Erektile Dysfunktion: Enormer Leidensdruck

25.10.2019 | Medizin


In rund drei Viertel der Fälle ist die erektile Dysfunktion organisch bedingt, wobei vor allem Diabetes mellitus ein entscheidender Faktor ist. Auch wenn der Leidensdruck sehr hoch ist, dauert es meist recht lange – oft auch mehrere Jahre – bis die Betroffenen einen Arzt aufsuchen; die Symptome beginnen langsam und schleichend.

Laura Scherber

Per definitionem spricht man von erektiler Dysfunktion, wenn es für mindestens drei Monate nicht möglich ist, eine für den befriedigenden Geschlechtsverkehr suffiziente Erektion zu erlangen und/oder aufrechtzuhalten“, erklärt Univ. Prof. Georg Schatzl, niedergelassener Facharzt für Urologie. Die Prävalenz ist altersabhängig und beträgt je nach Erhebung bei den 30- bis 39-Jährigen knapp 2,3 Prozent der Männer, bei den 50- bis 59-Jährigen 30 Prozent und bei den 60- bis 69-Jährigen über 50 Prozent. Die Symptome beginnen langsam und schleichend. „Wenn es beim Geschlechtsverkehr einmal nicht funktioniert, ist das nicht so ein Drama. Wenn die Erektionsprobleme allerdings öfter auftreten, sollte fachärztlicher Rat gesucht werden“, betont Schatzl, da sich nicht selten andere Erkrankungen hinter einer erektilen Dysfunktion verbergen. „Die erektile Dysfunktion ist vom Late-Onset Hypogonadismus beim älteren Mann, von einem generellen Libidoverlust und von der Ejaculatio praecox zu differenzieren“, betont Univ. Prof. Germar-Michael Pinggera von der Universitätsklinik für Urologie Innsbruck.

In etwa 70 Prozent der Fälle ist die erektile Dysfunktion organisch bedingt, wobei vor allem das Vorliegen eines Diabetes mellitus und einer damit assoziierten Atherosklerose, Hypertonie und auch Polyneuropathie eine entscheidende Rolle spielt. Auch endokrine Ursachen wie Hypogonadismus oder Hypothyreose können einer erektilen Dysfunktion zugrunde liegen, ebenso wie Alkohol, Nikotin oder die Einnahme von bestimmten Medikamenten wie zum Beispiel kardioselektive Betablocker, Neuroleptika oder Antidepressiva. Die übrigen 20 Prozent entfallen auf psychogene Ursachen wie Versagensängste oder Stress sowie zehn Prozent auf gemischte Ursachen. „Da es sich bei den Betroffenen meist um ältere Männer handelt, ist auch das Problem der Polypharmazie zu bedenken“, betont Pinggera. Viele Medikamente weisen ein breites Spektrum an Nebenwirkungen auf, wodurch auch eine erektile Dysfunktion bedingt sein kann. „Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist auch die Schlafqualität“, weiß der Experte. In Studien konnte gezeigt werden, dass das Aufwachen innerhalb der ersten drei Stunden mit einer funktionell inadäquaten Testosteronsynthese assoziiert ist. Ein weiterer Faktor ist das Vorliegen einer endothelialen Dysfunktion. „Das erste Symptom ist wahrscheinlich nicht der Herzinfarkt, sondern die Impotenz des Mannes“, hebt Pinggera hervor. Bei den Penis-Gefäßen handelt es sich um die kleinsten und sensibelsten Endstrombahngefäße, die als erstes von einer Atherosklerose betroffen sind, und sich in weiterer Folge die koronare Herzkrankheit und schließlich der Myokardinfarkt entwickeln kann. Grunderkrankungen wie neurologische Erkrankungen, Multiple Sklerose, Parkinson, Encephalitis, Temporallappenepilepsie, Morbus Alzheimer, Bandscheibenvorfälle sowie chronische Erkrankungen wie Leberzirrhose, Niereninsuffizienz oder HIV sind ebenfalls mit erektiler Dysfunktion oder
Hypogonadismus assoziiert.

Ausführliche Anamnese

Im Rahmen der Diagnostik sollte zunächst eine ausführliche Anamnese erfolgen, bei der frühere Erkrankungen und Operationen, Ernährungsgewohnheiten, Medikamenteneinnahme, Alkohol- und Nikotinkonsum, externe Faktoren wie psychische Belastungen oder Stress, das Sexualverhalten sowie Art, Schweregrad und Dauer der Erektionsstörung, das Auftreten vorzeitiger Detumeszenz, die Rigidität und Form des Penis erhoben werden. Außerdem wird der IIEF-5 Fragebogen (International Index of Erectile Function) eingesetzt, um den Grad des Beschwerdebildes zu objektivieren. „Die körperliche Untersuchung umfasst die urologische Routineuntersuchung wie den Genitalstatus und die digitorektale Untersuchung, wobei auch das Tasten der Pulse der Iliacalgefäße und der Beinarterien hilfreich ist“, erklärt Schatzl. Zusätzlich sollten im Rahmen der Laboruntersuchung relevante Parameter wie das PSA, Nüchternblut-Glukose und HbA1c, Blutlipide, Harnsäure, Testosteron, das luteinisierende Hormon, das Sexualhormon-bindende Globulin und das bioverfügbare Testosteron kontrolliert werden. Die Pharmako-Duplexsonographie der Penisgefäße, die Tumeszenzmessung mittels Rigi-Scan oder die Cavernosographie werden nur bei speziellen Fragestellungen durchgeführt. Optional kann eine psychotherapeutische Beurteilung sowie bei einschlägiger Anamnese ein Gefäßstatus der Beckengefäße indiziert sein.

