Fleisch­all­er­gie nach Zecken­stich: Nach­weis erbracht

10.06.2019 | Medizin


Ein Zecken­stich kann nicht nur FSME und Bor­re­liose ver­ur­sa­chen, son­dern auch zu einer erwor­be­nen Fleisch­all­er­gie füh­ren. Erst Stun­den nach dem Ver­zehr von rotem Fleisch – Rind, Schwein und Lamm – kommt es zur ana­phy­lak­ti­schen Reak­tion. Der Mecha­nis­mus, der dahin­ter steckt, ist aller­dings unklar.


Dass eine Fleisch­all­er­gie erwor­ben und erst in höhe­rem Alter auf­tre­ten kann, ist unter All­er­go­lo­gen bekannt. Doch die­ses rela­tiv sel­tene und noch nicht lange beschrie­bene Krank­heits­bild ist sonst kaum geläu­fig“, erklärt Univ. Prof. Franz Aller­ber­ger, Lei­ter des Geschäfts­fel­des Öffent­li­che Gesund­heit der AGES (Agen­tur für Gesund­heit und Ernäh­rungs­si­cher­heit). Er ist einer der Autoren einer in der „Wie­ner Kli­ni­schen Wochen­schrift“ erschie­ne­nen Fall­be­schrei­bung einer erwor­be­nen Fleisch­all­er­gie nach einem Zecken­stich. Die Publi­ka­tion erfolgt von einem Team von Wis­sen­schaf­tern der Vete­ri­när­me­di­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien, der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck und der AGES. Aller­ber­ger wei­ter: „Diese Fall­be­schrei­bung ist ein wei­te­rer Beleg dafür, dass erwor­bene Fleisch all­er­gie auf einen Zecken­stich zurück­ge­führt wer­den kann. Außer­dem möch­ten wir mit die­ser Publi­ka­tion die Auf­merk­sam­keit für die­ses Syn­drom erhö­hen“.

All­er­gi­sche Reak­tion auf Zucker

Noch vor weni­gen Jah­ren war es gän­gige Lehr­mei­nung, dass All­er­gien nur durch Eiweiße aus­ge­löst wer­den kön­nen. „Erst 2009 konnte gezeigt wer­den, dass auch Zucker All­er­gien aus­lö­sen. So ist die ana­phy­lak­ti­sche Reak­tion auf den Zucker Galactose-alpha‑1,3‑Galactose die Ursa­che für die erwor­bene Fleisch­all­er­gie“, betont der Experte. Das alpha-gal-Syn­drom wurde ursprüng­lich 2007 erkannt, als all­er­gi­sche Zwi­schen­fälle und Todes­fälle bei Pati­en­ten auf­tra­ten, die im Zuge einer onko­lo­gi­schen Behand­lung den mono­klon­a­len Anti­kör­per Cetu­xi­mab erhiel­ten. „Inner­halb eines Jah­res konn­ten diese schwe­ren Zwi­schen­fälle dar­auf zurück­ge­führt wer­den, dass Galac­tose eine all­er­gi­sche Reak­tion her­vor­ruft“, weiß Aller­ber­ger. Bereits damals wurde ein Bezug zu Zecken­sti­chen her­ge­stellt. „Obwohl die The­ra­pie welt­weit ange­wen­det wird, tra­ten die star­ken all­er­gi­schen Reak­tio­nen gehäuft in zwei US-Bun­des­staa­ten auf: North Caro­lina und Ten­nes­see. Dort gibt es auch ein gehäuf­tes Auf­kom­men einer bestimm­ten Zeckenart.“

