Frailty: Risiko Eiweißmangel

15.12.2019 | Medizin


Bei alten Menschen ist die Risikokonstellation nicht durch Übergewicht gekennzeichnet, sondern durch die mangelnde Zufuhr an Nährstoffen – speziell Eiweiß. Um Frailty zu reduzieren, hat sich vor allem die mediterrane Diät wegen der hohen Zufuhr an Polyphenolen als wirkungsvoll erwiesen – und auch wegen der guten Adhärenz.

Für den Begriff Frailty existiert eine Vielzahl von Definitionen. Gemäß der oft verwendeten Definition von Linda Fried, einer US-amerikanischen Geriaterin von der Columbia Universität in New York City, bezeichnet Frailty einen „Zustand erhöhter Vulnerabilität gegenüber Stressoren […], entstanden durch Funktionsverlust in mehreren physiologischen Systemen, der zu ungünstigen gesundheitlichen Konsequenzen führt“. Studien haben gezeigt, dass in Österreich elf Prozent der über 65-Jährigen an Gebrechlichkeit leiden und 41 Prozent an einer Vorstufe davon. „Bei unserer Untersuchung in Krankenhäusern bei über 65-Jährigen waren 45 Prozent und damit wesentlich mehr gebrechlich. Weitere 24 Prozent wiesen eine Vorstufe von Gebrechlichkeit auf“, berichtet Priv. Doz. Thomas Dorner vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien. Ein Viertel dieser Population war von Mangelernährung betroffen; die Hälfte hatte zumindest ein Risiko dafür. Zu den Risikofaktoren für Gebrechlichkeit im Alter zählen hohes Alter, das weibliche Geschlecht (da Frauen von Natur aus über weniger Muskelmasse verfügen), sozioökonomische Faktoren wie ein geringes Bildungsniveau und ein geringes Einkommen, geringe körperliche Aktivität, ungünstige Ernährung, chronische Erkrankungen sowie Erkrankungen, die mit (chronischer) Inflammation einhergehen wie Rheuma, Adipositas oder Karzinome.

„Die Risikokonstellation ist bei alten Menschen dadurch gekennzeichnet, dass meist nicht Übergewicht das Problem ist, sondern die mangelnde Zufuhr von Nährstoffen und vor allem von Eiweiß“, betont Univ. Prof. Peter Fasching von der 5. Abteilung mit Endokrinologie, Rheumatologie und Akutgeriatrie des Wilhelminenspitals in Wien. So kann eine Person bezogen auf das Körpergewicht zwar als übergewichtig definiert werden, jedoch gleichzeitig eine Mangelernährung aufweisen, da zu wenig Muskelmasse vorhanden ist. Neben der fehlenden Muskulatur sei die Sarkopenie aber auch durch eine Verringerung der Transportproteine charakterisiert, so Fasching. Der Albuminspiegel ist daher ein guter Marker, um abzuschätzen, ob bei einem Patienten ein relevanter Eiweißmangel vorliegt. „Ein erniedrigtes Albumin ist auch ein Risikofaktor für spätere Pflegebedürftigkeit, für die Aufnahme in Pflegeheime, aber auch für die Mortalität und das ist sozusagen das Bindeglied zu Frailty und Mangelernährung“, betont Fasching. Sowohl die Sarkopenie als auch Malnutrition seien laut Dorner definitionsgemäß mit einer chronischen Inflammation verbunden. Im Zuge dessen wirken manche Entzündungsmarker katabol, sodass es zum Abbau von Muskelmasse kommt und die Sarkopenie verstärkt wird.

In der Literatur existieren verschiedene Definitionen von Gebrechlichkeit und auch unterschiedliche Indizes für die Graduierung und Klassifikation; in Österreich gibt es keinen einheitlichen Standard. Je nach Studie werden unterschiedliche Parameter erhoben, wie Muskelkraft, Body-Mass-Index, Ganggeschwindigkeit oder die Fähigkeit, wie schnell jemand aus einer sitzenden Position aufstehen kann. Für die Operationalisierung der Gebrechlichkeit werden fünf Faktoren herangezogen: die Kraft, die verloren gegangen ist; das Ausmaß der körperlichen Aktivität; Geh- oder Gangschwierigkeiten; Appetitverlust sowie subjektive Erschöpfung – sowohl körperlich als auch geistig.

