-Schmidt, Univ. Prof. Harald H. Sitte, Univ. Prof. Heinz Burg­mann et al: Imp­fun­gen bei Immundefekten/​Immunsuppression, Exper­ten­state­ment und Emp­feh­lun­gen; Wie­ner Kli­ni­sche Wochen­schrift 2016; Imp­fun­gen bei Krebs­pa­ti­en­ten; Sprin­ger Ver­lag: Wag­ner Ange­lika und Wie­der­mann Ursula

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 12 /​25.06.2019