Man­che Zecken­ar­ten, dar­un­ter die „Lone Star“-Zecke in den bei­den US-ame­ri­ka­ni­schen Bun­des­staa­ten, aber auch der gemeine Holz­bock Ixo­des rici­nus, der für etwa 93 Pro­zent aller Zecken­sti­che in Öster­reich ver­ant­wort­lich ist, schei­den in ihrem Ver­dau­ungs­trakt das Oli­gos­ac­cha­rid Galactose-alpha‑1,3‑Galactose, kurz alpha-gal, aus. Warum das so ist, ist bis­lang unge­klärt. Denn alpha-gal fin­det sich auch auf den Zel­len und Gewe­ben aller Säu­ge­tiere, aller­dings nicht auf denen von Pri­ma­ten. Bei einer erwor­be­nen Fleisch­all­er­gie kommt es zu einer ana­phy­lak­ti­schen Reak­tion auf alpha-gal nach dem Ver­zehr von rotem Fleisch – Rind, Schwein oder Lamm – nicht aber nach dem Ver­zehr von Geflü­gel oder Fisch. „Diese Art der Fleisch­all­er­gie ist etwas rät­sel­haft. Nor­ma­ler­weise ent­ste­hen sol­che All­er­gien auf Fleisch bereits im Kin­des­al­ter. Hier tritt sie aller­dings gehäuft bei Per­so­nen über 50 Jah­ren auf. Im beschrie­be­nen Fall war der Pati­ent 51 Jahre alt. Dabei kommt es einer plötz­li­chen all­er­gi­schen Reak­tion nach jah­re­lan­gem reak­ti­ons­freien Kon­sum von Rind- und Schweinefleisch.“ 

Sen­si­bi­li­sie­rung durch Zeckenstich

Der soeben in der Wie­ner Kli­ni­schen Wochen­schrift prä­sen­tierte Fall von erwor­be­ner Fleisch­all­er­gie begann mit einem Zecken­stich. Wie auch in ande­ren der­ar­ti­gen Fäl­len ent­zün­dete sich die Stelle des Stichs beson­ders aus­ge­prägt. „Diese starke Rötung bestand über meh­rere Wochen. Das ist äußerst unge­wöhn­lich, nor­ma­ler­weise kommt es nicht zu einer star­ken loka­len Inflamm­a­tion“, erläu­tert Aller­ber­ger. Drei Monate spä­ter kam es zu einer schwe­ren all­er­gi­schen Reak­tion. „Der Pati­ent aß abends ein Steak, medium-rare. Mit­ten in der Nacht trat ein Nes­sel­aus­schlag auf und der Pati­ent litt unter Atem­not – eine klas­si­sche ana­phy­lak­ti­sche Reak­tion“. Ein Jahr nach dem ursprüng­li­chen Zecken­stich wurde der Mann wie­der von einer Zecke gesto­chen mit ähn­li­cher Haut­re­ak­tion. Es folg­ten fünf schwere all­er­gi­sche Reak­tio­nen mit Nes­sel­aus­schlag am gan­zen Kör­per, geschwol­le­nen Hän­den, Blut­druck­ab­fall, Durch­fall, Erbre­chen und in man­chen Fäl­len sogar Atem­not. Die Sym­ptome tra­ten jedes Mal nachts auf, meh­rere Stun­den nach­dem der Mann Rind­fleisch geges­sen hatte, klan­gen aber ohne medi­zi­ni­sche Inter­ven­tion ab. Erst nach einer wei­te­ren der­ar­ti­gen Reak­tion auf Schwei­ne­fleisch, bei der eine Behand­lung mit Kor­ti­son und intra­ve­nö­ser Anti­hist­amin­gabe not­wen­dig war, wurde der Betrof­fene auf eige­nen Wunsch auf diese Lebens­mit­tel­all­er­gie getestet.