Therapie mit PDE-5-Hemmern

Die Therapie der erektilen Dysfunktion erfolgt in erster Linie medikamentös und umfasst die orale Einnahme von PDE-5-Hemmern, die zur Hemmung des cGMP-spaltendenden Isoenzyms Phosphodiesterase-5 führen und ihre Wirkung lokal im Schwellkörper nach sexueller Stimulation entfalten. Die vorhandenen Substanzen (Sildenafil, Vardenafil, Avanafil und Tadalafil) unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Halbwertszeit und dem Eintritt der Wirkung. „Auch hier ist bei der Verschreibung eine ausführliche Anamnese für die Verschreibung der geeigneten Substanz wichtig“, betont Schatzl. Die Wahl, welches Präparat für einen Patienten geeignet ist (Daily-Dose versus On-Demand), richtet sich Pinggera zufolge nach dem Sexualverhalten und vor allem danach, inwiefern sexuelle Interaktionen planbar sind. „Da bis dato noch nicht alle Substanzen als Generika erhältlich sind, stellt der Preis der PDE-5-Hemmer einen entscheidenden Faktor für die Patienten dar“,
so Schatzl.

Die wichtigste Kontraindikation ist die gleichzeitige Einnahme von NO-Donatoren sowie das Vorliegen einer Erkrankung, welche die Einnahme dieser Medikamente erforderlich macht. „Auch bei der Statin-Therapie ist zu berücksichtigen, dass einige Präparate den Hormonstatus negativ beeinflussen und die Entwicklung von Hypogonadismus bewirken können“, warnt Pinggera. „Kommt es mit dieser Medikation und einer ausreichenden Dosis-Eskalierung nicht zu einer suffizienten Erektion, stehen noch andere Therapieoptionen zur Verfügung wie die Vakuumpumpe, die intraurethrale Applikation von Prostaglandin E1, die Schwellkörperautoinjektion und die Schwellkörperautoimplantation“, fasst Schatzl zusammen. Eine neue Therapieoption bei leichten Formen der erektilen Dysfunktion stellt die extrakorporale Stoßwellentherapie dar. Durch die Stoßwellen, die am Schwellkörper appliziert werden, soll die Neoangiogenese im Schwellkörper stimuliert werden und somit zu einer besseren Durchblutung und Erektionsqualität führen.

„Die therapeutische Arbeit mit sexuell gestörten Männern ist oft schwierig, da der Umgang der Männer mit ihrer Sexualität durch eine Selbstentfremdung geprägt wird, die ihrerseits mit einer blockierten Wahrnehmung seelischer Vorgänge assoziiert ist“, erklärt Pinggera. Die Therapie umfasst daher neben der individuellen Medikation einerseits einen adaptiven somatischen Abklärungsalgorithmus unter Einbezug von Grunderkrankungen und Allgemeinmaßnahmen wie der Optimierung des Lebensstils. Andererseits werden auch psychische und Paar-bezogene Faktoren in die Behandlung miteinbezogen. „Untersuchungen haben gezeigt, dass ein großer Teil der Betroffenen PDE-5-Hemmer nicht bestimmungsgemäß anwendet, die Einnahme nach kurzer Zeit wieder abbricht oder gar nicht erst beginnt“, so Pinggera.

Zurückgeführt wird dies auf eine unzureichende Instruktion der Patienten, störende Nebenwirkungen, Befürchtungen und Bedenken der Partnerin sowie überzogene Erwartungen der Betroffenen und fehlendes Vertrauen in die Behandlungsmethode. Im Fall einer medikamentös induzierten erektilen Dysfunktion sollte eine Modifizierung und Optimierung der Medikation erfolgen.

„Der Leidensdruck von Männern mit einer erektilen Dysfunktion ist sehr hoch und es dauert relativ lange, bis ein Betroffener zum Arzt geht, häufig mehrere Jahre“, weiß Pinggera. Typische Folgen sind eine depressive Stimmungslage, ein Mangel an Selbstwert und die Belastung der Partnerschaft, wobei in Studien gezeigt wurde, dass die Rate der Impotenz bei Scheidungsfällen deutlich höher ist als bei funktionierenden Ehen. „Das Wichtigste ist, die Männer aktiv auf dieses Thema anzusprechen und nicht zu tabuisieren“, betont Schatzl, da bei einer derartig hohen Prävalenz jeder Arzt mit diesem Thema zwangsläufig in Berührung kommt. Aufgrund des Schamgefühls, das mit dem Zugeben der Beeinträchtigung verbunden ist, und der Angst vor einer möglichen Erkrankung gehen wenige Männer zu einer Vorsorgeuntersuchung.

Da die erektile Dysfunktion häufig ein Vorbote einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit beziehungsweise einer koronaren Herzerkrankung ist, ist die Frage nach der Erektionsfähigkeit sehr wichtig und kann im Ernstfall lebensrettend sein, betonen beide Experten. „Die Erstverschreibung der Medikamente sollte prinzipiell im Rahmen der urologischen Vorsorgeuntersuchung erfolgen, da ja eine subtile Abklärung erforderlich ist“, so Schatzl.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2019