„Eine der wichtigsten therapeutischen Maßnahmen ist die medizinisch adäquate Behandlung der verschiedenen zugrundeliegenden chronischen Erkrankungen“, betont Fasching. Ebenso wichtig sei es, die körperliche und geistige Aktivierung und Reaktivierung anzustoßen sowie eine adäquate Nahrungszufuhr zugewährleisten. Analog dazu erachtet Dorner sowohl in der Therapie als auch in der Prävention von Gebrechlichkeit drei Evidenz-basierte Maßnahmen als besonders effektiv: körperliches Training, eine optimierte Ernährung und soziale Unterstützung. „Die wesentlichste Maßnahme ist das körperliche Training, das in Form von Krafttraining mit vielen gesundheitlichen Benefits verbunden ist und sich für alle Altersgruppen eignet“, erklärt Dorner.

Protein- und Vitaminzufuhr erhöhen

Bei der Optimierung der Ernährung geht es in erster Linie um eine ausreichende Nahrungszufuhr mit genügend Proteinen. „Die österreichischen, deutschen und schweizerischen Gesellschaften für Ernährung empfehlen eine Eiweißzufuhr von 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag, was gar nicht so leicht zu erreichen ist und eine bewusst eiweißreiche Ernährung erfordert“, betont Dorner. Neben dem potentiellen Einsatz von eiweißreichen Nahrungsergänzungsmitteln, um die für den Muskelaufbau notwendige Proteinzufuhr zu erreichen, ist es laut Fasching auch wichtig, auf den Vitaminstatus zu achten. „Nimmt man chronisch weniger als 1.000 Kilokalorien pro Tag sogar von einer normal zusammengesetzten Mischkost auf, ergibt sich mittelfristig nach drei Monaten oder später ein relevanter Mangel an Vitaminen und Spurenelementen“, hebt Fasching hervor. Besonders die mediterrane Diät hätte sich wegen der hohen Zufuhr an Polyphenolen sowie wegen der guten Adhärenz als wirkungsvoll herausgestellt, Gebrechlichkeit zu reduzieren. „Die dritte Evidenz-basierte Maßnahme ist soziale Unterstützung, ohne die viele ältere Menschen zu wenig essen und in der Folge längerfristig zu wenig körperlich aktiv sind oder trainiert“, weiß Dorner. Die geistige (Re-)Aktivierung verfolgt das Ziel, die Integration der Patienten in das soziale Umfeld zu fördern und durch geistige Anregung der Isolation und depressiven Verstimmungen entgegenzuwirken. Mit diesen drei Maßnahmen konnten die Gebrechlichkeit reduziert, der Ernährungszustand optimiert, die Muskelkraft gefördert, die körperlichen Funktionen und die generelle alltägliche Funktionsfähigkeit verbessert, die Angst vor Stürzen reduziert und die Lebensqualität erhöht werden, wie in einer Studie nachgewiesen werden konnte. „Andere Maßnahmen wie medikamentöse Therapien haben sich hingegen als weniger effektiv und nebenwirkungsreicher herausgestellt“, so Dorner. Die Zahlen zur Prävalenz zeigen, dass Gebrechlichkeit zwar eine große Rolle spielt, dennoch aber nicht die Beachtung hat, die erforderlich wäre. „Es geht ja nicht um die Gebrechlichkeit an sich, sondern um die Folgen, die sich dadurch ergeben“, betont Dorner. Auf individueller Ebene ist Gebrechlichkeit mit Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags, mit einer verringerten Lebensqualität sowie mit einem erhöhten Pflegebedarf und Mortalität assoziiert. Daraus kann sich schnell ein Teufelskreis entwickeln: Gebrechlichkeit führt zu Stürzen; die dabei erlittenen Frakturen bringen Immobilität mit sich und führen in der Folge zu einem gesteigerten Muskelabbau und zu noch mehr Gebrechlichkeit. (ls)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2019