All­er­gie nur mit­tels Blut­tests nachweisbar

„Der Anti­kör­per­test zeigte eine dras­ti­sche Erhö­hung der IgE- und IgG-Anti­kör­per
gegen alpha-gal“, beschreibt Aller­ber­ger. Der Pati­ent hatte einen hohen IgE-Anti­kör­per-Titer gegen alpha-gal (>100kU/​l), Schwei­ne­fleisch (3,54kU/l) und Rind­fleisch (11,10kU/l). „Wie für erwor­bene Fleisch­all­er­gie cha­rak­te­ris­tisch, war der klas­si­sche Haut­test aber nega­tiv. Nur mit einem Haut­test kann man diese All­er­gie nicht erken­nen, ein geziel­ter Blut­test ist hier­für not­wen­dig.“ Alpha-gal ist im Blut nach Fleisch­kon­sum nach­weis­bar, denn der Zucker wird ver­mehrt über den Darm auf­ge­nom­men. Alle nicht-immun­sup­p­ri­mier­ten Per­so­nen bil­den natür­li­che Anti­kör­per gegen alpha-gal, haupt­säch­lich IgM und IgG2, die für die Absto­ßungs­re­ak­tion gegen Xeno­trans­plan­tate von Schwei­nen ver­ant­wort­lich sind. „Von einem alpha-gal-Syn­drom, einer erwor­be­nen Fleisch­all­er­gie, spricht man dann, wenn die IgE- und IgG-Anti­kör­per erhöht sind. Nur einige wenige Per­so­nen zei­gen diese Symptome.“

Die The­ra­pie von Fleisch­all­er­gie erfolgt wie bei ande­ren All­er­gien. Einer­seits erhal-
ten Betrof­fene für den Not­fall Epi­ne­phrin-Auto­in­jek­to­ren, um schwere Zwi­schen­fälle
zu ver­mei­den. Ande­rer­seits wird ihnen gera­ten, auf rotes Fleisch zu ver­zich­ten. Im
Ein­zel­fall müs­sen auch Milch, Gum­mi­bär­chen und Gela­tin-hal­tige Medi­ka­mente
ver­mie­den wer­den. Wich­tig ist zu beach­ten, dass die all­er­gi­sche Reak­tion erst Stun­den nach dem Ver­zehr von Fleisch ein­tritt. „Die Reak­tion auf den Zucker alpha-gal ist zeit­lich ver­zö­gert. Aber es sind die glei­chen Sym­ptome wie bei einer all­er­gi­schen Reak­tion auf ein Eiweiß.“ Da ein Nach­weis nur per Blut­test mög­lich ist, ist die Über­wei­sung an eine All­er­gie-Ambu­lanz für eine defi­ni­tive Dia­gnose not­wen­dig. Mit der Publi­ka­tion des Fal­les möchte Aller­ber­ger die Auf­merk­sam­keit auf diese rela­tiv sel­tene Erkran­kung len­ken. „Wir schät­zen, dass es in Öster­reich jähr­lich etwa 100 der­ar­tige Fälle von Pati­en­ten über 50 Jah­ren mit erwor­be­ner Fleisch­all­er­gie gibt. Sie tritt also deut­lich häu­fi­ger auf als angenommen.“

Außer­dem soll der Fall­be­richt unter­mau­ern, dass ein Zecken­stich die Ursa­che einer
Fleisch­all­er­gie sein kann, betont Aller­ber­ger. „Die CDC in den USA schrei­ben auf ihrer Web­seite zum alpha-gal-Syn­drom, dass Daten aus den USA und ande­ren Län­dern dar­auf hin­deu­ten, dass eine alpha-gal-All­er­gie mit Zecken­sti­chen ver­bun­den sein kann. Aller­dings sei noch mehr For­schung erfor­der­lich, um fest­zu­stel­len, ob Zecken­bisse eine alpha-gal-All­er­gie aus­lö­sen kön­nen. Wir zei­gen, dass eine alpha-gal-All­er­gie, also eine Fleisch­all­er­gie, ursäch­lich von einem Zecken­stich aus­ge­löst wer­den kann.“ Wel­cher Mecha­nis­mus dafür ver­ant­wort­lich ist, bleibt aller­dings unklar. „Eine Erklä­rung ist, dass alpha-gal von Zecken über die Haut ein­ge­bracht wird und man dar­auf all­er­gisch reagie­ren kann.“ (sf)

Tipp: https://link.springer.com/article/10.1007/s00508-019‑1506‑5

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2019