Ernährung und Umwelt: Essen als Risiko

10.02.2019 | Medizin


In 46 Ländern der Welt sind mehr als 50 Prozent der Erwachsenen übergewichtig oder adipös; in einigen Ländern sind es sogar 70 Prozent. Jährlich 320.000 Todesfälle sind die Folge. Experten plädieren dafür, mehr Bewusstsein zu schaffen unter dem Motto: Essen ist zwar ein Risiko, aber Essen soll auch Spaß machen.
Christina Schaar

Europa weist die höchste Anzahl an ernährungsabhängigen Erkrankungen
auf – das hat die WHO schon vor einigen Jahren festgestellt. Diese Noncommunicable Diseases sind für 77 Prozent der Krankheiten wie etwa kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus, Krebs und respiratorische Erkrankungen sowie für 86 Prozent der frühzeitigen Mortalität verantwortlich. Die Ursachen dafür sind hinlänglich bekannt, wie der Präsident des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin (ÖAIE), Univ. Prof. Kurt Widhalm, im Rahmen einer Pressekonferenz Ende Jänner in Wien betonte: die generell zu hohe Zufuhr von Energie, von gesättigten Fettsäuren und Transfetten, von Zucker und Salz sowie einer zu geringen Zufuhr von Obst, Gemüse und Vollkornprodukten. „Übergewicht und Adipositas sind für 320.000 Todesfälle von Männern und Frauen pro Jahr in 20 Ländern Europas verantwortlich“, betonte Widhalm.

Die EAT-Lancet-Kommission, bestehend aus 37 internationalen Wissenschaftern, hat im Jänner dieses Jahres im „Lancet“ Empfehlungen für eine gesunde nachhaltige Ernährung veröffentlicht. Demnach sollten pro Tag – wie in der klassischen mediterranen Ernährung – maximal 35 Gramm Fleisch konsumiert werden; ebenso sollte die tägliche Ernährung einen größeren Anteil von Hülsenfrüchten, Obst, Gemüse, Nüssen beinhalten. Des Weiteren sollte die Aufnahme von gesättigten Fettsäuren reduziert, jene von einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren erhöht werden. Auf diese Weise könnten die Todesfälle bis zum Jahr 2030 um 20 Prozent verringert werden. In Zahlen sind das rund 11,1 Millionen vorzeitige Todesfälle weniger.

Bei all diesen Bestrebungen geht es aber auch darum, einen Bogen zur Lebensmittelproduktion zu spannen. Bei der Umsetzung dieser Ernährungsempfehlungen könnte nicht nur der Wasserverbrauch gesenkt und der CO2-Ausstoß reduziert werden, sondern auch die Produktion von Pflanzenschutzmitteln reduziert werden. Darin sehen Experten einen wesentlichen Beitrag für den Klimaschutz – spielt doch die Produktion von Fleisch eine vorrangige Rolle auch beim Klimawandel. „Zur Zeit reden wir über die Umwelt nur wegen des Klimawandels, aber das ist lange noch nicht alles“, erklärte Prof. Harry Aiking von der Vrije Universiteit Amsterdam. Demnach sei allein die Protein-Bilanz in der Fleischproduktion nicht nachhaltig: So sind für die Herstellung von einem Kilogramm Fleisch-Protein rund sechs Kilogramm pflanzliches Protein erforderlich – ohne dabei die vielen weiteren schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt wie die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, den Verlust der Artenvielfalt, die Bodennitrifizierung und den unverhältnismäßig hohen Gesamt-Energieverbrauch zu berücksichtigen.

Dass aber nicht nur die Menge, sondern auch die Qualität des Fettes eine entscheidende Rolle für die Gesundheit spielt, betonte Univ. Prof. Thomas Stulnig von der Universitätsklinik für Innere Medizin III am AKH Wien. „Letztendlich spielt die Fettmenge für das Körpergewicht eine Rolle, für die Gesundheit jedoch die Fettqualität.“

Prof. Klaus-Dieter Jany von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) betonte die Notwendigkeit, Wissenschaft und Politik zusammenzubringen, um über diesen Weg die Bevölkerung bestmöglich aufzuklären, damit diese die Richtlinien für die Zufuhr von Energie, Makro- und Mikronährstoffen umsetzt. Die EFSA hat auf europäischer Ebene Daten zu Ernährungspräferenzen erhoben, die durchaus auch auf nationale Ebene übertragen werden können. Gäbe es einen Einklang dieser Ernährungspräferenzen mit den Evidenz-basierten EFSA-Guidelines – auch in Abhängigkeit der körperlichen Aktivität – und würde sich die Bevölkerung gesund ernähren, könnten Übergewicht und daraus resultierende Krankheiten verhindert werden. Jany dazu: „Wir haben keine ungesunden Lebensmittel. Wir ernähren uns nur ungesund. Das Ernährungsbewusstsein soll durch Prävention in die Bevölkerung hineingetragen werden, um das Bewusstsein zu schaffen: Essen ist zwar ein Risiko, aber Essen soll auch Spaß machen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2019